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Bundesheer. Kein Konzept, keine Strategie, keine Reform, dafür drastische Budgetkürzungen

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Stramm schritt er gemeinsam mit dem burgenländischen Landeshauptmann Hans Niessl die Ehrenkompanie ab. Zu den Klängen der lokalen Militärkapelle eröffnete Verteidigungsminister Norbert Darabos am vergangenen Mittwoch in der Benedek-Kaserne in Bruckneudorf eine neue Heerestruppenschule. Dass just während seiner Ansprache die Tonanlage ausfiel, sorgte für Heiterkeit unter den Ehrengästen. „Wahrscheinlich ein Sabotageakt eines Anhängers der Wehrpflicht“, witzelte ein Besucher.
Darabos nutzte den Festakt unbeirrt zur Werbung für seine Reformpläne in Richtung Berufsheer, das die 1955 eingeführte Wehrpflicht ablösen soll. Das Bundesheer dürfe sich nicht länger hauptsächlich mit der eigenen Verwaltung beschäftigen, sondern mit den Kernaufgaben, mahnte der Ressortchef. Personal- und Verwaltungskosten in der Höhe von derzeit 65 Prozent des Budgets seien nicht mehr akzeptabel.

Die neue Truppenschule in Bruckneudorf passt gut zum aktuellen Sparpaket. Erstmals hat die Bundesimmobiliengesellschaft ein Heeresgebäude errichtet, dessen Baukosten nicht sofort und zur Gänze das Militärbudget belasten. Für die 15 Millionen Euro teure Immobilie bezahlt das Heer jährlich eine Million an Miete. „Vielleicht nicht unbedingt die billigste Lösung, aber dafür budgetschonend“, rechnete Darabos beim Empfang mit Schnitzel aus der Truppenküche und burgenländischem Wein vor.

Auch Landeshauptmann Hans Niessl (SPÖ) warb dort für die Schaffung eines „Profi-Heers“: „Das ist ein Konzept für die Zukunft, das leider vom Koalitionspartner abgelehnt wird“, so Niessl. „Aber ein Großteil der Österreicher ist sicher für ein Berufsheer mit Milizkomponente zu gewinnen.“ Einspruch gebe es vorwiegend aus der älteren Generation, die meine, „dass ein paar Monate Grundwehrdienst einem jungen Mann noch nie geschadet haben“.

Doch die Debatte um die Zukunft des Bundesheers steckt zwischen den unverrückbaren Koalitionsfronten fest. Seit sich die ÖVP unter Vizekanzler Michael Spindelegger auf die Beibehaltung der allgemeinen Wehrpflicht festgelegt hat, liegen die Reformpläne von Darabos auf Eis. Vor den nächsten Nationalratswahlen ist keine Entscheidung mehr zu erwarten. Nicht einmal die schon vor einem Jahr vom Ministerrat abgesegnete neue „Sicherheitsstrategie“, in der die Aufgaben des Bundesheers nach dem Ende des Kalten Kriegs aufgelistet werden, wurde im Parlament beschlossen. Grund: Die ÖVP verlangt eine Verankerung der Wehrpflicht, was die SPÖ entschieden ablehnt.

Die Kontroverse rund um den von Da­rabos abgelösten Generalstabschef Edmund Entacher, der Anfang 2011 in einem profil-Interview vor einem Abgehen von der Wehrpflicht gewarnt hatte, hat die Berufsarmee-Pläne von Darabos zusätzlich durchkreuzt.

Die aktuellen Sparvorgaben verschärfen die Lage zusätzlich. „Die Stimmung im Heer ist zurzeit katastrophal“, betont ein Brigadier. „Der Minister ist für uns nicht sichtbar. Entscheidungen werden meist im Alleingang von seinem Kabinett getroffen. Und wir müssen es nachher ausbaden.“

Der Entminungsdienst des Innenministeriums soll samt Beamten ins Bundesheer übersiedeln. Damit – so warnen Insider – kommen auch teure laufende Regressverfahren über die Kosten der Beseitigung von Fliegerbomben auf das Heeresbudget zu. „Wir haben zusätzliche Aufgaben übernommen, aber kriegen dafür weniger Geld“, glaubt ein hoher Offizier.
Ähnlich könnte es bei der geplanten Zusammenlegung des Heeresgeschichtlichen Museums mit dem Staatsarchiv ablaufen. Laut Darabos sei aber noch offen, ob er oder der Bundeskanzler die fusionierten Ämter finanzieren müsse. „Ich kann mir derzeit nur Synergieeffekte beim Management vorstellen“, so Darabos.

Zugestimmt hat Darabos dem Beschluss, die als Ausgleich für die bessere Bezahlung im Polizeidienst eingeführte 41. Wochenstunde für Berufssoldaten nicht länger auszuzahlen. Doch für niedrige Dienstgrade hätte dies eine Gehaltseinbuße von bis zu sechs Prozent bedeutet. Erst im Nachhinein erreichte die Gewerkschaft eine soziale Abfederung. Bis zu einem Bruttogehalt von 3000 Euro wird der Verlust über eine Überstundenpauschalierung ausgeglichen.

