Die geteilte Stadt: Die Zäune, Sandsäcke und Wachtürme in Nikosia sind für die Zyprioten schon lange zum Alltag geworden.

Zypern: Fällt die Mauer diesmal?

Zypern ist das einzige Land der Welt, dessen Hauptstadt noch immer durch eine Grenze geteilt ist. Nun soll sie wieder einmal verschwinden.

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Das Taxi fährt über die verlassene Rollbahn. Vorbei an zerschossenen Häusern, im Gestrüpp rostet Stacheldraht. Dann und wann fragen bullige Männer mit blauen Barretten und Sonnenbrillen nach Ausweisen. Wer hier durchkommt, ist in der verbotenen Zone angekommen. Ein kleiner Salamander huscht über den heißen Beton.

Etwa zehn Minuten dauert die Fahrt durch das letzte Niemandsland der Europäischen Union. Hier, nahe des alten Flughafens von Nikosia, in einem weiß gestrichenen Haus hinter hohem Maschendrahtzaun treffen einander seit zwei Jahren regelmäßig zwei ältere Herren zu Kaffee, Gebäck und Feigen. Sie verhandeln, wie sie einen Konflikt lösen können, den viele außerhalb der Mittelmeerinsel schon lange vergessen haben.

Es ist der 14. September, kurz nach Mittag. Die Türen des UN-Hauptquartiers gehen auf, die Kameras klicken. In die Hitze treten: Nikos Anastasiades (70, der Präsident der Republik Zypern), Mustafa Akıncı (68, der Präsident der nur von der Türkei anerkannten Türkischen Republik von Nordzypern) und Espen Barth Eide (ein norwegischer UN-Diplomat, der vermitteln soll). Sie wollen Zypern nach mehr als einem Jahrzehnt des Schweigens wieder vereinen. Noch dieses Jahr könnte ein Plan stehen, im nächsten würde darüber abgestimmt. "Im Jahr 2016 gibt es zwei Hoffnungen für Frieden: Zypern und Kolumbien“, sagt Eide, die schwarzen Präsidenten-Limousinen verschwinden da schon aus dem staubigen Niemandsland.

In meinem eigenen Land will ich mich nicht wie ein Tourist fühlen. (Yoannis Katsourides)

Zypern, das war schon immer eine komplizierte Geschichte. Jahrhundertelang war die Insel von Großmächten besetzt, den Byzantinern, den Osmanen, den Briten. Als sie sich in den 1960er-Jahren endlich befreite und eine eigene Regierung ausrief, brach das Chaos los. Die einst Tür an Tür lebenden Zyprioten gerieten immer wieder aneinander, die griechischsprachigen gingen auf die türkischsprachigen los und umgekehrt. Frühere Freunde verrieten einander, Familien wurden vertrieben, entführt oder ermordet. Als nach Jahren der Tumulte im Jahr 1974 nationalistische Griechen auf der Insel putschten, schritt die Türkei ein. Sie besetzte den Norden der Insel, stationierte mehr als 30.000 Mann: Die griechischsprachigen Zyprioten flüchteten aus ihren Häusern in den Süden, die türkischsprachigen in den Norden. In der Mitte gingen die Mauern hoch. Heute ist Nikosia die einzige geteilte Hauptstadt der Welt. Sie ist von Wachtürmen, Maschendraht und Sandsackbarrikaden durchzogen, zwischen denen UN-Truppen patrouillieren. Es ist eine absurde Situation: Denn im Jahr 2004 trat die ganze Insel der EU bei. Doch der Norden hatte bereits 1983 seine eigene Republik ausgerufen, die allerdings nur von der Türkei anerkannt wurde.

In anderen Worten: Ein Teil der EU gehört nicht wirklich dazu und wird noch dazu von türkischen Soldaten kontrolliert. Die dort lebenden türkischsprachigen Zyprioten sind aber EU-Bürger, sie können sich um Pässe in der anerkannten Republik Zypern anstellen, dem Südteil. Die Zypernfrage, sie ist fransig, genau wie die Grenze, die durch die Insel verläuft und sie in "oben“ und "unten“ trennt. Nun soll die Frage gelöst werden. Es heißt, die Chancen dafür stehen so gut wie noch nie.

Yoannis Katsourides war schon oft drüben. Er flanierte vom Süden her die Ledra-Straße hinauf, an den Lichtern der Bars Nikosias vorbei, hat seinen Pass hergezeigt. Einmal den Polizisten in der Holzhütte neben den Bildern der Märtyrer aus dem Krieg. Ein zweites Mal den Polizisten in den in Neonlicht getauchten Containern. Dann war er im Norden, stapfte durch enge Gassen mit den Shops und Casinos. Es ist irgendwie normal geworden, die Grenze, die Sandsäcke, der Stacheldraht. "Ich gehe aber nur für Geschäftstermine rüber“, sagt Katsourides. "In meinem eigenen Land will ich mich nicht wie ein Tourist fühlen.“

Was den Wunsch nach Wiedervereinigung heute am stärksten antreibt, sind wohl die wirtschaftlichen Chancen.

