Sichere Stimmen

EU-Lobbying. Wie Abgeordnete ein Milliardengeschäft für die Rüstungsbranche sichern

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Indect
Die vollautomatisierte Überwachung und Vernetzung des öffentlichen Raums mittels Kameras und Flugdrohnen, unter Einbeziehung von Daten aus sozialen Netzwerken und Mobilfunk. Soll „unnatürliches Verhalten“ von Personen in der EU frühzeitig erkennen und damit Kapitalverbrechen vorbeugen.

Clean.IT
Die Entwicklung von Softwareprogrammen zur lückenlosen Überwachung des Internets. Soll dessen Nutzung durch Terroristen und die organisierte Kriminalität hintanhalten. Zunächst in Europa, später global.

Aeroceptor
Die Ausrüstung von Drohnen etwa mit Störsendern, um „nicht kooperative“ Fahrzeuge zu Land und zu Wasser umstandslos aus dem Verkehr zu ziehen. Europaweit.

Utopie? Nassträume von Paranoikern? Hollywood? Mitnichten.
Diese drei Forschungsprojekte sind längst am Laufen. Teil eines großen Ganzen, politisch akkordiert, großzügig gefördert. Und zwar von der Europäischen Kommission abwärts.

9/11, die Terroranschläge auf Madrider Pendlerzüge 2004, die Londoner Tube 2005, zuletzt beim Marathon in Boston. Kinderpornografie, Menschenhandel, Drogenschmuggel, Industriespionage und selbst der ordinäre Bank- und Juwelenraub – in nicht allzu ferner Zukunft sollen Verbrechen wie diese Vergangenheit sein.

Schöne neue Welt. Sicher, weil rundum überwacht. Aber halt nicht mehr ganz so privat.

1,4 Milliarden Euro hat die EU seit 2007 in den hochsensiblen Bereich der „Sicherheitsforschung“ investiert. Im Kontext des 50 Milliarden Euro schweren 7. Forschungsrahmenprogramms (FP7) zur Förderung von Forschung und Entwicklung wurden mehr als 200 einschlägige Projekte mit europäischen Steuergeldern unterstützt. Unter ihnen eben Indect – das englische Akronym steht für „Intelligent information system supporting observation, searching and detection for security of citizens in urban environment – und Aeroceptor (Clean.IT wird demgegenüber aus dem laufenden Budget der EU finanziert).

Wie der auf Netzpolitik und Datenschutz spezialisierte Journalist Erich Möchel im Vorjahr in seinem Blog berichtete, laufen im Verantwortungsbereich von EU-Kommissarin Cecilia Malmström zumindest elf weitere Forschungsprojekte zur Überwachung des öffentlichen Raums und des Internets zusammen.

Und das ist nur ein Anfang. Das Programm FP7 endet heuer und wird durch „Horizont 2020“ ersetzt. Von den dafür vorgesehenen 80 Milliarden Euro sollen rund vier Milliarden Euro an öffentlichen Geldern in die Sicherheitsforschung fließen.

Noch lässt sich nicht mit Gewissheit sagen, wie viele dieser Überwachungsprojekte Wirklichkeit werden – und wann. Eines liegt jedoch auf der Hand: Die Projekte würden allesamt tief in die Privatsphäre der Europäer eingreifen. Und jene Konzerne, welche heute die Forschung vorantreiben, könnten morgen die Technologien an die EU-Mitgliedsstaaten liefern.

Sicherheit und Sicherheitsindustrie
Die Europäische Union im Allgemeinen, die EU-Kommission im Besonderen haben die „Sicherheit“ der EU-Bürgerinnen und Bürger ganz oben auf der Agenda. Oder, wie es in einem im Juli vergangenen Jahres veröffentlichten Kommuniqué der Kommission an die Adresse des EU-Parlaments heißt: „Für Sicherheit zu sorgen, ist eine der wichtigsten Aufgaben jeder Gesellschaft. Jede stabile Gesellschaft ist auf ein sicheres und geschütztes Umfeld angewiesen. Eine wettbewerbsfähige, in der EU ansässige Sicherheitsindustrie, die optimierte Sicherheitslösungen anbietet, kann einen wesentlichen Beitrag zur Widerstandskraft der europäischen Gesellschaft leisten.“

