„Das mag ich nicht hören”

Maria Lassnig ist tot (1919-2014): ein Interview aus dem Jahr 2009

Aktuell. Maria Lassnig ist tot: ein Interview aus dem Jahr 2009

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Erschienen in profil 06/09 vom 02.02.2009

profil: Frau Lassnig, einer Ihrer aktuellen Gemäldezyklen heißt „Kellerbilder“. Dabei fällt einem unweigerlich die jüngste österreichische Kriminalgeschichte ein: die Fälle Kampusch und Am­stetten.
Maria Lassnig: Um Gottes willen, daran habe ich überhaupt nicht gedacht.

profil: Hat der Keller nicht auch eine ­symbolische Bedeutung, etwas sehr Bedrohliches?
Lassnig: Das kann man alles hineininterpretieren, aber die Situation war viel einfacher. Im Keller einer ehemaligen Schule in Kärnten ist nach einem Umbau alles Mögliche herumgestanden und -gelegen: Klos, eine Badewanne, furchtbar viel Plastikfolie. Freunde von mir haben damit gespielt, sich in Plastik gewickelt und in die Badewanne gelegt, das hat sehr seltsam ausgeschaut. Es war dieses Seltsame, das mich fasziniert hat, und das Plastik, mit dem ich schon vor Jahren gearbeitet habe. Das Schimmern des Plastiks verändert sich dauernd, da muss man sehr schnell malen. Das war also eine malerische Herausforderung, da war nichts Psychologisches dahinter. Ich habe mir gar nichts gedacht dabei. Was man malt, das hat man ja schon im Blut.

profil: Sie haben es jetzt im Blut, aber wie war das früher? Was hat ein junges Mädchen mitten im Zweiten Weltkrieg in Kärnten dazu bewogen, Malerin zu ­werden?
Lassnig: Ich bin zunächst, direkt von einer Klosterschule, in so einen Schnellsiedekurs zur Lehrerausbildung gekommen. Ich wusste nämlich nach der Schule nicht, was ich werden sollte. Ich hatte total vergessen, dass ich gut zeichnen konnte und das auch gern tat. Meine Mutter war überhaupt nur inter­essiert daran, dass ich einen Mann finde.

profil: Und wie haben Sie dann trotz allem zur Kunst gefunden?
Lassnig: Ich war auf einer Bergschule und zeichnete meine Schüler ab – unterrichtet habe ich sie natürlich auch; das waren so gescheite und schöne Kinder, schließlich hat ein Freund die Zeichnungen gesehen und gemeint, ich sollte damit nach Wien gehen. Also bin ich mit einer Kollegin mit dem Fahrrad nach Wien gefahren und plötzlich vor der Akademie gestanden, wo ich dann tatsächlich aufgenommen wurde; wahrscheinlich, weil meine Zeichnungen so etwas Bäuerliches hatten – und ich selbst ja auch, so im Dirndlgewand und mit Zopf.

profil: Sie waren zunächst in der Klasse von Wilhelm Dachauer, der sie später wegen angeblicher „Entartung“ hinausgeworfen hat. Was haben Sie denn Furchtbares ­gemalt?
Lassnig: Ich hab mich schon damals mit reinen Farben beschäftigt. Da war es nicht weit zum Kubismus.

profil: Wie haben Sie die Situation in der österreichischen Kunstszene nach dem Krieg in Erinnerung?
Lassnig: Es gab Ausstellungen der Besatzungsmächte, da probierte man alles Mögliche aus: Informel, Automatismus, Surrealismus, Tachismus.

profil: Schon damals fuhren Sie oft nach Paris.
Lassnig: Ich bekam ein Stipendium, wahrscheinlich über Vermittlung eines Franzosen, der während des Kriegs in Kärnten Zwangsarbeiter war. Mein Adoptivvater, Jakob Lassnig, ein Bäckermeister, war so ein guter Mensch und hat dem Franzosen immer Essen zugesteckt – dieser wollte mich schließlich sogar heiraten, aus Dankbarkeit wahrscheinlich.

profil: Als Sie nach Paris kamen, hatte diese Stadt ihre Bedeutung als Nabel der Kunstwelt schon verloren.
Lassnig: Aber es war ein brodelnder Topf, damals waren schon die Amerikaner da, Ileana Sonnabend zum Beispiel, die Frau des New Yorker Galeristen Leo Castelli. Man hat damals Pop Art und Op Art in Paris gesehen – Leute wie sie haben das alles nach Frankreich gebracht.

profil: Sind Sie wegen dieser Eindrücke und Kontakte in die USA gegangen?
Lassnig: Ja, weil ich Amerikaner kennen gelernt hatte, die der Meinung waren, Frauen hätten es viel leichter in Amerika.

