Anna Netrebko: "Ich habe viel Selbstvertrauen"
Primadonner: Auf Tuchfühlung mit Operndiva Anna Netrebko

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Interview: Angelika Hager, Fotos: Philipp Horak

Die Fassade des klassizistischen Palais Rasumofsky im 3. Wiener Gemeindebezirk ist bunt beleuchtet; davor stehen zwei mürrisch blickende Muskelberge. In den opulenten Gemäuern, in denen einst der Botschafter des Zaren, Fürst Kirillowitsch Rasumofsky, residierte, versammelt sich Russlands Bling-Bling-Elite mit Wohnsitz in Wien. Die Gesichter der Damen, besonders Nasen und Lippen, ähneln einander auffallend, die Roben glitzern um die Wette, der Schmuck ist groß und echt. Im Getümmel steht eine Vitrine, in der das von Anna Netrebko entworfene Teeservice für die Petersburger Porzellanmanufaktur „Imperial Porcelain“ zu sehen ist. Die handbemalten Teile mit „Aida“-Dekor und kräftigen Farben können online erworben werden – zu Preisen von 1871 Euro (limitierte Edition) bis zu 9249 Euro (super-limitierte Ausgabe, 50 Teile). Auf dem blank polierten Mahagonitisch einer Oligarchen-Yacht oder eines Nildampfers würde sich ein solches „Aida“-Service sicher fantastisch machen.

„Ich verabscheue Tee“, sagt Anna Netrebko in ein Mikrofon: „Ich trinke Tee wirklich nur, wenn ich krank bin.“ Die Gesichter ihrer Management-Entourage wirken in diesem Moment noch einen Tick versteinerter, aber immerhin wird „nichts Politisches, bloß nichts Politisches“ gefragt. Der Wirbel um die Fotos, welche „die erste Frau, die man mit der Callas in einem Atemzug nennen darf“ (so die „New York Times“), 2014 an der Seite des ukrainischen Seperatistenführers Oleg Zarjow mit der Neurussland-Flagge zeigten, scheint allen dann doch noch ein wenig im Magen zu liegen.

Die Netrebko ist nicht nur eine Jahrhundertstimme, sie hat auch das Starprinzip der elitären Opernwelt um eine völlig neue Facette bereichert: Sie ist einfach sie selbst, und das ausführlich. Für Mysterien und Geheimnisse bleibt da kein Platz mehr. Auf Instagram und Facebook postet sie so fröhlich wie hemmungslos ihr Abendessen (Hamburger mit Pommes), Dior-Stilettos und Urlaubsschnappschüsse mit ihrem Typ-Teddybär-Ehemann Yusif Eyvazov, einem Tenor, und ihrem achtjährigen Sohn Tiago (aus ihrer Liaison mit Erwin Schrott) – die ganze Familie häufig in grell gemusterten Ensembles (mit Designer-Nachweis) und trotz der exzentrischen Outfits und der schicken Locations erschreckend normal. Die Hochzeitszeremonie mit Eyvazov ist auf YouTube hautnah mit einem von ihr laut gebrüllten „Jaaaa!“ nachzuerleben. Auch über die Autismus-Krankheit ihres Sohnes gab sie bereitwillig in diversen Medien Auskunft.

Teeporzellan "Very Anna". Die erste Entwurfserie für "Imperial Porcelain" bei der Präsentation im feudalen Palais Rasumofsky.

Über dem Lebenskonzept der Anna Netrebko scheint das alte Theatermotto „Dezenz ist Schwäche“ zu hängen. Ihre Interviews hält die Tochter einer Ingenieurin und eines Geologen aus einer tristen südrussischen Industriestadt im unverfänglichen Plauderton, der Mediendonner, der heute Abend und eigentlich sowieso immer um sie veranstaltet wird, scheint sie noch immer zu erstaunen und durchaus auch zu amüsieren. Dabei wollte sie nie etwas anderes, als in der Topliga mitspielen. Und ja, die berühmte Geschichte, wonach Anna Netrebko als Konservatoriumsstudentin die Böden des Mariinski-Theaters im damaligen Leningrad schrubbte, um kostenlos Aufführungen und Proben besuchen zu dürfen, ist authentisch.