Die europäische Sicherheitsindustrie also. Die Branche ist nicht genau einzugrenzen. Sie umfasst die Hersteller von Arbeitskleidung ebenso wie die Bewachung von Objekten, den Zivilschutz, Computertechnologie, Software, Elektro- und Nachrichtentechnik, Fahrzeug-, Schiffs- und Flugzeugbau sowie private und staatliche Forschungseinrichtungen. Gesicherte Zahlen zur Größe des Marktes existieren nicht. Vorsichtigen Schätzungen zufolge werden in dem Business europaweit 25 bis 36 Milliarden Euro im Jahr umgesetzt. Tendenz stark steigend. In den Worten der EU-Kommission: „Zahlreiche Studien zeigen, dass die Wachstumsrate des Sicherheitsmarkts sowohl in der EU als auch weltweit über dem durchschnittlichen BIP-Wachstum liegen wird.“

Die Rüstungsindustrie fällt per Definition nicht darunter. Noch nicht.
Doch der zivile und der militärische Bereich wachsen zusehends zusammen. Das beginnt schon bei der Forschung. Längst hat die EU-Kommission einen ihrer ehernen Grundsätze in den Wind geschossen: jenen, wonach Forschungsgelder nicht für militärische Zwecke verwendet werden dürften. Im neuen Rahmenprogramm „Horizont 2020“ ist explizit vom so genannten Dual-Use-Prinzip die Rede – also der forcierten Nutzung von Technologien für zivile und militärische Zwecke.

„Ehrenamtliche“ Lobbyisten
Der Dienst am Bürger, mithin die „Widerstandskraft der europäischen Gesellschaft“, die Schaffung von Arbeitsplätzen und/oder der Erhalt derselben sind nur ein Teil der Geschichte. Was das offizielle Europa allzu gern verschweigt: Unter den 754 Abgeordneten zum EU-Parlament sitzen auch solche, die eher zwanglos mit ihrem politischen Auftrag umgehen, weil sie als „ehrenamtliche“ Lobbyisten für eine ganze Industrie fungieren.
Jan Christian Ehler, Jahrgang 1963, ist ein vielbeschäftigter Mann. Der Abgeordnete der Christlich Demokratischen Union Deutschlands sitzt in einer Reihe von Gremien des EU-Parlaments, die an der Gesetzgebung mitwirken: im Ausschuss für Industrie, Forschung und Energie, in jenem für auswärtige Angelegenheiten, im Unterausschuss für Sicherheit und Verteidigung sowie im Sonderausschuss gegen organisiertes Verbrechen, Korruption und Geldwäsche.

Der Münchner ist ein Politiker mit großem Herz. Seiner online abrufbaren „Erklärung der finanziellen Interessen“ ist zu entnehmen, dass er drei Ehrenämter ausübt: Er hat einen Sitz im Kuratorium einer deutschen Forschungsstiftung, ist Vereinsmitglied bei einem Jugend- und Freizeitzentrum und Vorstandsvorsitzender einer GESA mit Sitz in Berlin.
Hinter diesem Kürzel steht der in Deutschland eingetragene Verein German European Security Association, Gründungsjahr 2007. Laut Homepage ist GESA ein „überparteilicher und gemeinnütziger Verein“, dessen Vertreter aus „Wissenschaft, Forschung, Politik, Wirtschaft und Bedarfsträgern“ kommen.

Ehler ist einer der Gründer des Organisation, die vor allem in der jüngeren Vergangenheit Betriebsamkeit entfaltet hat: Arbeitsessen, Panels, Konferenzen. In den stets gut besuchten Veranstaltungen werden dann Themen wie Internetkriminalität, Zivilschutz, Produktpiraterie und natürlich die Sicherheitsagenda der EU erörtert. GESA bringt zusammen, was sonst nur schwer zusammenfände: Blaulichtorganisationen, Zivilschutzverbände, Sicherheitsbehörden, Hochschulen, deutsche Bundestagsabgeordnete, EU-Mandatare, Mitglieder der EU-Kommission, Repräsentanten der Industrie.

Gemeinsam verfolge man, auch so steht es auf der GESA-Homepage, einen „engen Dialog zwischen den verschiedenen Entscheidungsträgern in Deutschland und der EU“. Schließlich gehe es ja darum, zu einem „sowohl zeitgemäßen als auch zukunftsgerichteten Verständnis gesamtgesellschaftlicher, nationale Grenzen überschreitender ziviler Sicherheit beizutragen“.

Ehler ist längst nicht der einzige Mandatar mit einschlägigem Interesse. Neben dem Konservativen führt GESA sieben weitere deutsche Europaabgeordnete als Mitglieder, darunter Ehlers Fraktionskollegen Werner Langen und Angelika Niebler, den Liberalen Alexander Graf Lambsdorff (Neffe des legendären FDP-Politikers Otto Graf Lambsdorff) sowie den Sozialdemokraten Norbert Glante. Sie alle sitzen ganz zufällig auch in jenen parlamentarischen Ausschüssen oder Unterausschüssen, welche für die Ausgestaltung der künftigen Sicherheitsarchitektur Europas mitverantwortlich zeichnen.

