Bawag & die Folgen: Rudolf der Zweite

Bawag-Folgen: Rudolf der Zweite

Porträt eines bedächtigen Aufsteigers: Hundstorfer

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Lang werde dieser „kommissarisch bestellte Rudolf Hundstorfer wohl nicht im Amt bleiben, schließlich sei er ja auch schon „jenseits der 60“, unkte vergangene Woche der Wiener Korrespondent der „Stuttgarter Zeitung“ in einer ausführlichen Darstellung der ÖGB-Krise. So sehr sich der Berichterstatter im Alter des interimistischen ÖGB-Präsidenten auch verschätzt hat – Hundstorfer ist 54 –, ein Stück Wahrheit trägt die Fehlinformation in sich: Der neue starke Mann in Österreichs Gewerkschaftsbewegung wirkte schon immer wie einer aus der „alten Garde“, schon damals in der Gewerkschaftsjugend.

Autorität, die ja das Alter bisweilen mit sich bringt, wird der gebürtige Wiener in den nächsten Monaten freilich brauchen: Vor Rudolf Hundstorfer liegt ein ganzes Gebirge an Problemen. Man habe die Turbulenzen, „die gesamte Dramatik des Bawag-Skandals“ falsch eingeschätzt, gab der Interims-Vorsitzende Freitag vergangener Woche im profil-Interview zu (siehe Seite 20).

Selbst ohne Bawag sind die Zores groß. Stetig, aber unaufhaltsam gehen die Mitgliederzahlen zurück, gewaltige 43 Millionen operativen Verlust hat der ÖGB im Jahr 2005 eingefahren; der Apparat ist aufgebläht, um Personalabbau werden die klammen Arbeitnehmervertreter wohl nicht herumkommen; die hauseigene Bank muss verkauft werden – wie viel davon beim ÖGB verbleibt, ist noch unklar; die Vorsitzenden der Einzelgewerkschaften – wiewohl bis auf eine Ausnahme durchwegs Sozialdemokraten – trauen einander nicht über den Weg. Und vor allem: Der Ruf ist ruiniert nach dieser Zockerei in der Karibik, nach diesem Vabanque mit dem Streikfonds, nach dieser großzügigen Verabschiedung jenes Generaldirektors, der die Suppe eingebrockt hat und jetzt auf südfranzösischen Golfplätzen Bräune tankt.

„Jetzt erst recht“. Nicht viel besser geht es dem „siamesischen Zwilling“ der Gewerkschaft, wie Gründervater Victor Adler seine Sozialdemokratische Partei genannt hat. Der ohnehin magere Vorsprung vor der ÖVP ist vorerst dahin. Dankbar orten die SPÖ-Spitzen jeden Sonnenstrahl in der Düsternis. „Jetzt erst recht!“ gab der zur Schlussveranstaltung von Alfred Gusenbauers „Startklar“-Tour nach Graz gereiste Michael Häupl die Durchhalteparole aus

„Man kann mir zur Hälfte gratulieren, zur Hälfte kondolieren“, zeigte sich ein blasser Rudolf Hundstorfer der Größe des vor ihm liegenden Projekts bewusst, als er Dienstag vergangener Woche, nach seiner vorläufigen Inthronisation als ÖGB-Präsident, die ersten Interviews gab.

Im innersten Kreis des ÖGB hatte Hundstorfer bis vor Kurzem keine Rolle gespielt. Wenn von „Rudi“ die Rede war, dann war Metallerchef Rudolf Nürnberger gemeint. Hundstorfer ist im ÖGB höchstens Rudolf der Zweite. Niemand kam auf die Idee, ihn als Kronprinzen zu bezeichnen. Die Verzetnitsch-Nachfolge war – wann immer sie anstehen mochte – eine Sache zwischen den beiden Großen, also zwischen den Gewerkschaften der Metallarbeiter und der Privatangestellten. Dass schließlich ein Gemeindebediensteter zum Zug kam, ist Folge einer letzten Finte des scheidenden Fritz Verzetnitsch (siehe Kasten Seite 19).

