„Es ist Hunderte Male passiert“

Kirche. Der Salzburger Domprediger Peter Hofer soll eine Ministrantin jahrelang vergewaltigt haben

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Als Susanne P. (Name geändert, Red.) 2006 ihre Brustkrebsoperation hinter sich hatte und im Krankenbett lag, tauchten verschüttete Erinnerungen in nie da gewesener Klarheit auf. Seither hat sie keine Nacht durchgeschlafen.

In streng katholischem Umfeld bei ihrem Großvater aufgewachsen, hatte sich Susanne P. ab Ende der siebziger Jahre als Ministrantin in der Salzburger Pfarre Nonntal nützlich gemacht. Was dort zwischen 1980 und 1986 passiert sei, habe ihr „Innerstes zerstört und auch ein großes Stück meines Lebens“, schreibt die heute 47-Jährige in ihrer Sachverhaltsdarstellung an die Staatsanwaltschaft Salzburg. Peter Hofer, damals Pfarrer von Nonntal, heute emeritierter Universitätsprofessor für Theologie, Pfarrer von St. Jakob am Thurn und Domprediger in Salzburg, habe sie zwischen ihrem 16. und 22. Lebensjahr Hunderte Male vergewaltigt: in der Pfarrerswohnung, auf dem Steinboden im Kirchgang, auf dem Tisch der Sakristei zusammen mit dem damaligen Mesner, auf Autobahnparkplätzen, im Wald, in Umkleidekabinen auf Pilgerreisen am Toten Meer, in einer Schiffstoilette in Italien und an vielen anderen Orten.

Domprediger Hofer bestätigt im Gespräch mit profil, eine langjährige „freiwillige“ Beziehung zu Susanne P. unterhalten zu haben. Sexuell intim sei das Verhältnis erst 1985 geworden, als Susanne P. bereits volljährig war. Alle Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs und der Vergewaltigung bezeichnet Pfarrer Hofer hingegen als „frei erfunden“ und „unverständlich“.

Noch nach Beendigung des Verhältnisses 1986 sei er „Hausgeistlicher“ der Familie gewesen und habe wiederholt Glückwunschkarten von Susanne P. erhalten. Hofer sagt, die „schwere Erkrankung“ von Frau P. habe wohl eine „tragische, bedauernswerte Wesensänderung herbeigeführt“.

Ärztliche Atteste bescheinigen, dass Susanne P. an massiven Schlafstörungen leide, schweren Depressionen, Untergewicht, regelmäßigem Erbrechen und Panikattacken. Sie füge sich selbst Verletzungen zu und sei „latent suizidal“.

Alle mit dem Fall befassten Experten halten die Schilderungen von Susanne P. für zumindest plausibel: ihre Therapeutinnen, die Erzdiözese Wien, mittlerweile auch Vertreter der Erzdiözese Salzburg, der Psychiater Max Friedrich sowie ein in der Sache tätig gewesener Kriminalpolizist, der Frau P. ermunterte, Anzeige zu erstatten. Auch die unabhängige Opferschutzkommission für Missbrauch und Gewalt in der Kirche („Klasnic-Kommission“) hat Frau P. als Opfer sexueller Gewalt anerkannt und zugesichert, ihr monatlich 650 Euro als Therapiekostenersatz zu zahlen. Außerdem wurde beschlossen, an Frau P. eine größere Summe (dem Vernehmen nach rund 50.000 Euro) als Schmerzensgeld und für frühere Therapiekosten zu bezahlen. Eine Anzeige bei der Staatsanwaltschaft wurde eingebracht.

Nikolaus Bauer
, der Anwalt von Susanne P., meint, die strafrechtliche Verjährung könne nicht eingetreten sein, weil die mutmaßlich begangenen Straftaten der Vergewaltigung und der Ausnützung eines Autoritäts­verhältnisses bleibende ­psychische Schäden verursacht hätten.

