„Erschießt die Fotze!”

Shitstorm gegen Conchita Wurst - jetzt auch bei Heinz Fischer

Internet. Hass-Hurricane gegen Conchita Wurst

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Von Manfred Klimek

Die Fahrt in die Dunkelheit dauert nur wenige Sekunden. Jeder kann sie antreten, der Reiseveranstalter heißt Facebook und residiert in Dublin. Die Reise führt auf Sites, in Threads und damit hin in einen Darkroom der Emotio-nen, die der Song-Contest-Sieg der Kunstfigur Conchita Wurst seit zwei Wochen zum Hochkochen bringt.

Der bekennende Homosexuelle und Travestiekünstler Thomas Neuwirth ließ seiner Kunstfigur einen gut gepflegten Bart stehen. Seine Botschaft: Auch als Frau will ich Mann bleiben! Bart und Botschaft spalten nun Europa. In West und Ost. Aber auch in das Europa der Migranten und jenes der autochthonen Bevölkerung. Zehntausende Männer zwischen 15 und 55 Jahren, die meisten davon mit Migrationshintergrund, lassen auf Facebook ihrem Hass auf Neuwirth und Wurst freien Lauf. Selten in der Geschichte sozialer Medien hat eine Person derart viele Beleidigungen einstecken müssen, selten wurde jemand auf Facebook so vehement mit körperlicher Gewalt und Mord bedroht. Viele dieser Menschen, die hier strafrechtlich Relevantes verbreiten, tun dies mit ihrem echten Namen, denn sie fühlen sich in der Gemeinschaft Gleichgesinnter sicher, sie leben mitten unter uns – als Supermarktkassier, als Polizist, als Heeresbeamter, als Mitarbeiter bei McDonald’s, als Automechaniker, oft aber als Sozialhilfeempfänger und auch als Jugendstrafgefangener. Nachzulesen ist das alles auf der öffentlichen Fansite von Conchita Wurst, die rund 750.000 „likes“ hat. Oder auf jener des österreichischen Bundespräsidenten Heinz Fischer mit rund 44.200 Daumen nach oben. Viele der Threads bei Conchita Wurst haben mehrere tausend Einträge – die meisten künden von Zustimmung und Unterstützung. Die verbale Brachialgewalt der auch nicht gerade kleinen Hassgemeinde lässt die „Freunde“ ratlos zurück. Die beiden frei einsehbaren Sites von Wurst und Fischer sind jedoch nur der Ausgangspunkt in eine nahezu unübersichtliche Welt privater Accounts und geschlossener Gruppen, oft mit tausenden Mitgliedern, die neben dem Hass auf Homosexuelle und Transsexuelle auch den Hass auf andere Feindbilder schüren. Die Opfer dieser Leute sind völlig unterschiedlich, wie auch ihre Helden. Doch zwei Feindbilder vereinen sie über alle Grenzen hinweg: die „Schwuchtelmafia” und das „Weltjudentum“. Auch unter dem Begriff „Judenjäger“ kann man in Facebook eine Zeit lang unzensuriert überleben.

Milan Spike (gefälschte Identität, aber Verifizierung möglich) aus Wien Donaustadt schreibt im öffentlichen Thread des Bundespräsidenten: „ich hätte es mit nem sperartackle auf den beton runter gehämmert. ohne hemmungen.“ Luciano Ibrahimovic (wahrscheinlich ein Klarname) lässt wissen „missgestalt alter ausgeburt der hölle und genau da wirst du auch verbrennen du hundesohn.“ Peter Wolf (Pseudonym ohne Möglichkeit der Verifikation) findet: „so was hätte man früher direkt von der bühne geschossen.“ Serkan Aslan aus Berlin (wahrscheinlich ein Klarname) fordert bei Heinz Fischer gemeinsam mit vielen anderen: „Erschießt die Fotze“. „Chill Out Nick“ (Pseudonym mit Möglichkeit der Verifikation), ein überzeugter Haschischraucher, hofft: „hoffentlich wirst du bald aus der stadt gejagt.“

Die Eintragungen wurden von den Mitarbeitern des Bundespräsidenten bis Donnerstagnachmittag vergangener Woche nicht gelöscht, die Site scheint generell nicht moderiert zu sein – eine extreme Nachlässigkeit und auch Zeichen, dass die Staatsspitze die Wirkung neuer Medien nicht begriffen hat. Astrid Salmhofer, Pressesprecherin von Heinz Fischer, widerspricht dieser Beobachtung: „Wir kontrollieren die Seite im Zehn- bis 15-Minuten-Takt. Am Sonntag nach dem Song Contest waren wir zu dritt damit beschäftigt, diffamierende Postings zu entfernen. Ein einziges Mal war die Seite für eine halbe Stunde lang unkontrolliert.“ Die Wahrnehmung von profil war eine andere.

