Der niederländische Rechtspopulist Geert Wilders

Europa: Was Rechtspopulisten attraktiv macht

Österreich setzt mit Norbert Hofers Wahlsieg in Europa wieder einmal neue Standards in Sachen Rechtspopulismus. Doch auch Marine le Pen, Geert Wilders, Frauke Petry und ihresgleichen kommen immer besser an. Was macht sie so attraktiv - und können wir das nachvollziehen? Ein Versuch.

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Jetzt mal was Neues: Norbert Hofer wird den Stillstand in Österreich beenden. Marine Le Pen kann Frankreich aus der wirtschaftlichen Misere retten. Geert Wilders verkörpert europäische Aufklärung. Frauke Petry hat den Mut, Tabus zu brechen.

Die Zuschreibungen mögen zum Haareraufen sein, aber sie scheinen in Europa vor allem eines zu werden: mehrheitsfähig. Und deshalb von politischer Relevanz. Rechtspopulisten greifen in mehreren Ländern der Europäischen Union nach der Macht. Die lange gehegte Vermutung, ihr Aufstieg werde irgendwo unter 20 Prozent der Wählerstimmen stecken bleiben, erweist sich als trügerisch.

Sympathisanten rechtspopulistischer Parteien brauchen diesen Text nicht zu lesen. Er richtet sich an Leute, die nicht nachvollziehen können, dass Politiker wie Wilders, Le Pen, Strache und Co. Attraktivität ausstrahlen; an Leute, die in den Genannten gefährliche, hetzerische Demagogen sehen, deren anrüchige Geschichte, haarsträubende Ideen und illiberale Haltung sie unwählbar machen. Diese Wähler, nennen wir sie den Mainstream, auch wenn der Strom zusehends schmäler wird, können nicht mehr darauf vertrauen, bei Wahlen die Mehrheit zu stellen. Die Rechtspopulisten machen sie ihnen streitig. Darauf reagieren sie empört, verschüchtert und vor allem - ratlos. Sie meinen, das Phänomen des Rechtspopulismus längst analysiert und durchschaut zu haben, seine Mechanismen, seine Scheinlösungen, seine Risiken. Nur eines bleibt für sie rätselhaft: Was finden 30, 40, oder gar 50 Prozent der Wähler an den Rechtsaußen-Figuren anziehend?

Hier kommt das Porträt des europäischen Rechtspopulisten, mit dem er (oder sie) auf jeder Dating-Website Furore machen könnte, und bei jeder Wahl sowieso. Es ist eine Darstellung, die keine Fakten verfälscht, aber sie so präsentiert, dass nachvollziehbar wird, warum die Geächteten so viel Zuneigung erfahren.

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Er ist wild und unverbraucht.

Zum Beispiel Geert Wilders. Der Mann mit dem auffällig blondierten Haar trat als junger Abgeordneter aus der liberalen Partei aus, bildete vorübergehend eine Einmann-Fraktion und gründete 2006 als 43-Jähriger die "Partei für die Freiheit“ (PVV). Ein Jahr später wurde Wilders vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk zum "Politiker des Jahres“ gekürt, weil er "die Debatte an sich ziehe“. Heute liegt die PVV in Umfragen auf Platz eins.

Heinz-Christian Strache übernahm den Parteivorsitz der FPÖ mit 35.

Jimmie Akesson, Vorsitzender der Schwedendemokraten, ist 36.

Gabor Vona, Chef der ungarischen Rechts-Partei Jobbik, ist 37.

Politiker Mitte 30 lassen etablierte Kontrahenten gern mal alt aussehen. Der 2008 verstorbene Ex-FPÖ-Chef Jörg Haider perfektionierte dies in seinem Auftreten, seiner Kleidung und seiner Sprache. "Altparteien“ nannte er SPÖ und ÖVP verächtlich.

Äußerliche Attraktivität und freches Auftreten sind bestimmt kein hinreichender Grund für politischen Erfolg. Doch sie verschaffen erst einmal Aufmerksamkeit und signalisieren, dass da eine Alternative entsteht, die mit dem bisherigen Apparat bricht. Das war beim Entstehen der Grünen ähnlich. So weit, so gut.

Er ist ein Außenseiter.

In der Geschichte jedes Landes gibt es anrüchige Episoden wie den Kolonialismus, oder, schlimmer noch, schreckliche Ereignisse, im Falle Deutschlands und Österreichs etwa die Nazi-Vergangenheit. Der Rechtspopulist steht verlässlich auf der falschen Seite der Historie, nämlich bei denen, die sich schuldig gemacht haben oder sich mit dem Unrecht identifizieren. Aber weshalb sollte das einen Politiker attraktiv machen?