In ihrer detailreichen Sachverhaltsdarstellung an den Staatsanwalt schildert Susanne P die Vorfälle: „Die schlimmsten Erlebnisse waren in der Sakristei in Nonntal. Dort kam es zu mehrfachem erzwungenem Sex auf dem Tisch … Häufig vergingen sich Peter und der Mesner Erich L. (vor Jahren verstorben, Anm.) gemeinsam an mir. Habe da immer diese Holzstiege und Holztür im Kopf und den Tisch, wo sie mich niedergedrückt haben, mein Ministranten-Kleid nach oben gerissen haben … Der Mesner war schwerer Alkoholiker und geistig minderbemittelt. Ich vermute, dass er irgendwann Peter ertappt hat und der gemeinsame Missbrauch eine Art Schweigegeld war. Es taucht auch immer das für mich grässliche Gesicht des Mesners auf und die Stimme von Peter … Da dröhnt nur immer sein Stöhnen in meinen Ohren, und auch taucht immer und immer ein Schmerz im Genitalbereich auf.“

„Meistens mit Gewalt“.
Am Ende ihrer vier Seiten langen Schilderung fasst Susanne P. zusammen: „Ich möchte zum Schluss nochmals wiederholen, dass es fast immer in der schon erwähnten Reihenfolge stattgefunden hat – dass er mich am Oberarm gepackt hat und niedergedrückt hat … meistens mit Gewalt, z. B. mit großer Ungeduld die Hose geöffnet hat und in mich eingedrungen ist, obwohl ich es nicht wollte, oft mit seinen Händen meinen Hals zugedrückt hat … Bevor er zum Höhepunkt kam, aus mir rausging und meinen Kopf zu seinem Glied ­hinunterdrückte und ich es unwillkürlich in den Mund nehmen musste und – dieses für mich am ekeligsten – bis zu seinem Samenerguss ertragen musste. Es wurde nie ein Wort darüber gesprochen, es ist jahrelang, Hunderte Male passiert. Ich habe natürlich auch ein einziges Mal versucht, Nein zu sagen, das war in Israel, die anderen unzähligen Male habe ich es … über mich ergehen lassen. Warum, kann ich bis heute nicht richtig beantworten. Ich war ein junges, naives Mädchen, was nach Zuneigung gesucht hat, und ich bewunderte ihn und war ihm hörig.“

Domprediger Peter Hofer erklärte in einer schriftlichen Stellungnahme gegenüber der Ombudsstelle für sexuellen Missbrauch der Erzdiözese Wien, er habe wegen der „erfundenen“, von Frau P. „geschilderten Perversitäten Ekelgefühle bekämpfen müssen“. Dass auch der verstorbene Mesner hin­eingezogen werde, mache ihn noch trauriger. Als Indiz für die Unwahrheit der Darstellungen möge man unter anderem bedenken, dass die angeführte Pilgerreise nach Israel 1983 stattgefunden habe und nicht, wie von Frau P. behauptet, 1981. Außerdem habe er „nie im Toten Meer gebadet und daher auch keine Umkleidekabinen betreten“. Richtig sei, dass man gemeinsam auf einigen kleinen Reisen gewesen sei und man die Beziehung 1986 im gegenseitigen Einvernehmen beendet habe, nachdem Frau P. ihren heutigen Mann kennen gelernt habe. Pfarrer Hofer zu profil: „Wir hatten eine sehr lange gute Freundschaft. Es ist mir unverständlich, wie sie jetzt so was behaupten kann. Jahre später, 1989, durfte ich sie mit ihrem Mann trauen, habe 1990 ihren Sohn und 1999 ihre Tochter getauft. Und sie hat mir immer wieder Grußkarten geschickt.“ Natürlich, die Beziehung zu der Frau sei grundsätzlich „ein schwerer Fehler gewesen“.

Karten an den „lieben Peter“.
Tatsächlich hat Susanne P. freundliche Grußkarten in kindlicher Schrift an den „lieben Peter“ gerichtet, sich für seine Freundschaft bedankt und ihm alles Gute gewünscht. Die Psychologie sieht sich nicht in der Lage, dieses Verhalten eindeutig auszulegen. Einerseits sehen Experten darin ein durch Abhängigkeit bedingtes, geradezu opfertypisches Verhalten. Auch hielten Täter oft Kontakt zum Opfer, um die Kontrolle nicht zu verlieren. Andererseits führe traumatisierende sexuelle Gewalt sehr oft zu massiver Abwendung des Opfers vom Täter. Selbst psychologische Gutachten könnten keine eindeutige Klarheit bringen.