Ob die Facebook-Profile der Hasser und Hetzer mit Klarnamen oder gebastelten Identitäten erstellt wurden, ist relativ leicht festzustellen, wenn man den Kommunikationsverkehr auf dem Facebook-Profil und die Glaubwürdigkeit der biografischen Details wie den Arbeitgeber, die Freunde und Vorlieben gescannt hat. Außerdem kann man mithilfe der Suchmaschine Google oft feststellen, ob ein Mensch im realen Leben existiert. Dominik Klein (ein Pseudonym), deutscher Staatsbürger, schreibt bei Conchita selbst: „Dich sollte man erschießen.“ Daniel Albrecht (Klarname) aus Ingolstadt: „Scheiß conchita I mogs orotzn!!“ Nicola Verga (Pseudonym mit Möglichkeit der Verifizierung): „verbrenne settmers“ (verbrennen sollten wir sie). Miram Faze (Klarname, Auszug): Sowas ist nur krank und ekelhaft! Was ist das für eine gesellschaftliche Entwicklung wo kommen wir auch hin mit solchen Analrittern?“ Aleksandra Novak (Klarname): „Hier geht es um Provokation der Normalität und Glorifizierung der Krankheit.“ Sven Narkotic (Pseudonym), ebenfalls ein Hanf-Fan: „dich hurenschlampe will man gar nicht sehen“. Markos Vanhelm (vermutlich Klarname) postet ein Bild aus dem Film „American Psycho”, das Hauptdarsteller Christian Bale laut lachend beim Morden mit der Axt zeigt. Die Botschaft ist angekommen und wird etliche Male geteilt. Arkan Boss (Pseudonym): „conchita gehört mit einem bassballschläger so lange verprügelt bis ihres hirn an die wand spritzt.“ Sein Arbeitskollege Kalvin Adana (Pseudonym, beide laut eigenen Angaben bei BMW tätig) möchte „dass man das conchita auf die bank legt einen staubsauger in den arsch sticht hahahaha und die scheisse raussaugt schwulensau.“ Neben jenen mit kleiner Gefolgschaft und wenig Radius äußern sich aber auch Menschen wie der Deutsche Torben Bruns, der mehrmals ein schlichtes: „Missgeburt“ in die Threads von ­Conchita Wurst stellt. Torben Bruns, wahrscheinlich kein Klarname, Selbstbezeichnung „Hurensohn“, hat 54.623 Face­book-Abonnenten und damit mehr ausgewiesene Fans als Bundespräsident Heinz Fischer – eine kleine Armee Jugendlicher, die gerne „Ziegelsteine ohne Grund“ (so einer seiner Leser) werfen würde. Bruns’ Weltbild kann man als speziell bezeichnen, er selber nennt sich „Weltprophet“ und hat laut eigenen Angaben die Bibel, den Talmud und den Koran gelesen. Sein seltsam wirres Profil teilen Tausende, seine Vorlieben auch. Und die finden sich bei allen männlichen Jugendlichen, die Conchita Wurst Verstümmelung und Tod wünschen. Es ist eine Welt aus Anabolika, Killergames, Splatterfilmen, Autotuning und großbusigen Pornodarstellerinnen. Frauen sind „Fotzen“ oder Mütter. Und Mütter sind Heilige, die Mütter der „Opfer“ werden „in den Arsch gefickt“, die Heimat – welche auch immer – ist ohne standhafte Verteidigung dem Untergang geweiht. Schuld daran ist die „Politik- und Schwulenmafia“, „verweichlichte Nicht-Menschen“, „entmenschte Kreaturen aus der Hölle, die man vogelfrei stempeln kann“.

Sollten diese tausenden Hassposter, die sich in deutschsprachigen, aber auch skandinavischen, französischen, holländischen und englischen Facebook-Threads austauschen, auch nur eine repräsentative Minderheit der zweiten und dritten Generation Zuwanderung darstellen, so können sich die Intergrationsbeauftragten schon mal die Frage stellen, was sie in den letzten 30 Jahren alles falsch gemacht haben. Doch auch autochthone Österreicher oder Deutsche haben viel gegen Conchita Wurst einzubringen. Die Sprache ist zwar weniger gewalttätig, das Anliegen aber identisch. Horst Reichel (offenbar ein Klarname) aus dem deutsch-tschechischen Grenzgebiet schreibt an Heinz Fischer: „Ich musste mich übergeben, ein einziges Sodoma und Gomorra!!“ Peter Strahser (verifizierbar) ebendort: „Wenn jemand eine Person mit Pimperl und Vollbart Frau nennt, dann betreibt er / sie auch biologische und germanistische Irreführung.“ Emese Joó (verifizierbar) aus Budapest meldet: „Die, die eine derartige Kreatur vor die europäische Öffentlichkeit schicken, sind verworfen.“ Stöbert man in den Profilen der Hassposter, so kann man nachlesen, wie sie ihre Meinung in andere Threads tragen, Diskussionen, deren Anlass Banales und Alltägliches ist. So wird ein Thread über Jeans bei H & M auch vom Hass auf Conchita Wurst infiziert.

Der Versuch, mit diesen Leuten in Kontakt zu kommen, gelingt nur, wenn man sich über eine Freundesanfrage Zutritt zu ihrer Facebook-Mail verschafft. Doch niemand schreibt zurück. Diese Welt hat die Rollläden längst runtergelassen. Eine Armee von Unsichtbaren, die auf ihre Zeit warten. „Der Krieg hat gerade begonnen“ schreibt der anonyme User Cesar Philby unmittelbar nach dem Gewinn von Conchita Wurst unter das Foto mit Heinz Fischer. Er bekommt dafür 36 likes.