Diese nahezu unbedarfte Authentizität in Kombination mit ihrer Ausnahmebegabung und dem noch immer reichlich vorhandenen Sex-Appeal machen ihr Charisma aus. Bereitwillig erklärt sie, dass das Pepita-Kleid von Dolce & Gabbana stammt, und flüstert beim Abschied, dass sie das Gespräch deswegen im Stehen führen musste, weil es so „impossible to sit“ sei. Als einer der beiden heutigen Besitzer des Palais, der Galerist Antonis Stachel (neben dem Industriellen Adrian Riklin), in unser Gespräch brettert und ihr die Frage stellt: „Anna, wer ist Ihr liebster Homosexueller auf dieser Welt? Jede anständige Frau muss doch heutzutage einen homosexuellen Freund haben“, kichert sie: „Was soll ich sagen? Ich bin Opernsängerin – ich habe fast nur homosexuelle Freunde.“ Danach machen die beiden einander Komplimente über ihre glitzernden Schuhe. Alles „very Anna“ – eine Phrase, die an diesem Abend häufig zu hören ist.

profil: Wollen wir uns für das Interview dort drüben hinsetzen? Anna Netrebko: Nein, ich möchte lieber stehen. profil: Sie sind österreichische Staatsbürgerin. Haben Sie gewählt? Netrebko: Ja, das habe ich. profil: Offenbaren Sie uns das Geheimnis, für wen Sie sich entschieden haben? Netrebko: Nein, das tue ich nicht. Ich möchte auch nicht über den Wahlkampf sprechen. Nur so viel: Viele meiner Freunde waren sehr erleichtert, wie die Wahl am Ende ausgegangen ist. Ich bin ein Neuzugang in diesem Land. Alles, was ich mir wünschen kann, ist, dass dieses Land glücklich wird. Und wenn meine Freunde glücklich sind, bin ich das auch.

profil: Ihre Stimme animiert Musikkritiker zu poetischen Höhenflügen. Einer hat Ihren Sopran mit diamantdurchwirktem Samt verglichen. Wenn jemand Sie nach dem Geheimnis Ihrer Stimme fragt … Netrebko (lachend): … schicke ich ihn in die Hölle. Ich bin eine Sängerin. Ich höre mich nicht, ich denke nicht darüber nach, ich singe einfach. Die Stimme ist ein Instrument, ein Werkzeug. Viel mehr gibt es darüber nicht zu sagen. profil: Ihre Stimme hat sich nach der Geburt Ihres heute achtjährigen Sohnes verändert. Netrebko: Das ist richtig. Sie ist größer und dunkler geworden. Ich habe jetzt eine größere Bandbreite. profil: Können Sie auf dem Gipfel Ihres Ruhmes durch Kritiken noch gekränkt werden? Netrebko: Wenn sie kompetent und sachlich sind, setze ich mich natürlich damit auseinander. Aber meistens weiß ich selbst, was ich korrigieren muss. Ich ignoriere Kritiken, die nur gemein sind. Das geht in meinen Kopf hinein und auch schon wieder hinaus. Wenn du dich für diesen Beruf entschieden hast, darfst du dich von niemandem aufhalten lassen und musst immer nach vorne blicken.