Dabei ist kaum einer länger bei der Truppe als Hundstorfer: Seit 37 Jahren ist er Gewerkschaftsfunktionär, seit dreißig Jahren übt er seine Funktion als Beruf aus. Das Curriculum des Rudolf Hundstorfer ist fast ein Klassiker: Geboren in einer tiefroten Familie im vorstädtischen Milieu von Wien-Floridsdorf, in dem der Begriff Arbeitslosigkeit kein theoretischer war, geht er mit 15 von der Schule ab und wird Kanzleibediensteter im Rechnungsamt des Wiener Magistrats: „Ich war einfach kein guter Schüler.“ Später wird er versuchen, die Abendmatura zu machen und an Latein scheitern.

Im Amt steckt man ihn ins Referat für Hundesteuer. Jeans im Dienst sind damals, 1967, verpönt, die Haare dürfen nicht an den Hemdkragen stoßen. Hans Baumgartner, einer seiner Kollegen von damals, der die Abendmatura schaffte und heute als Arzt am Geriatriezentrum Liesing arbeitet, erzählt, „der Rudi“ sei damals für sein Alter „unglaublich besonnen“ gewesen, „alles andere als ein Hitzkopf“. Mit 17 ist der besonnene Lehrling Jugendvertrauensmann der Gewerkschaft der Gemeindebediensteten, im Alter von 25 wird er als Personalvertreter vom Dienst freigestellt.

Lange lebte Hundstorfer in einer Mietwohnung in seinem Heimatbezirk Floridsdorf, seit einigen Jahren wohnt er in Wien-Josefstadt, in der Nähe des Rathauses. Dreimal hat er geheiratet, allerdings zweimal dieselbe Frau. Ein Zeichen für Beständigkeit? Politisch ressortiert Rudolf Hundstorfer jedenfalls immer noch nach Floridsdorf, in dessen Bezirksteil Stammersdorf sich die für ihn zuständige SPÖ-Sektion befindet. Die Mehrheitsverhältnisse dort sind bequem: Die SPÖ fährt seit 1945 eine sichere absolute Mehrheit ein. Das gesellschaftliche SPÖ-Ereignis des Jahres ist – dem Heurigenort Stammersdorf angemessen – der „Ball der alten Drahrer“. Feine Herren wie Helmut „Marcel“ Elsner würden dort nie den Fuß über die Saalschwelle setzen.

In der Welt des Glamours ist Rudolf Hundstorfer nicht zu Hause, aber auf sein Philharmoniker-Abo ist er stolz. Er verdient etwa 12.000 Euro brutto im Monat, aber am vergangenen Wochenende war er beim Preisschnapsen in Bad Vöslau. Die ausgelobten Preise waren unter anderem hintere Schweinsstelzen.

Konfliktvermeidung. Beständig, aber nicht rasant verlief seine Karriere: Zuerst wird er Sekretär der Gemeindebediensteten-Gewerkschaft, dann deren Chef; er wird Mitglied im Wiener Gemeinderat, dann dessen Vorsitzender. Als Arbeitnehmervertreter lebt er in der geschützten Welt des Rathauses; wenn er mit der Gegenseite verhandelt, verhandelt er mit Parteifreunden, oft sogar mit alten Spezis aus der Jugendorganisation.

Die Einschätzungen von höchst unterschiedlichen Kontrahenten sprechen dafür, dass Hundstorfer Konfliktfreiheit auch im Umgang mit dem politischen Gegner sucht. „Er ist ein sehr angenehmer Kollege, der allerdings des Öfteren mit sich selbst zu verhandeln pflegt“, befundet etwa Peter Pilz, lange Zeit gemeinsam mit Hundstorfer im Wiener Landtag, für seine Begiffe überaus milde.1)

„Ein umgänglicher, freundlicher Mensch, eigentlich eine angenehme Erscheinung, sicher kein Ideologe“, kann selbst Peter Westenthaler, als FPÖ-Abgeordneter neun Jahre lang Gemeinderatskollege Hundstorfers, dem interimistischen ÖGB-Präsidenten Gutes abgewinnen.

Die junge Stadträtin Sonja Wehsely (SPÖ), die als Personalstadträtin mit Hundstorfer die Gehälter ausmachen muss, schätzt ihn „als ziemlich harten Verhandler, der aber sein Wort hält“. Matthias Tschirf, Klubobmann der Wiener ÖVP im Landtag, hält ihn für einen „sehr wendigen, sehr geschickten und sehr schwer auf etwas festlegbaren Politikertypus – ein klassischer Sozialpartner“. Für seine Gemeindebediensteten hole Hundstorfer „durchaus einiges heraus“, meint Tschirf, „und das meist ohne Konflikt“.