Die Memberliste von GESA – und das macht die Causa so delikat – umfasst neben Forschungseinrichtungen und Hochschulen auch mehrere Konzerne, die in der Branche Rang und Namen haben: Siemens; Bosch; EADS; Deutsche Telekom; SAP, die deutsche Tochter des französischen Rüstungselektronikkonzerns Thales; der deutsche Ableger der britischen Smiths Group. Ein vollständiges Verzeichnis ist nicht zu bekommen, weil nicht alle Mitglieder einer Veröffentlichung ihres Namens zugestimmt haben.

Wie überhaupt GESA keinen gesteigerten Wert auf mediale Aufmerksamkeit legt. Zu den vielfältigen Aktivitäten finden sich so gut wie keine Presseberichte, im Lobbyregister der EU scheint der Verein erst gar nicht auf. Was hauptsächlich daran liegen dürfte, dass die Organisation so gar nichts mit Lobbying zu tun haben will. „Die den Satzungszweck begründende Gemeinnützigkeit zugunsten von Forschung zu Themen der zivilen Sicherheit schließt sui generis Interessenskonflikte zwischen Mandatsträgern und anderen Vereinsmitgliedern aus“, betont GESA-Geschäftsführerin Ulrike Kieper in einer schriftlichen Stellungnahme gegenüber profil. „Die Unterstützung des öffentlichen Diskurses zu diesem Thema steht in keinerlei Konflikt zu einem politischen Mandat.“
Ansichtssache. Immerhin vertritt ein Grüppchen von EU-Politikern einen Verein, der sich von der Industrie sponsern lässt. Einer Industrie, die massives Interesse daran hat, an öffentliche EU-Forschungsgelder zu gelangen. Und Christian Ehler soll im Parlament als vehementer Befürworter einer Aufstockung der „Horizont 2020“-Fördermittel für den Sicherheitsbereich aufgetreten sein. Mit Erfolg.

Dass die Abgeordneten persönliche Vorteile aus der Tätigkeit für GESA zögen, ist durch nichts belegt. Andererseits: Die Mitgliedschaft im elitären Zirkel ist nicht kostenlos. Bei GESA engagierte Unternehmen zahlen bis zu 5000 Euro Jahresbeitrag, das jährliche Vereinsbudget liegt bei 130.000 Euro. „Dieses Budget wird für die Förderung im Bereich der zivilen Sicherheit und der Sicherheitsforschung gemäß dem Satzungszweck ausgegeben“, so GESA-Geschäftsführerin Kieper. Was auch immer darunter zu verstehen ist.

In alle Richtungen vernetzt
Der parteifreie österreichische EU-Abgeordnete Martin Ehrenhauser hat im Februar dieses Jahres eine bemerkenswerte Studie zu „Lobbyismus der Sicherheitsindustrie in der Europäischen Union“ vorgelegt, die in der Öffentlichkeit kaum rezipiert wurde. Zu Unrecht. „Die Verflechtungen zwischen Politik und Sicherheitsindustrie sind derart intensiv, dass unabhängige und am Gemeinwohl orientierte politische Entscheidungen deutlich erschwert werden“, schreibt Ehrenhauser. Zur Rolle des GESA-Gründungsvaters Ehler hält Ehrenhauser fest: „Zwar ist es Mitgliedern des Europäischen Parlaments erlaubt, Nebentätigkeiten auszuführen, doch im Fall Christian Ehler deuten viele Indizien auf einen handfesten Interessenskonflikt hin. Denn seine Tätigkeit als Lobbyist und die als EU-Abgeordneter verschwimmen zunehmend.“

GESA-Repräsentantion Kieper lässt das wenig überraschend nicht gelten. „Die Behauptung, Herr Ehler vertrete die Interessen der deutschen Sicherheits- und Rüstungsindustrie ist wahrheitswidrig. Jede gegenteilige Behauptung kann als Verleumdung aufgefasst werden gegen die juristische Mittel angewendet werden.“

Dass der private, uneigennützige Verein immer wieder Räumlichkeiten des EU-Parlaments für seine Veranstaltungen reserviert, passt nur zu gut ins Bild. Dass in der Vergangenheit selbst EU-Kommissare wie Antonio Tajani oder Günter Verheugen ihre Aufwartung machten, erst recht. Und so darf es auch nicht verwundern, dass Post an den GESA-Vorstandsvorsitzenden Ehler an dessen Büro im deutschen Bundestag in Berlin zu richten ist. Oder dass Ehler in der Vergangenheit immer wieder E-Mails im Namen des Vereins über seinen Account im EU-Parlament versendet hat.