Der Politikwissenschafter sitzt in einem Straßencafé in Nikosia, die UN-Puffer-Zone ist nur einen Steinwurf entfernt. Er weiß, wie die griechisch-zypriotische Politik tickt. Von ihr wird wohl abhängen, ob es eine Wiedervereinigung gibt. Sollten sich Atanasiades und Akıncı auf einen Plan einigen, müssen die Zyprioten abstimmen. Gerade der Süden ist ein Fragezeichen: Als der damalige UN-Generalsekretär Kofi Annan im Jahr 2004 einen fertigen Vertrag vorlegte, sagten rund 75 Prozent dazu "Nein“. "Wenn es diesmal anders ausgehen soll, muss Atansiades etwas Besseres anbieten“, sagt Katsourides. Die türkischen Soldaten müssten verschwinden, die Aufteilung der Macht in einer neuen Republik müsse genauso überzeugend geregelt sein wie der zukünftige Einfluss der Türkei oder die Frage nach den Entschädigungen für die im Jahr 1974 vertriebenen Familien. "Der Konflikt ist heute weitgehend gewaltfrei“, sagt Katsourides. "Aber wenn es diesmal nicht klappt, wird es nationalistischer, extremer.“ Vor ein paar Jahren gründete die rechtsextreme griechische Partei Morgenröte einen zypriotischen Ableger, die "Nationale Volksfront“. Dieses Jahr erreichte sie zwei Sitze im Parlament. "Dass nun wieder über die Zypernfrage diskutiert wird, hilft ihnen natürlich“, sagt Katsourides.

Es ist ein seltsames Problem, das sich in Zypern eingeschlichen hat: Der Konflikt scheint zum Alltag geworden zu sein. Das wirft eine andere Frage auf: Warum eine ungewisse Lösung riskieren, wenn es auch so geht? Die Soldaten an den Grenzen haben die Magazine aus den Gewehren genommen. Wenn ihnen langweilig ist, beschießen sie einander mit Glasmurmeln. Die UN-Mission wird nur noch als "Beach-Keeping“ bezeichnet (eine Anspielung auf "Peace-Keeping“). Auf den Balkonen des Blauhelm-Stützpunktes im Ledra-Palace-Hotel trocknen Badehosen.

Der Krieg von einst klang zu einer schmerzhaften Erinnerung ab, zu einem Schaulaufen der nationalistischen Symbole. Um die offene Wunde in der Mitte herum haben sich die zwei Systeme verfestigt, in denen sich die Politik eingerichtet hat. Was den Wunsch nach Wiedervereinigung heute am stärksten antreibt, sind wohl die wirtschaftlichen Chancen. Israelische und US-amerikanische Unternehmen wollen Gasfelder im Mittelmeer anzapfen, die Pipelines würden durch zypriotische Gewässer führen. Das alles ließe sich besser verhandeln, wenn es ein Zypern gäbe und nicht zwei. Die Wirtschaft würde wachsen, wenn die Grenze fällt. Und die Türkei könnte sich Hunderte Millionen Euro im Jahr sparen, die sie in das Budget das isolierten Nordens pumpt.

Wenn wir es jetzt nicht schaffen, dann werden wir die 82. türkische Provinz. (Hasip Eral)

Hasip Eral glaubt, dass es diesmal klappt. "Wir werden ein neues Zypern haben“, sagt er und schiebt sich noch mehr Köfte auf den Teller. Wie jeden Samstag sitzt der türkischsprachige Zypriote im Schatten der Selimiye-Moschee im Norden Nikosias. An fünf zusammengeschobenen Tischen isst hier der "Klub der Verräter“, eine Runde von Zyprioten von beiden Seiten der Grenze. Die Kinder von vertriebenen Familien sitzen Schulter an Schulter mit ehemaligen Soldaten. Sie gehören zu einer Generation, die sich erinnern kann, wie Zypern war, bevor es durch Krieg und Pogrome geteilt wurde.

Kommt es zu einem Referendum, würde der Norden hoffentlich mit "Ja“ stimmen, wie schon 2004, sagt Eral. Denn die türkischen Zyprioten sind zwischen der Grenze im Süden und dem großen Bruder im Norden eingeklemmt: Die türkische Botschaft bestimmt seit Jahren die Politik. Etwas weniger als die Hälfte sind anatolische Bauern, die konsequent angesiedelt werden. Der Norden stellt die Uhren wie das türkische Festland, von dort kommt sogar das Wasser über eine Pipeline. Etwas außerhalb von Nikosia lässt die türkische Regierung eine riesige Moschee bauen, obwohl nur wenige türkische Zyprioten religiös sind. "Wenn wir es jetzt nicht schaffen, dann werden wir die 82. türkische Provinz“, sagt Eral. "Das wollen die im Süden auch nicht, davon bin ich überzeugt.“

Die Recherchen zu dieser Geschichte wurden über das Stipendium "eurotours“ finanziert.