profil: War es dann auch so?
Lassnig: Na sicher. In Frankreich lehnte man meine Kunst ab. Ich hatte bereits meine Körperbewusstseinsbilder gemalt, aber man fand, das sei deutscher Expressionismus. Davon wollte man nichts wissen.

profil: Ihre Malerei wurde als „Body Aware­ness Painting“ bekannt.
Lassnig: Mir ging es eben nicht um das äußere Bild des Menschen, sondern um seine inneren Gefühle – auch in diesen Strichzeichnungen, das waren ganz abstrakte Sachen, eigentlich sehr unsinnlich und absurd. Die Kunst, zumindest meine, hat aber immer etwas Absurdes.

profil: Ihre Körperbewusstseinsbilder malten Sie in einer Zeit, in der sich das Bewusstsein über die gesellschaftliche Rolle der Frau gerade radikal veränderte. Haben Sie sich je als feministische Künstlerin empfunden?
Lassnig: Nein! Ich habe nie etwas davon gehalten, bestimmte Arbeiten als „Frauenkunst“ zu bezeichnen – die Männer sollten sich schließlich auch damit auseinandersetzen. Die haben zum Beispiel kein Gefühl für ihren Körper. Das hängt mit dem Grad der Sensibilität und mit dem Grad der Zurückgezogenheit der Frauen zusammen. Die Frauen mussten sich immer weiter zurückziehen, weil sie erstens den Mund verboten bekamen und zweitens nicht so stark sind.

profil: Meinen Sie das in Bezug auf die Physis?
Lassnig: Ja, freilich. Und sie können sich nicht so ausleben, wie sie wollen.

profil: Sie konnten sich doch ausleben, als Sie in die USA gingen.
Lassnig: Ausgelebt hab ich mich auch nicht.

profil: Aber es gab in Ihrem Umfeld wohl immerhin ein Bewusstsein über den Mangel an Gleichberechtigung.
Lassnig: In Amerika ja. Da hielt zum Beispiel die Feministin Kate Millet in einem riesigen Theater eine Veranstaltung ab – und sie redete uns als „liebe Schwestern“ an. Ich war so gerührt darüber, dass wir alle Schwestern sein sollten. Dann zogen die Frauen herum, Fähnchen schwingend, vor den Museen, und schrien: „Wir sind nicht drinnen, wollen es aber auch sein.“ Dann teilten sie Fragebögen aus, in denen man zum Beispiel über Onanie befragt wurde – wie das zugeht, wo, was dazugehört. Das war interessant, man war ja prüde, ich überhaupt als Klosterschülerin. Jetzt ist es ja fast wieder so wie damals, jetzt sind sie alle plötzlich wieder verschämt.

profil: Dabei hat man das Gefühl, dass die Leute sich ihres Körpers heute viel bewusster sind als damals.
Lassnig: Aber nicht am richtigen Fleck! Nur um die Schönheit geht es!

profil: Dachten Sie in den USA irgendwann daran, nach Österreich zurückzu­kehren?
Lassnig: Eigentlich nicht. Erst als mich die Wissenschaftsministerin Hertha Firnberg anrief, mitten in der Nacht, ob ich zurückkommen wolle, als Lehrerin halt, an die Angewandte.

profil: Hat Sie das gefreut?
Lassnig: Verwundert hat es mich. Dass mein Ruf nach Österreich gedrungen war. Aber eigentlich wollte ich nicht. Dann hat sie es aber doch durchgesetzt – sie hat ein paarmal angerufen und schließlich gesagt, jetzt geb ich’s auf. Und dann erst bin ich interessiert gewesen! Weil mir ein Zahn ausgefallen war und es in den USA ja keine ärztliche Versorgung gab.

profil: Ihre Hochschulkarriere begann also sehr spät.
Lassnig: Es hat dafür sogar eine Lex Lassnig gegeben: Ich war 60, und da werden ja die meisten schon in Pension geschickt. Ich habe dann aber allerhand gemacht mit meinen Schülern, eine Zeichentrickklasse, das war auch neu.

profil: Was wollten Sie den Studenten vermitteln?
Lassnig: Dass sie was zu sagen haben sollten. Ich habe für meine eigenen Filme immer das Literarische, etwa meine Gedichte, genützt. Aber die Schüler haben nur Tachismus und Fleckerln und solche Dinge gemacht.

profil: Sie meinen, die Studenten nützten die Möglichkeiten des Mediums nicht aus?
Lassnig: Sie haben es anders aufgefasst. Aber große Zeichentrick-Künstler sind daraus nicht hervorgegangen.

profil: Sie haben gerade die Literatur erwähnt – wie wichtig war sie für Sie?
Lassnig: Ich nahm mit Vorliebe ganz schwierige Sachen aus den Büchereien mit – den Kant hab ich nach Hause geschleift, um einen ganzen Tag an einer Seite herumzukauen. So trainierte man den Geist ein bisschen, das war sehr wichtig für mich. So beginnt man auch, darüber nachzudenken, was man eigentlich macht.