Ich habe keine Heimat im herkömmlichen Sinn.

profil: Hatten Sie immer dieses Selbstvertrauen, was Ihr Talent betrifft? Netrebko: Im Großen und Ganzen ja. Ich habe viel Selbstvertrauen. profil: Opernsängerin zu sein, bedeutet auch, viel Disziplin zu haben, ständig im Flugzeug zu sitzen. Netrebko: Ja, ich habe keine Heimat im herkömmlichen Sinn. Dort, wo ich gerade singe, dort bin ich auch zu Hause. Und Wien ist meine Homebase, mein echtes Zuhause – wann immer es möglich ist, bin ich hier. profil: Jessye Norman war bekannt dafür, dass sie Tage vor ihren Auftritten nicht mehr sprach und sich nur durch Klopfzeichen mit ihrem Personal verständigte. Netrebko: Das mache ich nicht.

profil: Gibt es Rituale? Kein Knoblauch und kein Zwiebel aus Rücksicht auf die Partner, sagten Sie einmal auf CNN. Netrebko: Man sollte tatsächlich sehr wenig sprechen. Das Sprechen strapaziert die Stimme unnötig. Und ich trinke keinen Alkohol. Aircondition ist natürlich auch schwierig. Aber was soll man machen, es gibt eben überall Aircondition. profil: Trinken Sie generell keinen Alkohol? Netrebko: Nur vor Auftritten nicht. Ansonsten trinke ich durchaus ab und zu. profil: Es ist kein Geheimnis, dass Sie in Wien am Franziskanerplatz leben. Kennen Sie den Wiener Künstler André Heller, der eben eine Wohnung in diesem Haus erworben hat? Netrebko: Nein, leider, ich kenne ihn nicht.

Es macht mir auch Spaß, dieses Blond.

profil: Darf ich Sie fragen, warum Sie Ihr Haar neuerdings blond tragen? Netrebko: Warum nicht? Ich habe schon ziemlich viele graue Haare. Wenn ich schwarze Haare trage, muss ich alle zwei Wochen nachfärben. Das ist mühsam. Deswegen habe ich mich für blond entschieden – viel unkomplizierter. Es macht mir auch Spaß, dieses Blond. profil: Große Kollegen mussten in den letzten Jahren pausieren oder ihre Karrieren länger auf Eis legen. Warum sind diese Zwangspausen vor allem männlichen Stars auferlegt? Netrebko: Weil Männer zerbrechlicher sind als wir. Man muss auch intuitiv wissen, was man seiner Stimme zumuten darf. profil: Sie haben ein Teeservice für die jahrhundertealte russische Manufaktur „Imperial Porcelain“ gestaltet – mit den Motiven der „Aida“. Netrebko: Ich werde heuer auch in Salzburg die „Aida“ singen. profil: Wäre es für Sie eine große Katastrophe, wenn Sie nicht mehr singen könnten? Netrebko: Seien Sie sicher, ich würde eine Beschäftigung finden, die mir Spaß macht.

profil: Sie sind seit über einem Jahrzehnt der Superstar unter den Operndiven. Und sie sind – sehr ungewöhnlich für Opernstars – auch durchaus offen, was Ihr Privatleben betrifft. Ihre Familienurlaube mit Ihrem Sohn und Ihrem Mann sind für Ihre Fangemeinde auf Facebook, Instagram und Twitter nachzuerleben. Könnte das für Ihr Kind nicht auch eine ziemliche Belastung sein? Netrebko: Möglicherweise ist es manchmal zu viel für mein Kind. Aber was soll ich machen? Wir sind nun einmal öffentliche Personen. Und dennoch versuchen wir, ein quasi normales Leben zu führen, was ich für sehr wichtig halte. Wo immer wir hingehen, kommen Fotografen. Ich lade sie manchmal ein, uns zu begleiten, und plaudere mit ihnen. Ich habe nichts zu verbergen. profil: Seit Ihrem Sensationsdurchbruch 2002 bei den Salzburger Festspielen wird alle paar Monate eine „neue Anna Netrebko“ ausgerufen, die natürlich nie an das Original herankommt. Welche drei Ratschläge würden Sie jungen Sängerinnen mitgeben? Netrebko: Sei smart, talentiert – und wisse, dass du allein bist und dich am Ende des Tages nur auf dich selbst verlassen kannst.

Angelika   Hager

Angelika Hager

leitet das Gesellschafts-Ressort