Eine klare Trennung zwischen politischer Agenda und privater Interessensvertretung sieht anders aus.

Wie es sich für anständige Lobbyisten gehört, sind diese in alle Richtungen vernetzt. So darf es denn auch nicht weiter überraschen, dass GESA einen durchaus nicht unbedeutenden Kooperationspartner zur Seite hat: EOS. Wieder eine Interessensvertretung, deren Namen sich übrigens nicht von der gleichnamigen griechischen Göttin der Morgenröte ableitet. EOS steht für European Organisation for Security, also Europäische Organisation für Sicherheit, Gründungsjahr ebenfalls 2007. Nach Eigendefinition Europas „Stimme der Sicherheit“.

EOS ist nicht viel weniger als die Crème de la Crème der europäischen Sicherheits- und Rüstungsindustrie, deren 42 Mitglieder nach eigenen Angaben mehr als 65 Prozent des europäischen Marktes beherrschen. Darunter große Namen wie Saab, BAE Systems und G4S. Und selbstverständlich auch hier: Siemens, EADS, Thales und die britische Smiths Group. Vorsitzender von EOS ist der Schwede Magnus Ovilius, einstmals auf Ebene der EU-Kommission für Antiterrorpolitik zuständig. Heute steht Ovilius bei Smiths unter Vertrag, einer der wenigen Anbieter von Nacktscannern.

Ähnlich der GESA verfolgt auch EOS den „privaten Dialog mit der Europäischen Union, Mitgliedsstaaten und Institutionen in Sicherheitsfragen“. Und natürlich geht es dabei stets ums Geschäft, geschmackvoll verpackt in „Working-Breakfasts“, „Roundtables“ oder „Lunch-Buffets“. Im September 2010 beispielweise lud EOS ausgewählte Teilnehmer zu einem Frühstück unter der „Patronanz“ des deutschen Europaabgeordneten Manfred Weber (Europäische Volkspartei). Im „Members’ Salon“ des Europäischen Parlaments trafen Mandatare und Vertreter der EU-Kommission auf Spitzenrepräsentanten von EADS, Saab, BAE Systems, Siemens und G4S. Thema: Privatsphäre und Datenschutz. Unter den Geladenen: Ernst Strasser, damals noch Europamandatar und ganz nebenbei auch Aufsichtsratsmitglied des Österreich-Ablegers der britischen G4S-Gruppe. Und diese ist bei EOS an Bord.

Im Februar 2011 veranstaltete die Europäische Organisation für Sicherheit den ersten „High Level Security Roundtable“, der durch die Anwesenheit von EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström und Industriekommissar Antonio Tajani veredelt wurde. Ihnen gegenüber saßen zwei Dutzend Manager der Industrie. In einer Presseaussendung sollte es danach heißen, man habe sich darauf verständigt, „den Dialog und die Kooperation zwischen Industrie und Politik fortzuführen“. Folgerichtig fanden sich beim zweiten „High-Level-Roundtable“ am 21. März 2012 gleich vier EU-Kommissare ein.

profil übermittelte EOS vergangene Woche einen umfangreichen Fragenkatalog. Antwort: keine.

Ehrenhausers Recherchen zufolge ist es eher kein Zufall, dass bei den bisher mit 1,4 Milliarden Euro gesponserten EU-Sicherheitsprojekten des 7. Forschungsrahmenprogramms (FP7) just jene Konzerne vorne mitmischen, die sich in EOS und GESA organisiert haben: EADS etwa. Oder Siemens. Oder Thales.

Das wird unter „Horizont 2020“ nicht viel anders sein. Die EU-Kommission will künftig noch mehr Geld in die gemeinsame Forschung und Entwicklung von Sicherheitstechnik – ziviler und militärischer – pumpen. Ob das wirklich zum alleinigen Nutzen der Bürger geschieht oder nicht viel mehr im ausschließlichen Interesse der lobbyierenden Industrie, ist zu hinterfragen. Oder auch nicht. „Eine Bündelung der europäischen Ressourcen im Bereich der Sicherheits- und Verteidigungspolitik ist nicht nur sinnvoll, sondern dringend notwendig. Bei vielen Technologien ist keine klare Abgrenzung zwischen ziviler und militärischer Nutzung mehr möglich“, doziert der österreichische EU-Abgeordnete Othmar Karas, „mit reinem Schubladendenken kommen wir da nicht weiter.“

Karas ist im EU-Parlament nicht nur ein Fraktionskollege von Christian Ehler. Er sitzt mit ihm auch im Unterausschuss für Sicherheit und Verteidigung.