Kampf um Pensionsprivilegien. Einige Auswüchse des Wiener Beamtendienstrechts musste der hauptamtliche Bewahrer der viel zitierten wohlerworbenen Rechte freilich schon preisgeben. Als etwa 1996 Zulagen wie die „Entwesungsprämie für Desinfektionsgehilfen“ oder die „Kapazitätsprobenvergütung für die Überprüfung von Notbeleuchtungsanlagen in Theatern und Kinos außerhalb der normalen Arbeitszeit“ zur Debatte stehen, räumte auch Hundstorfer ein, der Zulagenkatalog sei „etwas extrem zu lesen“. Drei Jahre später wurde für die Gemeindebediensteten erstmals (!) eine „Leistungsfeststellung“ eingeführt: Beamte, die nicht die entsprechende Leistung brachten – also mehr oder weniger den Dienst verweigerten –, kann seither das Gehalt gekürzt werden, im Extremfall sind sogar nun Kündigungen möglich. In der geschützten Welt des Rudolf Hundstorfer war „das, was wir hier gemacht haben, schon a bissl a Revolution“, erzählte er hernach stolz der „Presse“.

Bei der Beamtenpension kämpfte der oberste Personalvertreter der Gemeindebediensteten allerdings wie ein Löwe. Während die ASVG-Versicherten – also Arbeiter und Angestellte in der Privatwirtschaft – von Wolfgang Schüssels Pensionsreform arg zerzaust wurden und auch Fritz Neugebauers schwarze Bundesbeamtengewerkschaft nur einen Teil der Vergünstigungen rettete, bestand Hundstorfer auf langen Übergangsfristen. So sind Wiener Gemeindebedienstete erst ab 2020 von der Anhebung des Pensionsalters auf 65 Jahre voll betroffen. Die Verlängerung des Zeitraums zur Pensionsberechnung auf 40 Jahre erfolgt bei Bundesbeamten schrittweise bis 2028, in Wien wird sie erst 2042 erreicht.

150 Millionen Euro koste die Gemeinde Wien diese Kulanz, warf ÖVP-Landesgeschäftsführer Norbert Walter der damaligen Wiener Personalstadträtin Renate Brauner (SPÖ) vor. Arbeitgebervertreterin Brauner blieb ungerührt: Dies sei „eine zukunftsweisende Pensionsreform mit sozialem Augenmaߓ. „Die ÖVP wird doch nicht im Ernst glauben, dass Wien die unsozialen Regelungen des Bundes übernimmt“, ergänzte Hundstorfer offenbar echt verwundert.

Sozialpartnerschaft ganz in Rot.
Stadtverwaltung und SPÖ pflegen ihre Gemeindebediensteten liebevoll. 85 Prozent der Stimmen erreichten die Sozialdemokraten 2002 bei den Personalvertretungswahlen. Schreibtischhengste sind die wenigsten der 70.000 Gemeindebeamten: Nur zehn Prozent sind in der Hoheitsverwaltung tätig.

Beim traditionellen Maiaufmarsch der Wiener SPÖ stellen die Straßenbahner, E-Werks-Arbeiter und Krankenschwestern gewaltige Blöcke. Die nach ihrer zuständigen Magistratsabteilung „48er“ genannten Männer von der Müllabfuhr genießen in Wien das Image von mittleren Managern. Als sich der rote Wiener Finanzstadtrat Sepp Rieder Ende Dezember 2005 erdreistete, laut über die Ausgliederung der Müllabfuhr nachzudenken, wurde Rudolf Hundstorfer ausnahmsweise beinahe richtig böse. „Mit großer Empörung und Verwunderung“ quittierte er den Plan seines Genossen Rieder. Bitterer Nachsatz: „Die Bediensteten hätten sich zum Jahreswechsel statt so einer Idee ein Dankeschön verdient. Kämpferisch stellte er seine harten Worte gegen den Parteifreund auf die Internet-Seite der SP-Gewerkschafter. Wohl weil im Mai in Wien wieder Personalvertretungswahlen anstehen und Hundstorfer den starken Mann spielen will, vermuteten die Christgewerkschafter, die unter den Wiener Gemeindebediensteten nur eine Minifraktion stellen.