Susanne P. schrieb Hofer 2006 einen Brief und konfrontierte ihn erstmals mit ihren Empfindungen – um, wie sie sagt, eine Aufarbeitung in die Wege zu leiten. Dabei habe sie keinerlei finanzielle Forderungen gestellt und auch kein Interesse gezeigt, rechtliche Schritte zu setzen. Nach einem unbefriedigenden Antwortbrief habe sie die zuständige Stelle der Erzdiözese Salzburg kontaktiert. Dort habe man ihr den Rechtsweg empfohlen und eine Beteiligung an den Therapiekosten abgelehnt. Der zuständige Prälat Johann Reissmeier zu profil: „Missbrauchskonflikte haben immer den Kern des Unlösbaren in sich. Ich sage nicht, dass die Frau lügt, doch hat sie sicher zu dick auf­getragen.“ Die Salzburger Diözese werde nichts bezahlen, und man werde dem Beschuldigten freistellen, ob er etwas bezahlt oder nicht. Zum Beschluss der „Klasnic-Kommission“, die Susanne P. Glauben schenkt, sagt Reiss­meier: „Diese Kommission ist ja kein Gericht. Akzeptieren kann ich nur, wovon ich auch überzeugt bin.“ Die Bischofskonferenz müsse sich mit dem Fall beschäftigen.

„Keine Vorwürfe mehr“.
Susanne P. forderte nun von Peter Hofer 25.000 Euro an Ersatz für Therapiekosten. Die Antwort kam von seinem Anwalt: Es bestehe keine Grundlage für die Forderung, Hofer werde aber auf rechtliche Schritte gegen Susanne P. ­verzichten. In Anbetracht ihrer schweren Krankheit biete er ihr „entgegenkommenderweise und auf rein freiwilliger Basis einen einmaligen Betrag von 5000 Euro. Dies allerdings unter der Voraussetzung, dass Sie die unmissverständliche Erklärung abgeben, künftig gegen meinen Mandanten vollkommen unberechtigte Vorwürfe (wie Missbrauch, ekelerregendes Verhalten) nicht mehr zu erheben.“

Domprediger Hofer zu profil:
„Von Schweigegeld kann keine Rede sein. Es war der Versuch, ihr zu helfen. Sie ist mir ja nicht egal. Es war auch kein Schuldeingeständnis. Ich werde nie etwas zugeben, was nicht passiert ist. Wenn sie Forderungen hat, soll das vom Gericht geklärt werden.“

2008 wandte sich Susanne P. schließlich an die Wiener Ombudsstelle für sexuellen Missbrauch. Der damalige Leiter, der Psychiater Max Friedrich, sprach mit „Täter“ und „Opfer“ zunächst getrennt, dann gemeinsam. Danach legte er Hofer nahe, für Therapiekosten aufzukommen. Max Friedrich zu profil: „Die Schilderungen der Frau sind substanziell.“

Max Friedrich schreibt in einem Brief an eine Therapeutin von Susanne P.: „Tatsache ist, dass ein um 20 Jahre älterer Priester sich an dem jungen Mädchen vergangen habe. Drei Sexualkontakte wurden von ihm einbekannt, der Vorwurf des umfassenden sexuellen Missbrauchs offensichtlich abgeleugnet.“ Friedrich empfiehlt in dem Schreiben, den Zivilrechtsweg zu beschreiten. Das sei eine Möglichkeit, „auch noch zu dem Recht zu kommen“.

Schließlich wandte sich Erich Ehn, Rechtsanwalt der Wiener Erzdiözese, in einem Brief an die Salzburger Mitbrüder und bat sie, doch endlich „zumindest in Vorfinanzierung die vom vermutlichen Täter zu leistenden Ersatzbeträge aus den Mitteln der Ombudsstelle zu übernehmen“. Dieses Ersuchen gründe sich „auf die Annahme, dass auch Ihre Stelle die Schilderung der Geschehnisse für nachvollziehbar und wahr hält“.