Doch die Sparauflagen gehen an die Substanz: Das Bundesheer muss bis zum Jahr 2016 über 600 Millionen Euro einsparen. Gemeinsam mit den früheren Beschlüssen von Loipersdorf ist es mehr als eine Milliarde Euro.
Und obwohl Darabos kürzlich forsch ankündigte, bis 2016 jeden sechsten Posten in der Heeresverwaltung mit rund 13.000 Bediensteten einzusparen, werden sich die Personalkosten dennoch – vor allem durch Gehaltsvorrückungen der älteren Bediensteten – weiter erhöhen. Sie werden nach heeresinternen Schätzungen von derzeit 60 Prozent bis 2016 auf 67 Prozent des Heeresbudgets ansteigen (siehe Grafik) – mit drastischen Folgen: Die für Investitionen zur Verfügung stehenden Mittel werden bis zum Jahr 2022 auf null zurückfallen.

„Da kann man nicht länger von Gesundschrumpfen reden“, kritisiert der Militärkommandant von Niederösterreich, Rudolf Striedinger, im Gespräch mit profil. „Wenn man bei der Ausrüstung so radikal spart, verlieren wir den Anschluss an die internationale Entwicklung.“ Auch das derzeitige auf Wehrpflichtigen basierende Modell sei akut gefährdet. „Schließlich kosten auch Grundwehrdiener Geld“, so Striedinger.

Der nach seinem Sieg in der Berufungsverhandlung gegen seine Absetzung wieder amtierende Generalstabschef Edmund Entacher erkennt zwar die Notwendigkeit von Reformen und Einsparungen an, aber er will wegen der reduzierten Finanzmittel „Kapazitätseinbußen“ beim Katastrophenschutz und bei Auslandseinsätzen nicht länger ausschließen. Ein Berufsheer könne die jetzt vom Bundesheer erbrachten Leistungen nur dann erfüllen, wenn es mehr Mittel bekomme, nicht weniger.

Aber das erscheint wegen der angespannten Budgetlage unrealistisch. Andere europäische Länder, die zum Berufsheer umgestiegen sind, wie die Niederlande, Schweden, Dänemark oder Belgien, hätten ein bis zu dreimal höheres Budget als ­Österreich zur Verfügung, selbst wenn
man Ausgaben für die Marine abziehe, so En­tacher.

Auch der scheidende Streitkräftekommandant Generalleutnant Günther Höfler warnt vor massiven Einschnitten: „Ich glaube, wir haben eine Grenze erreicht, wo die Sicherheit mittelfristig gefährdet ist.“ Die jetzt noch vorbildlich ablaufenden und international gelobten Auslandseinsätze des Bundesheers mit 1500 Soldaten sind damit auch gefährdet.
Darabos lässt solche Einwände nicht gelten. „Wir haben sogar Rücklagen in der Höhe von 200 Millionen gebildet. Von Kaputtsparen kann also keine Rede sein.“

„Unser Weg in Richtung Berufsheer mit einer Milizkomponente ist absolut richtig“, glaubt auch Generalmajor Karl Schmids­eder, der frühere Militärkommandant von Wien, der vor einem Jahr als Stabschef ins Kabinett von Darabos wechselte. Der Trend geht in Richtung internationale Kooperation, auch im Rahmen der EU, und in Richtung Aufgabenteilung. „Ich stelle bewusst die Frage: Muss jede Armee eines kleineren Landes tatsächlich alle Aufgaben allein zu hundert Prozent erfüllen? Wir können in einigen Bereichen sicher mit anderen EU-Nachbarländern kooperieren. Auch das spart Kosten“, so Schmidseder. Freilich bedeutet die Neutralität Österreichs, dass man teure Abfangjäger betreiben muss, während sich etwa Slowenien seinen Luftraum von der italienischen Armee überwachen lässt.

„Ohne Grundwehrdiener sind die derzeitigen Aufgaben – gerade auch beim Katas­trophenschutz – nicht zu erfüllen, schon gar nicht mit weniger Geld“, betont ÖVP-Wehrsprecher Oswald Klikovits. Die von Darabos in Auftrag gegebenen Pilotprojekte könnten keinesfalls den Umstieg zum Berufsheer belegen. Schon jetzt würden manche Einheiten ganz ohne Grundwehrdiener auskommen. Zudem sei es fraglich, ob Milizsoldaten künftig von ihren Arbeitgebern für Übungen tatsächlich immer zwei Wochen pro Jahr freigestellt würden.

Niederösterreichs Landeshauptmann Erwin Pröll nimmt daher Darabos ins Visier. Er erinnert an die Hochwasserkatastrophen 1999 und 2002, bei denen Tausende Grundwehrdiener rund um die Uhr im Einsatz gewesen waren. „So viele Berufssoldaten und Milizangehörige würden nie zur Verfügung stehen. Ich traue diesen Berechnungen von Darabos nicht“, so Pröll.

