Marcel Reif: Das Ende der Romantik

Ballsaison – Die profil-Fußballkolumne von Marcel Reif.

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Wer möchte mit mir wetten, dass Red Bull Salzburg nicht österreichischer Meister wird? Vielleicht das Gros der Rapid-Fans, aber auch sie werden, wie immer in den letzten Jahren, verstehen lernen müssen, dass das Titel-Abo der aktuell stolpernden Bullen noch lange nicht ausgelaufen ist - vorausgesetzt, sie haben nicht den Hunger verloren und wollen die Schale wirklich. Ein österreichisches Phänomen? Genauso werden Chelsea, Paris St. Germain, FC Basel, Juventus Turin oder Barça und Real den Zeitpunkt selbst bestimmen, wann sie den begehrten Teller hochheben können. Wenn diese Vereine Lust auf den Titel haben, gibt es weit und breit niemanden, der ihnen in die Suppe spucken kann.

Und das bedeutet gleichzeitig auch das Ende der Fußball-Romantik. Aber wir sollten nicht lamentieren und über einseitige Ligaentscheidungen jammern, sondern endlich die Wahrheit akzeptieren. Das ist Fluch und Segen der Champions League.

Wer die Gruppenphase der Königsklasse erreicht, kann schon frühzeitig mit bis zu 40 Millionen Euro mehr planen als der Rest. Und wenn dann mindestens das Achtelfinale erreicht wird, sprudeln an die 50 Millionen zusätzlich ins Budget. Geld schießt eben doch Tore, auch wenn das hoffnungslosen Traditionalisten nur schwer über die Lippen kommt.

Die Schere geht immer weiter auseinander, und man sollte sich an die Moral von der Geschichte klammern: Es gibt nicht nur eine Meisterschaft, sondern mehrere.

In Deutschland geht der Teller ohne Zittern an den FC Bayern, dahinter spielen sich Klubs wie Dortmund, Wolfsburg, Gladbach oder Schalke die restlichen Plätze für die Champions League aus. Dahinter wiederum rauft eine Handvoll Vereine um die Plätze für die deutlich weniger lukrative Europa League. Dann folgt die Meisterschaft im Niemandsland, wo keiner an den großen Futtertrögen schnuppern darf, aber auch keine Angst vor dem tiefen Fall aufkommt. Last but not least existiert dann noch jener Teil der Liga, in dem es um den Relegationsplatz und den Abstieg geht.

Ein Riesenthema in der Bundesliga ist die immer stärker ans Tageslicht tretende Empfindlichkeit von Bayern-Trainer Pep Guardiola, der sich seit Monaten ziert, ein klares Bekenntnis zu den Münchnern abzugeben. Er macht aus allem ein großes Geheimnis und überfordert damit zuweilen seine Profis. Er streut viel Wind und Nebel, und ich kann mir nicht vorstellen, dass sich Bayern das noch ewig gefallen lassen wird.

Der legendäre und von mir sehr verehrte Fußball-Denker Jorge Valdano hat einmal gesagt: Der Verein ist größer als jeder Einzelne. Vor fünf Jahren drohte bereits Louis van Gaal die Bayern total zu übernehmen, jetzt scheint Pep auf einen ähnlichen Weg zuzusteuern. Den Wechsel der Identifikationsfigur Bastian Schweinsteiger zu Manchester United halte ich für eine Win-win-Situation. Die rationale Interpretation ist die, dass Bayern es ihm nicht mehr zutraut, 50 Spiele pro Saison auf allerhöchstem Niveau zu absolvieren. Fans denken allerdings sehr emotional, und sie werden seinen Abgang sofort Guardiola an den Hut heften, falls es nicht so läuft wie erwartet.

Gespannt bin ich auf das erste Jahr nach Klopp in Dortmund. Ich halte Thomas Tuchel für viel zu intelligent, als dass er sich darauf einlässt, Klopp zu kopieren. Tuchel hat einen klaren Plan, eine gute Ansprache, und die Frage ist, ob er bereit ist, auch ein paar Dinge zu bedienen, die der emotional ewig unter Strom stehende Klopp im Übermaß zelebriert hat.

In England drucken sie derzeit ihr Geld selbst, aber ich mache mir um die deutschen Topvereine keine Sorgen. Viel eher um den Mittelstand, dem jetzt durchschnittlich begabte Spieler mit Summen abgeworben werden, als gäbe es kein Morgen.

In Hamburg war noch kaum ein Ball gerollt, und schon rutschte die Stimmung nach dem Pokal-Aus wieder in den Keller. Ich habe den HSV immer mit viel Sympathie gesehen: ein wunderbares Stadion, Fans, die schon dankbar wären für ein bisschen vernünftigen Fußball, und ein wirtschaftliches Umfeld, das sich hinter München nicht verstecken müsste.

Alaba und Junuzovic haben verstanden, worum es im Fußball wirklich geht.

Wenn ich an österreichische Kicker denke, fällt mir sofort Buffy Ettmayer ein: ein Einzelartist unter der Zirkuskuppel und einer der lustigsten Spieler, die ich je kennenlernen durfte. Einer meiner Lieblingsspieler ist David Alaba, ein Segen für jeden Klub. Wie auch Zlatko Junuzovic, der das Freistoßschießen zu einer neuen Kunstform erhoben hat. Die beiden haben verstanden, worum es im Fußball wirklich geht - anders als der hochbegabte Marko Arnautovic in seinen Werder-Zeiten.

Großen Respekt zolle ich Peter Stöger. Wer es in einer aufgeheizten und verrückten Stadt wie Köln schafft, den oft übertriebenen Hype um den FC zu entschleunigen, der hat meine Hochachtung. Wer hätte gedacht, dass aus einem ehemaligen Kasperltheater auf einmal ein seriöser Verein wird? Besonders freue ich mich auf Spieler wie Kevin De Bruyne und Franck Ribéry. Ich hoffe sehr, dass Ribéry nicht durch den Hinterausgang verabschiedet wird, sondern noch öfter auf die große Bühne darf. Und bei De Bruyne kann ich meine klammheimliche Freude nicht verhehlen, dass auch der große José Mourinho nicht unfehlbar ist. Den heißesten Spieler Europas derartig falsch eingeschätzt zu haben, wird ihm so manche schlaflose Nacht bereiten.

Marcel Reif ist Grimme-Preisträger und kommentiert wöchentlich die Topspiele der Deutschen Bundesliga und der UEFA Champions League live auf Sky.