Scharfe Töne sind normalerweise tatsächlich nicht die Sache des Rudolf Hundstorfer. „Das liebe Lächeln ist jetzt vorbei, nicht böse sein“, vermerkt etwa das Gemeinderatsprotokoll vom 28. Februar dieses Jahres eine putzige Hundstorfer-Zurechtweisung nach einer erbitterten Redeschlacht im Wiener Stadtparlament.

Härtere Gangart. Möglich, dass er in den kommenden Monaten härtere Töne riskieren muss. Er selbst bekommt sie bereits zu hören. Bei der Betriebsversammlung der Bawag-Mitarbeiter am Montag vergangener Woche schlug dem Interimspräsidenten bisweilen blanke Wut entgegen. Ein Mitarbeiter erzählte empört, in seiner Abteilung sei ein Kollege wegen eines vergleichsweise geringfügigen Fehlers fristlos entlassen worden, während die ehemaligen Bawag-Generaldirektoren fett versorgt ins Dolcefarniente gleiten konnten. Spontanen Applaus gab es für die Forderung, alle Gewerkschaftsfunktionäre sollten sich von ihren politischen Mandaten verabschieden.

Der Gemeinderatsvorsitzende Rudolf Hundstorfer zuckte merklich zusammen.

Die Betriebsversammlung der rund tausend ÖGB-Angestellten verlief für ihn tags darauf kaum angenehmer. Er verspreche, dass wegen der geplanten Organisationsreform niemand gekündigt werde, beruhigte Hundstorfer die Anwesenden. Wie das gehen soll, weiß angesichts der Flaute in der Kassa allerdings niemand. Bis Herbst 2007 soll die neue ÖGB-Struktur stehen. Am Ende, so die Prognose von Eingeweihten, werde es einen starken Machtzuwachs der Einzelgewerkschaften zulasten der Gesamtorganisation geben. Das „Dach“ ÖGB werde dann nur noch Koordinationsstelle für die Sozialpartnerschaft sein.

Zuvor muss Hundstorfer die ob der Vorfälle in der Bawag schwer erbosten Vorsitzenden der Einzelgewerkschaften beschwichtigen. So zeigte sich etwa Druckerchef Franz Bittner fuchsteufelswild über den Umstand, dass Ex-Präsident Fritz Verzetnitsch die ehemaligen Bawag-Generaldirektoren Elsner und Zwettler trotz der verjubelten Spekulationsmillionen mit güldenem Handshake verabschiedete. Eisenbahnergewerkschafter Wilhelm Haberzettl, Kandidat des ÖGB-Reformerflügels, kritisierte vergangenen Samstag im „Kurier“, der ÖGB habe die Themen Steuer- und Sozialpolitik „im Parlament suboptimal besetzt“. Die ÖGB-Vertreter im Nationalrat hießen Fritz Verzetnitsch und Rudolf Nürnberger.

Frauen und Damen. Dwora Stein, die Geschäftsführerin der Privatangestelltengewerkschaft und neue Vizechefin des Bawag-Aufsichtsrats, nahm am Sonntag, ebenfalls in einem „Kurier“-Interview, Hundstorfer selbst aufs Korn. Dieser hatte sich in einem TV-Interview nicht entschließen können, ob er nur von den „Frauen im ÖGB“ oder den „Damen im ÖGB“ sprechen sollte. Stein ätzend: Sie hoffe auf „die Unterstützung von Frauen und von Männern, die ein anderes Bild von Frauen haben und nicht mehr überlegen müssen, ob sie von Damen oder Frauen sprechen“.

Der Geborgenheit des Wiener Rathauses dürfte Rudolf Hundstorfer in den kommenden Monaten noch oft nachtrauern. Am Abend nach seiner Bestellung zum ÖGB-Präsidenten habe er mit seiner Frau jedenfalls eine Flasche Schampus geköpft, erzählt er: „Wer weiß schon, wann es wieder etwas zu feiern gibt.“

Von Herbert Lackner und Christa Zöchling