Marcel Reif: Der Fußballgott hat sich freigenommen

Ballsaison – Die profil-Fußballkolumne von Marcel Reif.

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Dass Bundesligatrainer eine eher geringe Halbwertszeit besitzen, ist im Knochengeschäft Profifußball nicht unbedingt neu. Aber dass ein Mann wie Lucien Favre in Mönchengladbach schon nach fünf Spieltagen von sich aus hinwirft, ist schon eine andere Qualität. Da wird mit Glanz und Glorie die Champions League erreicht; jeder hatte sich schon auf die Spiele im internationalen Rampenlicht gefreut - und dann dieser brutale Absturz! Es verbittet sich aus Respekt, von außen über die wahren Gründe zu spekulieren, und offensichtlich hatte der Schweizer Favre seine Demission schon öfter angeboten. Menschlich verständlich, aber im Profigeschäft hat Mitleid nicht viel Platz. Als Verein muss die Borussia sich einfach damit abfinden, dass ihre besten Spieler dem Lockruf der noch besser betuchten Konkurrenz folgen.

Sehr populär ist derzeit die Unterscheidung zwischen Konzepttrainern und Bauchtrainern. Thomas Tuchel, der Nachfolger von Jürgen Klopp als Trainer bei Borussia Dortmund, ist einer von denen, die selbst nie großen Fußball gespielt haben und mit Laptop und einer akademischen Ausbildung den Beruf des Fußballlehrers revolutionieren. Tuchel hat nach elf Pflichtspielsiegen en suite in Dortmund eine unglaubliche Lockerheit entwickelt. Kürzlich kam er nach dem Sieg gegen den russischen Klub FK Krasnodar in der Europa League aus dem Kabinengang des Stadions, und ich fragte ihn, ob er jetzt sogar schon über Wasser laufen könne. "Ja, geht“, lächelte er entwaffnend.

Am Dienstag bin ich nach Robert Lewandowskis fünftem Tor binnen neun Minuten aufgesprungen: Der Fußballgott war in die Allianz Arena gekommen und hatte Historisches geschaffen.

Lange Zeit galt José Mourinho als Vorbild für viele. Aber was sich der Portugiese bei Chelsea herausnimmt, wird immer schlimmer. Sein Stürmer Diego Costa benimmt sich auf dem Platz wie ein ungezogener Flegel, und Mourinho hat nichts Besseres zu tun, als ihn öffentlich dafür zu loben. Das ist schändlich und eine Provokation.

Am Dienstag bin ich nach Robert Lewandowskis fünftem Tor binnen neun Minuten aufgesprungen: Der Fußballgott war in die Allianz Arena gekommen und hatte Historisches geschaffen. Zuvor hatten wir bei Pep Guardiolas Aufstellung gegen Wolfsburg den Kopf geschüttelt, und tatsächlich tüftelte der Katalane so lange, bis er sich in eine Sackgasse manövriert hatte. Wie Schachfiguren hatte Pep die Spieler auf den Außenbahnen und im Zentrum hin und her geschoben. Zur Pause stand’s 0:1, der FC Bayern München vor großen Problemen. An diesem Tag war Guardiola nicht brillant. Als er schon ziemlich hilflos dastand, erschien plötzlich der Fußballgott, nahm sich einen Tag frei und ließ Lewandowski zaubern. Eine große, große Stunde. Das kann man nicht trainieren.

In Stuttgart werkt mit Alexander Zorniger einer, den Mehmet Scholl meinte, als er davon sprach, es gebe Trainer, die theoretisch viel wissen, aber von der Praxis wenig Ahnung haben. Immer gilt: Man muss sich an dem orientieren, was eine Mannschaft bieten kann. Schließlich leben wir in einer Leistungsgesellschaft, und wenn es einem Trainer nicht gelingt, erfolgreich zu sein, wird er ausgewechselt. Profisport ohne Ergebnisabhängigkeit wäre nichts wert.

Große Freude macht mir Kölns Trainer Peter Stöger, wenn er auf einem der fiebrigsten Pflaster Deutschlands nach einem Spiel ruhig erklärt, dass die anderen besser waren. Auch Ralph Hasenhüttl scheint ein schlauer Kerl zu sein. Er hat realistisch erkannt, dass seine Mannschaft eigentlich nicht konkurrenzfähig ist, und entwickelt daraus eine Spielidee, die bisher mehr als erfolgreich war. Trotzdem wird es für Ingolstadt ganz schwer, die Klasse zu halten.

Marcel Reif ist Grimme-Preisträger und kommentiert wöchentlich die Topspiele der Deutschen Bundesliga und der UEFA Champions League live auf Sky.