Für genau jene Gruppe, die weiß, dass sie im öffentlichen Diskurs immer den Kürzeren zieht, ist ein Politiker, der sich der Schelte aussetzt, ein segensreicher Fürsprecher. Jean-Marie Le Pen, Gründer des rechtsextremen Front National, hatte als Fremdenlegionär am Algerien-Krieg teilgenommen und wurde später mit Folter von Kriegsgefangenen in Verbindung gebracht - was er dementierte. Die Kriegsgeneration, die der französischen Kolonie in Algerien nachtrauerte, hatte in Le Pen ihren Vertreter gefunden.

In Österreich bezeugt die FPÖ lange Zeit Verbundenheit mit den Soldaten, die für Hitler-Deutschland gekämpft haben. 1995 hält etwa FPÖ-Chef Jörg Haider am Rande des Ulrichsberg-Treffens vor Veteranen der Waffen-SS eine Rede, in der er Menschen lobt, die "zu ihrer Überzeugung stehen“.

Die Wählerschaft, die den Rechten für diese Unterstützung dankbar ist, schrumpft naturgemäß mit der Zeit. Doch dann sind auch die Rechtspopulisten ideologisch längst schon weitergezogen.

Er ist ideologisch flexibel.

Das überrascht, gelten rechtsrechte Politiker doch als uneinsichtige Figuren, die stur ewiggestrige Positionen vertreten. Tatsächlich können sie diese auch resolut über Bord werfen, wenn sie ausgedient haben. Der Antisemitismus etwa, lange Zeit eine konstituierende Größe rechtspopulistischer Parteien, ist zugunsten der politisch weit einträglicheren Islamophobie in den Hintergrund gedrängt worden.

Und bei Bedarf verpackt der Rechtspopulist seine Botschaften einfach auf kreative Weise neu.

Die Ablehnung von Ausländern etwa taucht als Kampf gegen die Islamisierung wieder auf, als Sorge um die Rechte der Frauen, als Verteidigung des christlichen Abendlandes, als Schutz der Meinungsfreiheit. Das erleichtert die Verteidigung gegen den Vorwurf der Xenophobie.

Rechtspopulisten agieren auch gern mal außerhalb der rechten Ecke. Harsche Kritik an der Globalisierung ist eines ihrer Lieblingsthemen. Der Front National fordert finanzielle Hilfen für die Mindesteinkommensbezieher, die Beibehaltung des Pensionsalters von 60 Jahren, eine vorübergehende Verstaatlichung der Banken und eine 15-prozentige Sondersteuer auf Profite der 50 größten Konzerne im Land.

Ganz schön links.

Er ist manchmal weiblich.

Der Typus des rechten Recken, soldatisch geprägt, dem Law-and-Order-Prinzip verpflichtet, muss wohl ein Mann sein. Doch diese Zeiten sind vorbei. Die dänische rechtspopulistische Volkspartei hatte bereits in den 90er-Jahren mit Pia Kjærsgaard eine weibliche Vorsitzende, der französische Front National wird von Jean-Marie Le Pens Tochter Marine angeführt, und Frauke Petry ist die prominenteste Vorstandssprecherin der "Alternative für Deutschland“.

Die Frauen in den rechtspopulistischen Parteien signalisieren eine Modernisierung und erweitern die Wählerschaft - der Front National hat mittlerweile fast ebenso viele weibliche wie männliche Anhänger.

Er ist ein Opfer.

Rechtsaußen-Politiker genießen die Verachtung, die ihnen entgegenschlägt. Jeder Beschluss, sie prinzipiell aus Koalitionen auszuschließen oder zu TV-Sendungen nicht einzuladen, stärkt ihren Status als Underdog. Als profil im Jahr 2011 Marine Le Pen interviewte, erzählte sie in einer fein dosierten Mischung aus Stolz und Empörung, dass sie noch nie in eine Hauptabendsendung eingeladen wurde.

Im Jänner dieses Jahres unterzeichnete eine halbe Million Briten eine Petition, um ein Einreiseverbot von Donald Trump, dem rechtspopulistischen US-Präsidentschaftskandidaten in spe zu erwirken. Grund dafür waren dessen muslimfeindliche Äußerungen.

Einreiseverbot? Sprechverbot? Wahrscheinlich haben alle Angst vor dem Rechtspopulisten und seinen Argumenten.

Eine bessere Würdigung seiner Person kann er nicht bekommen.

Er ist radikal.