profil: Neben Ihrer Hochschultätigkeit haben Sie zunehmend Anerkennung erfahren. Sie waren bei der Biennale in Venedig, zweimal auf der documenta in Kassel, haben den Großen Österreichischen Staatspreis erhalten. Haben Sie Grund, dafür dankbar zu sein?
Lassnig: Das hat mich überhaupt nicht beeindruckt. Das ist ja nur Österreich.

profil: Die documenta ist international, die Biennale auch.
Lassnig: In Deutschland habe ich zehnmal so viele Ausstellungen, fast jedes Jahr irgendwo in einer Stadt, in Kunstvereinen und Museen. Aber glauben Sie, ein einziger Sammler hätte etwas gekauft? Man wird ja erst wirklich bekannt, wenn die Sammler sich um die Bilder reißen.

profil: Dennoch erzielte 2007 bei den Wiener Kunst Auktionen ein Bild von Ihnen den höchsten Preis, der je für das Werk ­eines lebenden österreichischen Künstlers in einer Auktion bezahlt wurde.
Lassnig: Das mag ich nicht hören.

profil: Wir erwähnen es, weil Sie sich von den Sammlern missachtet fühlen.
Lassnig: Das ist ja wieder etwas anderes. Die deutschen Sammler, die sind jedenfalls Machos.

profil: Die wollen sich mit Ihrer Malerei nicht auseinandersetzen?
Lassnig: Nein – eine Frau kommt einfach nicht in ihre Sammlungen hinein.

profil: Sprechen Sie von jemand Be­stimmtem?
Lassnig: Nein, alle miteinander sind so.

profil: Es gibt aber, vor allem in Deutschland, auch Sammlerinnen, etwa Ingvild Goetz.
Lassnig: Ja, das sind aber ganz wenige. Manche sammeln auch nur Kunst von Frauen – und dann gibt es die Sammlerinnen, die nur Zeichnungen wollen: kleine Zeichnungen, ganz kleine Zeichnungen.

profil: Für Hermann Nitsch wurden inzwischen zwei eigene Museen gebaut, auch Arnulf Rainer bekommt eines. Hätten Sie eigentlich auch gern ein eigenes Museum – zum Beispiel in Kärnten?
Lassnig: Das hat man mich schon gefragt, aber damals gab es noch den Haider, das hätte der eröffnen und finanzieren müssen, und ich mochte den nicht, weil er Aussagen gemacht hatte, die alle Leute beleidigt haben.

profil: Und nach Haiders Tod?
Lassnig: Die Welt ist dadurch wahrscheinlich auch nicht viel anders da unten. Sie sind anders erzogen, die Kärntner, sie sind im Abseits irgendwie.

profil: Wenn das Museum in Wien wäre, hätten Sie nichts dagegen?
Lassnig: Sicher nicht, ich hab hier in dem Haus, in dem ich wohne, ja schon Räume gekauft. Aber das wäre zu klein. Und mir hat der Direktor des Ludwig Museums in Köln, Kaspar König, von einem Privatmuseum abgeraten. Er meint, das läuft finanziell nicht. Wenn ich die ganzen Bilder verteile, können die Museen zugreifen. Leider habe ich ja keine Nachkommen.

Interview: Horst Christoph, Nina Schedlmayer

Zur Person
Maria Lassnig, 1919 geboren im kärntnerischen Kappel am Krappfeld, unterrichtete zunächst als Volksschullehrerin. Nach ihrem Studium an der Akademie der bildenden Künste in Wien (1941 bis 1945) ging sie für einige Jahre zurück nach Kärnten. 1948 malte sie ihre ersten „Körperbewusstseinszeichnungen“ – später entwickelte sie diese zur „Body-Awareness-Malerei“ weiter, für die sie bekannt wurde. In den 1950er Jahren lernte sie in Wien die Künstler um die Galerie Nächst St. Stephan kennen. 1961 ging sie nach Paris, wo Surrealismus und Informel ihre Kunst beeinflussten; nach einem langen New-York-Aufenthalt (1968 bis 1980) kehrte sie nach Wien zurück, weil sie eine Professur an der Hochschule für angewandte Kunst erhielt. Es folgten Beteiligungen an der Biennale Venedig (1980, gemeinsam mit Valie Export) und an der Kasseler documenta (1982 sowie 1997). Sie erhielt den Großen Österreichischen Staatspreis (1988) sowie den Oskar-Kokoschka-Preis (1998). In der „Maria Lassnig Kantate“, ­einem ihrer Trickfilme, ließ sie 1992 auf selbstironische Art ihr Leben Revue passieren.