Gut gegen Nordwind

Nordkorea: Die Ballon-Proteste des Herrn Park Sang-hak

Nordkorea. Die Ballon-Proteste des Herrn Park Sang-hak

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Von Fabian Kretschmer, Südkorea

Park Sang-hak steht auf der offenen Ladefläche eines Lieferwagens, hinter ihm die menschenleeren Felder Nordkoreas. Zu seinen Füßen: dutzende Fernsehjournalisten, hunderte Demonstranten, über 1000 Polizisten. Der 46-Jährige greift zum Megafon und schreit gegen die Menschenmassen an: „Niemand kann uns aufhalten! Wir sind bereit zu sterben, wenn ihr euch uns in den Weg stellt!“

Park ist Nordkoreas Staatsfeind Nummer eins. Niemand bedroht den brüchigen Frieden auf der koreanischen Halbinsel stärker als er: keine 1,60 Meter groß, spitzbübisches Grinsen und die nervöse Energie eines Zappelphilipps. Seit zehn Jahren versucht er mit seiner Aktivistengruppe, das Kim-Regime im Norden zu Fall zu bringen.

Seine Waffen: zigarrenförmige Ballons, zwölf Meter lang, gefüllt mit Wasserstoffgas, die er bei gutem Wind aufsteigen und nach Nordkorea fliegen lässt. Die Munition: beidseitig bedruckte Flyer auf wasserfestem, federleichtem PVC. Sie zeigen einen brennenden Kim Jong-un neben Gaddafi, Saddam Hussein und Ceausescu – nach ihrer Hinrichtung.
Im Land der Smartphones und Breitbandleitungen mag solch analoger Aktivismus naiv wirken. Doch Park ist überzeugt, dass seine Flugblätter Leben retten. Vor 20 Jahren hat er selbst eines vom Boden aufgehoben. Damals, als Student der Elektrotechnik in Pjöngjang, erfuhr er so erstmals von den berüchtigten Internierungslagern in seiner Heimat, und davon, dass zweien seiner Landsleute die Flucht gelungen war – nach Südkorea, einem Land voll Wohlstand, Freiheit, Gerechtigkeit.

Sollte er auch fliehen? Er hätte keinen Grund dazu gehabt. Sein Vater arbeitete als Spion, fuhr einen Mercedes und lebte in einer geräumigen Wohnung. Park selbst stand kurz davor, sein Doktorat abzuschließen. Danach bekam er eine Stelle beim Propagandaministerium. Dort feilte er an Schulbüchern und patriotischen Liedertexten. Er liebte seine Arbeit und glaubte an das System.

20 Jahre später ist ausgerechnet er derjenige, der die Grenzen von Südkoreas Demokratie austestet: Wie weit steht das Land für die Meinungsfreiheit seiner Bürger ein? Die konservative Regierung würde ihn am liebsten mundtot machen, 60 Prozent der Bevölkerung wollen Umfragen zufolge, dass er schweigt. Den nächsten Ballonflug werde Pjöngjang als Kriegserklärung werten, schreibt die staatliche Nachrichtenagentur. Bei seiner jüngsten Aktion antworteten Grenzsoldaten bereits mit Maschinengewehrsalven.

Für Park zeigt all das nur eines: dass er auf dem richtigen Weg ist.
Doch an diesem Nachmittag gibt es kein Weiterkommen: Bauern aus der Gegend haben die Straße mit Traktoren versperrt, Anwohner sich zu Sitzblockaden zusammengeschlossen. Linke Studenten werfen rohe Eier und Plastikflaschen auf die Aktivisten. Maskierte zerstechen die Ballons und verbrennen die Flyer. Park Sang-hak und seine 40-köpfige Truppe ziehen sich in ihren Bus zurück. Dieser wendet, fährt Richtung Seoul.
„Unsere Regierung versucht, friedlich mit Nordkorea zu reden. Was die hier machen, kann jederzeit eskalieren. Nie wieder möchte ich einen Krieg miterleben“, sagt ein älterer Herr mit Gehstock und goldgerahmter Sonnenbrille. Wie zum Beweis kramt er seinen Veteranenausweis hervor: Park Ho-kyu, 83 Jahre, eingezogen zum Koreakrieg mit 17. Sein größter Traum sei es, seine Heimat eines Tages wiedervereint zu sehen. Menschen wie Park Sang-hak würden diesen Traum nur gefährden.

An jenen Momenten entscheidet sich auch eine Grundsatzfrage: Wie soll man mit Nordkorea umgehen? Die Liberalen hoffen auf eine Reformierung des Staates durch wirtschaftliche Kooperation. Park und seine Aktivisten meinen: Die Nordkorea-Frage lässt sich nur lösen, wenn das Kim-Regime beseitigt ist. Durch Informationen möchten sie die Bevölkerung befreien.
Dabei wäre Park niemals auf die Idee gekommen, seine Privilegien in Pjöngjang aufzugeben. Erst als sein Vater ein Mordkomplott fürchtete, flüchtete die Familie nach China. Von dort aus ging es mit gefälschten Pässen weiter nach Seoul.