Der Landesfürst, der vorige Woche Generalstabschef Entacher demonstrativ für „das Eintreten für eine Haltung“ und Verdienste mit dem höchsten Landesorden auszeichnete, will daher nicht von der Wehrpflicht abrücken. Und er rät der ÖVP, mit diesem Thema in den nächsten Wahlkampf zu gehen. „Ich bin für die Abhaltung einer Volksbefragung zur Wehrpflicht. Ich bin mir sicher, die würde gegen die Berufsarmee ausgehen.“
Nach einer neuen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Karmasin für profil sind derzeit 51 Prozent der Österreicher für die Beibehaltung der Wehrpflicht, 45 Prozent befürworten deren Abschaffung.

Was die Prioritäten fürs Bundesheer betrifft, reihen 78 Prozent der Österreicher den Katastrophenschutz an oberste Stelle, zwölf Prozent die militärische Verteidigung und nur sechs Prozent die Auslandseinsätze.
„Es gibt bis heute keine schlüssigen Reformmaßnahmen, geschweige denn ein schlüssiges Reformkonzept für das Bundesheer“, kritisiert Eduard Paulus, Präsident der österreichischen Offiziersgesellschaft. „Darabos fährt das Bundesheer an die Wand und sollte zurücktreten“, so Paulus, dessen Organisation wegen anhaltender Kritik am Minister die Unterstützung und den Status als militärrelevante Organisation verloren hat. Für den Einsatz bei Großkatastrophen, den Schutz kritischer Infrastruktur oder militärische Heimatschutzaufgaben fehlen „ausreichende Mannstärken“. Zudem verstärkt sich die Überalterung der Berufssoldaten dramatisch.

„Wir haben zu viele Häuptlinge und viel zu wenige Indianer“, gibt auch der Stabschef von Darabos, Schmidseder, zu. Schuld daran sei nicht zuletzt das starre Beamtendienstrecht, das Versetzungen erschwere. Die laufende Aktion, Heeresbedienstete in andere Ministerien zu locken, hat bisher eher wenig Zustimmung gefunden.

Dabei gibt es bereits tausend Bedienstete im Heeresressort aus dem so genannten „Überstand“, die keinen zugewiesenen Arbeitsplatz und keinen speziellen Aufgabenbereich haben – bei vollen Bezügen.
Ein Wechsel zur Exekutive, Finanzbehörde oder zur Justizwache erscheint sinnvoll, wird aber von der jeweiligen Personalvertretung nicht gern gesehen. Vor allem für die von Darabos vorgesehenen 5100 Zeitsoldaten, die sich nach einigen Jahren Einsatz im Heer einen anderen Job suchen müssen, wäre ein leichterer Wechsel in andere Ministerien ein zusätzlicher Anreiz. Bisher ist nur eine vom Heer bezahlte Berufsausbildung für die Karriere nach dem Militärdienst vorgesehen.

In Italien werden Zeitsoldaten später bevorzugt in den Polizeidienst übernommen. In Österreich werden bereits junge Polizisten besser bezahlt als ihre Kollegen beim Militär, was den Zulauf zum Heer schon jetzt deutlich beschränkt.

Im Milizverband wird kritisiert, dass trotz der verfassungsmäßig verankerten Miliz Berufssoldaten das alleinige Kommando im Heer übernommen haben. Als der ehemalige Verteidigungsminister Günther Platter (ÖVP) 2006 die verpflichtenden Truppenübungen abgeschafft hat, war auch der Bedeutungsverlust für die Miliz besiegelt.

Mängel treten auch bei der Ausrüstung verstärkt zutage: So sind
die über 20 Jahre alten Bundesheer-Lkws längst schrottreif und verletzen die strengen Abgasnormen. Der Ersatz durch neue Lastautos verzögert sich. Der geplante Neubau der Bundesheer-Werkstätten auf den Gründen des Stifts Melk wurde nach Angeben des Milizverbandschefs Michael Schaffer verschoben.

Viele Grundwehrdiener klagen über wenig sinnvolle Beschäftigungen nach ihrer Grundausbildung. Als so genannte „Systemerhalter“ werden sie als billige Fahrer, Mechaniker, Schreibkräfte, Köche oder Kellner eingesetzt.
„Ich arbeite als Kellner im Offiziers­casino“, berichtet ein Präsenzdiener aus dem Burgenland, der anonym bleiben will. „Was das mit Landesverteidigung zu tun haben soll, weiß ich nicht.“

Inzwischen hat sich der Heeresminister mit neuen Gegnern angelegt. So wird derzeit der Verkauf der heereseigenen Forstverwaltung auf dem Truppenübungsplatz Allentsteig im Waldviertel geprüft. Das löste einen Aufstand der lokalen Bauern, die bisher dort billig Ackerflächen pachten durften, aus (profil 7/12).

Darabos setzt sich nun als Tierfreund ein Denkmal: In Tirol soll eine eigene Reithalle für heereseigene Haflinger-Pferde um zwei Millionen Euro errichtet werden, berichten Insider. Bisher dienten die ausdauernden Tiere eher zum Tragen von Lasten als zum Reitsport.

Lesen Sie im profil 11/2012 ein Interview mit Verteidigungsminister Norbert Darabos.