Robert Treichler: Gott, ist der süß!

Warum Justin Trudeau sexy ist und Werner Faymann nicht.

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Justin Trudeau ist sexy. Ich brauche mich dabei nicht auf meinen eher schwach ausgeprägten Männergeschmack zu berufen. Ich weiß vielmehr, dass Millionen Menschen so denken. Der kanadische Premierminister ist 44 Jahre alt und sieht gut aus. Das ist aber nicht alles. Trudeau liefert noch einige andere – bessere – Gründe, warum er die „Trudeaumania“ ausgelöst hat, als Protagonist erotischer Fan-Romane taugt und den eher diskutablen Twitter-Hashtag „PMILF“ (Premierminister, die ich gern f… würde) abgekriegt hat. „Die sexieste Sache an Justin Trudeau ist sein Kabinett“, schrieb etwa die feministische Website „Jezebel.com“. Trudeau hatte bei Amtsantritt ein Regierungsteam präsentiert, das zu 50 Prozent aus Frauen besteht. Seine Antwort auf die Frage einer Journalistin, warum das so sei, wurde zum Kalenderspruch des Internetzeitalters: „Weil wir das Jahr 2015 schreiben.“

Jetzt wird Trudeau im Netz schon wieder angehimmelt. Wie hat er seinen Appeal neuerlich gepimpt? Er hat 25.000 syrische Flüchtlinge nach Kanada geholt. Wieder sind alle begeistert. Sehr sexy, der Mann!

Hm. 25.000 syrische Flüchtlinge? In einem Land mit über 35 Millionen Einwohnern und einer Bevölkerungsdichte, die 30 Mal geringer ist als die österreichische?

Da könnten wir doch versuchen, unseren Bundeskanzler Werner Faymann als sexy zu vermarkten. Der steht an der Spitze einer Regierung, die dieses Jahr 37.500 Flüchtlinge aufnimmt.

Könnten wir. Es wird aber nicht klappen, und das liegt nicht (nur) an Faymanns Aussehen.

Die Geschichte beginnt am 3. September des vergangenen Jahres. An diesem Tag wird die Leiche des drei Jahre alten Syrers Aylan Kurdi in der Türkei an Land gespült. Das Foto des toten Buben geht um die Welt. In Kanada löst der tragische Fall besonders starke Emotionen aus, denn er wird von einer Falschmeldung begleitet: Die Familie Kurdi habe die lebensgefährliche Flucht über das Mittelmeer in Richtung Griechenland erst angetreten, nachdem Kanada ihren Asylantrag abgelehnt hatte. Der damalige Einwanderungsminister Chris Alexander persönlich sei mit der Entscheidung befasst gewesen. Später stellt sich heraus, dass der Asylantrag im Namen eines Onkels gestellt worden war und nicht direkt die Familie betroffen hatte. Doch die Empörung der Kanadier ist groß, und Justin Trudeau erkennt das Positive an der Emotion: Seine Landsleute wollen den Syrern helfen.

Kanada wählte seinen neuen Premier für die Ankündigung, Flüchtlinge aufzunehmen.

Trudeau ist Oppositionspolitiker, die Wahlen stehen bevor, und so fordert er den regierenden Premier Stephen Harper heraus: Kanada solle bis Ende 2015 25.000 Syrer aufnehmen. Harper lehnt ab, Trudeau gewinnt die Wahlen und wird (wie sein Vater Pierre Trudeau Jahrzehnte vor ihm) Premierminister.

Trudeau wurde gewählt, weil er ankündigte, er wolle 25.000 Flüchtlinge aufnehmen. Nicht obwohl. Weil. Die Kanadier eint die Überzeugung, dass der kanadische Multikulturalismus, der die Einwanderer motiviert, ihre kulturellen Traditionen zu bewahren und gleichzeitig wertvolle Mitglieder der Gesellschaft zu werden, der richtige Umgang mit Immigranten sei. Hilfsbereitschaft gegenüber Flüchtlingen ist für sie kein Lippenbekenntnis. Trudeau las die Psyche seiner Landsleute besser als Harper.

Merke: Ein Premier ist nur so sexy wie seine Wähler.

Trudeau machte den nächsten Schritt. Als die ersten 163 Syrer in Kanada eintrafen, begrüßte er sie am Flughafen von Toronto, machte Selfies und sprach von einer „wundervollen Nacht“. Beim Weltwirtschaftsforum in Davos sagte er: „Wenn ich die Menschen aus Syrien bei uns empfange, dann empfange ich sie nicht als Flüchtlinge, sondern als künftige Kanadier und Motor unserer Wirtschaft.“

Ist der Vergleich mit Werner Faymann unfair? Ein wenig. Österreich war 2015 von der Zahl der Flüchtlinge ganz einfach überfordert, die Bundesregierung handelte zunächst menschlich, bis sie angesichts der anhaltenden Massenflucht die Nerven verlor. Faymann versuchte nie, die Ankunft der Flüchtlinge als ein positives Ereignis darzustellen, wie Trudeau es tat. Und er ließ zu, dass seine Regierung aus der Abwehr der Flüchtlinge eine ideologische Tugend machte. Ganz in der scheußlichen österreichischen Tradition, wonach es als Erfolgsnachweis gilt, wenn die Zahl der Asylansuchen möglichst gering ist.

Sexy ist anders.

Gleichzeitig tut es der Sexiness offenbar keinen Abbruch, eine Zahl festzulegen. Die Aufnahme der 25.000 Syrer ist mit etwas Verzögerung abgeschlossen. Die EU sollte Trudeau einladen, an einer Konferenz zur Verteilung von Hunderttausenden Flüchtlingen, die noch in Jordanien, im Libanon und in der Türkei warten, teilzunehmen. Trudeau hat seine Bereitschaft zur Hilfe unter Beweis gestellt, und er hat auch das nötige Prestige, um bei übertriebenen Forderungen Nein sagen zu können. Im Übrigen sollte er US-Präsident Barack Obama einladen, mitzukommen. Dieser war in den Jahren 2008ff. der sexieste Politiker des Universums, hat seinen Appeal bei der Aufnahme syrischer Flüchtlinge allerdings schändlich vermissen lassen.

Aber hey, es ist noch nichts verloren, sexy ist keine Frage des Alters.

Robert   Treichler

Robert Treichler

Ressortleitung Ausland, stellvertretender Chefredakteur