Politik kann zäh und dröge sein, oder besser: Sie ist es immer. Europäische Asylgesetze, die nicht funktionieren, werden neu verhandelt, reformiert, angepasst, und wieder führen sie nicht zum erwünschten Ergebnis. Ein EU-Sondergipfel im finnischen Tampere endet mit dem Ergebnis, dass zwischen den Mitgliedsstaaten ein Mechanismus etabliert werden soll, um die Last der Migration gerecht zu verteilen. Das war im Oktober 1999. 2016 funktioniert dieser Mechanismus immer noch nicht.

Der Rechtspopulist ist in seinem Element. Anstelle von Reformen will er das System über den Haufen werfen.

Die Migrationsgesetze taugen nichts? Zurück zu den alten Grenzen.

Die Euro-Krise ist noch immer nicht überwunden? Raus aus der gemeinsamen Währung.
Die Arbeitslosenrate will nicht und nicht sinken? Schluss mit offenen Märkten, her mit Zöllen und Protektionismus.

Diese politische Zerstörungswut kann Leuten keine Angst machen, die das Gefühl haben, nichts zu verlieren zu haben. Wer glaubt, das System diene ohnehin nur den Privilegierten, der empfindet Schadenfreude, wenn diese panisch vor den Plänen der Rechtspopulisten warnen.

Er verbündet sich mit den Deklassierten.

Nase rümpfend weisen Gegner der Rechtspopulisten darauf hin, dass deren Wählerschaft überproportional aus Leuten mit niedrigem Bildungsgrad besteht. Als Donald Trump die Vorwahlen in Nevada gewann, jubelte er: "Ich liebe die Ungebildeten! Sie sind die Klügsten und die Loyalsten!“ Die Unterprivilegierten und die Verlierer auf seiner Seite zu haben, ist keine schlechte Wählerbasis.

Er ist illiberal.

Das klingt nun wahrlich nicht nach einem Atout. Und doch. Der Terminus "illiberale Demokratie“ mutet in den Ohren eines aufgeklärten Bürgers wie eine böse Unterstellung an, tatsächlich nimmt etwa Ungarns Premier Viktor Orbán für sich in Anspruch, an einem solchen Staatsmodell zu arbeiten. "Illiberal“ bedeutet dabei laut seiner Definition nicht die gänzliche Abschaffung bürgerlicher Freiheiten, sondern deren Herabstufung in der Prioritätenliste. Allgemein formulierte Bürgerrechte haben den Haken, dass auch Roma, Asylwerber und andere unerwünschte Gruppen sie für sich in Anspruch nehmen können. Nationale Anliegen gehen vor.

Zum Handwerkszeug des Rechtspopulisten gehört auch das prinzipielle Misstrauen gegenüber international festgeschriebenen Regeln und auch gegenüber den Institutionen des Staates. Attraktiv wird diese Haltung für den kleinen Mann dadurch, dass Volksabstimmungen die Macht der Repräsentanten ersetzen soll. Der Einzelne bekommt so das Gefühl, im Zentrum des politischen Prozesses zu stehen.

Er macht Angst.

Auch das scheint nicht eben ein viel versprechender Charakterzug zu sein. Bloß darf man nicht übersehen, dass Angst immer schon ein Antrieb für Gesellschaften, Völker und Staaten war, um sich anzustrengen. Die Angst, Frankreich könnte wegen seiner niedrigen Geburtenrate verschwinden, löste Anfang bis Mitte des vergangenen Jahrhunderts in Paris eine politisch unterstützte Fortpflanzungseuphorie aus. Die Angst vor der Übermacht der USA trieb die UdSSR zu Fortschritten an und umgekehrt.

Sind die Ängste der Rechtspopulisten berechtigt? Aus der Sicht eines Schwedendemokraten ist die Gefahr des Identitätsverlusts durch zu viele muslimische Zuwanderer so real wie die Gefahr eines Atomunfalls für einen deutschen Grünen.

Bedrohungsszenarien geben den Sympathisanten der Rechtspopulisten die Gewissheit, Teil eines in die Defensive gedrängten Volkes zu sein, das sich wehren muss. Das vermittelt Bedeutungsschwere und Ernsthaftigkeit.

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Mit ein wenig Anstrengung, zusammengekniffenen Augen und zugehaltener Nase lässt sich erahnen, dass das Porträt des europäischen (seit Trump auch US-amerikanischen) Rechtspopulisten reizvoll erscheinen kann. Wer glaubt, dessen Wähler müssten bei genauerem Hinsehen früher oder später zwangsläufig erkennen, dass ihr Idol ein Ausbund an politischer Hässlichkeit ist, irrt. Der Schluss ist banal: Der Rechtspopulist ist attraktiv. Wer ihn besiegen will, muss attraktiver sein. Und dabei anders aussehen.

Robert   Treichler

Robert Treichler

Ressortleitung Ausland, stellvertretender Chefredakteur