Vor drei Jahren entkam Park selbst nur knapp einem Anschlag. Ein nordkoreanischer Flüchtling hatte sich als Sympathisant seiner Aktionen ausgegeben und ein Treffen mit ihm vereinbart – tagsüber, an einer viel befahrenen Kreuzung. Doch auf halben Weg erhielt Park Sang-hak einen Anruf vom südkoreanischen Geheimdienst: Sein potenzieller Attentäter wurde verhaftet. Er trug eine tödliche Giftspritze bei sich, getarnt als Kugelschreiber. Umgerechnet 10.000 Euro waren ihm für seinen Auftragsmord versprochen worden, dahinter steckte der lange Arm Nordkoreas. Seitdem begleiten den Dissidenten rund um die Uhr zwei Zivilpolizisten. Doch einschüchtern lasse er sich nicht, sagt Park. Er werde weiterkämpfen, auch wenn es sein Leben koste.

In seiner Wahlheimat Seoul könnte er ein komfortables Leben als Intellektueller führen, und vielleicht hätte er das auch getan. Doch dann berichtete ihm ein Flüchtling aus seiner Heimatstadt, dass seine beiden Onkel ins Gefangenenlager eingewiesen und von den Wärtern zu Tode geprügelt worden waren. Ihre Kinder waren als Bettler auf der Straße gelandet. Solche Racheakte sind in Nordkorea nichts Ungewöhnliches. Am nächsten Tag kündigte Park seinen gut bezahlten Job und begann ein neues Leben als Aktivist. Das sei er seinem Volk schuldig, sagt er.

Park reiste nach Amerika und Japan, um an Protesten teilzunehmen. Einmal schlich er sich gar in Seoul bei einem Gipfeltreffen ein und bewarf einen nordkoreanischen Delegierten mit Wasserflaschen. Doch seine wahre Berufung hat er erst gefunden, seit er mit dem nordkoreanischen Volk direkt in Kontakt tritt – zumindest, wenn der Wind Richtung Norden weht.
An einem sonnigen Tag im Juni 2004 fuhr Park das erste Mal an die innerkoreanische Grenze. Dort kaufte er in einem kleinen Supermarkt 500 Kinderluftballons und befüllte jeden einzelnen mit zwei Flugblättern. Damals war er noch froh, dass die Ballons überhaupt Richtung Norden abhoben. Nach zehn Jahren Erfahrung ist er inzwischen aber längst Experte, wenn es um Meteorologie und Geodynamik geht.

Seine Ballons sind mit Timern ausgestattet, die sie zu einem vorgegebenen Zeitpunkt zum Absturz bringen – idealerweise über einem Ballungsgebiet, wo ihre Ladung möglichst viele Menschen erreicht. Acht Kilogramm kann ein Ballon tragen, das sind fast 20.000 Flyer. Mehrere Millionen Flugblättern schickt Park so jedes Jahr in den Norden, manchmal sind es auch DVDs oder Transistorradios. Regelmäßig melden sich Flüchtlinge bei ihm und erzählen, seine Flugblätter seien für sie der Anstoß zum Umdenken gewesen.

Doch an diesem Tag scheinen Parks Gegner die Oberhand gewonnen zu haben. Sie sehen, wie die Aktivisten-Gruppe in ihrem Bus Richtung Süden verschwindet – und hören so nicht mehr das Quietschen der Reifen, als der Wagen auf die Landstraße abbiegt. Mit 140 km/h donnert der Bus über rote Ampeln, wird verfolgt von einem kilometerlangen Autokorso aus Fernsehteams und Zivilpolizisten. An einem Observatorium nahe der Grenze bremst er sich sein. Nun geht alles sehr schnell: Park Sang-hak eilt hinaus und steigt auf eine kleine Leiter, den ersten Ballon hält er bereits in der Hand. Offensichtlich hat sich die Truppe in der Zwischenzeit über einen Mittelsmann Nachschub organisiert.

Doch die Zeit drängt, die Polizisten und seine Gegner rücken bereits an. „Wo sind die Flyer?“, ruft Park in die Menge, während ein Mann im schwarzen Anzug mit einem vollen Karton herbeieilt. Bevor er sein Ziel erreicht, wird er von einem Demonstranten zu Boden geworfen. Es bricht eine Massenschlägerei aus. Nachdem die Polizei den Menschenauflauf aufgelöst hat, liegen die Flyer verstreut im Gras. „Wir werden wiederkommen“, ruft der Mann im Anzug dem wütenden Mob hinterher.
„Es scheint, als ob die Gegendemonstranten ihr Ziel erreicht haben: „Kein einziger Ballon ist heute aufgestiegen“, sagt ein Reporter des Nachrichtensenders Al-Jazeera in die Kamera. Keine zwei Stunden später kursieren die ersten Bilder im Netz: Park Sang-hak schaut siegessicher in die Kamera, hinter ihm fliegt ein einzelner Ballon in den Nachthimmel. 20.000 Flyer werden bald Pjöngjang erreichen. Park hat alle ausgetrickst.

Auch seine Regierung: Vier Tage später, am Mittwoch vergangener Woche, sagte Nordkorea die für Donnerstag geplanten Friedensgespräche unter Hinweis auf Park ab.