Gastkommentar: Peter Weibel

Gastkommentar: Peter Weibel Der Kunstbetrieb als FPÖ-Verein

Kommentar. Wie Österreichs Kunstbetrieb zum FPÖ-Verein verkam

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Wer die Berichterstattung um die Vorgänge im Joanneum Graz, MAK und Kunsthalle Wien liest, findet immer wieder die gleichen Worte vor: nicht rechtskonform, willkürlich, kritische Geister ausschalten, Kaste, autokratisch agierende Führungskräfte, öffentliche Institutionen als Privateigentum , wie Fürstentümer regiert,etc. Man hat den Eindruck, Berichte über die Niederungen der Parteienpolitik zu lesen. Offensichtlich hat sich der Kunstbetrieb im Sinne von Speculum artis entschlossen, Mimesis der Real-Politik zu sein, insbesondere der Welt der FPÖ.

Parteipolitiker und Museumsdirektoren haben die gleichen Ideen und Interessen. Dem FP-Politiker Uwe Scheuch wird vorgeworfen, Oligarchen die österreichische Staatsbürgerschaft gegen eine Parteispende versprochen zu haben. Gerald Matt sieht sich einem ganz ähnlichen Vorwurf ausgesetzt: Staatsbürgerschaft für Sponsoren der Kunsthalle? Als österreichische Staatsbürger haben wir uns daran gewöhnt zu erleben, wie der verstorbene LH Dr. Jörg Haider im Ortstafelstreit die österreichische Verfassung verhöhnte. Er machte partout nicht, was das Gesetz vorschreibt, und über die Erlässe des Verfassungsgerichtshofes machte er sich lustig. Von der Politik und den Medien wurde das grosso modo toleriert. So lernten die ÖstereicherInnen, als Politiker kann man jederzeit die Gesetze umgehen bzw. brechen, ohne dafür geahndet zu werden. Von Strasser bis Grasser gehört also Korruption zum guten politischen Ton. Im Land der Unschuldsvermutung ist alles erlaubt. Gegen Korruptionsermittler wird daher selbst ermittelt. Die Botschafter finanziellen Fehlverhaltens werden versetzt, abgesetzt oder strafverfolgt, nicht allerdings die Minister selbst. Die Parteien hebeln selbst den Rechtsstaat aus. Sie sind in der Hauptsache damit beschäftigt, in Untersuchungsausschüssen wechselseitig ihre Korruptionsvorwürfe nieder zu schlagen. Kontrollorgane und Aufsichtsgremien sollen offensichtlich zudecken und nicht aufdecken, siehe den Skandal Skylink am Flughafen Wien. Öffentliche Ausschreibungen sind in Staatsbetrieben, von der Wirtschaft bis zur Kultur, ein einziger Fake. Dabei bietet die Demokratie nicht nur die Chance, Fachgremien und Jurys beizuziehen, sondern sie gebietet sie auch. Doch in Österreich weiß jeder Kundige schon Wochen vor der öffentlichen Besetzung und Monate vor der Ausschreibung, die nicht oder nur scheinhalber stattfindet, wer den Posten bekommt.

In solch einem System hat der die meisten Chancen, der sich nicht bewirbt. So kann ihn die autokratische Ministerin direkt berufen. Als der damalige Direktor des MUMOK in Wien, Dr. Lorand Hegyi, mir überzeugt versicherte, seine Verlängerung stehe unmittelbar bevor, wusste ich schon weit vor der Ausschreibung, wer sein Nachfolger wird, nämlich Edelbert Köb, zufälligerweise aus demselben Bundesland wie die damalige Ministerin Gehrer. Wenn der Rechnungshof eine Ausschreibung aufgrund der Gesetzeslage als dringlich einfordert, geht die Politik darüber hinweg wie Jörg Haider und verlängert die Verträge illegal (wie im Joanneum Graz).

Wenn per legem eine Weisungsunabhängigkeit besteht und dies den von der Politik gestützten Machthabern nicht genehm ist, wird das Gesetz geändert oder es gibt einen neuen Regierungsbeschluss (Institut für Kunst im öffentlichen Raum). Der Kulturbetrieb hebelt ständig den Rechtsstaat aus wie die Parteien. MitarbeiterInnen, die Fehlverhalten der Führung nicht mittragen können und im Interesse der Öffentlichkeit melden wollen, finden daher keine Adressaten, an die sie sich wenden können. Betriebsrat, Personalrat, Kuratorium, Aufsichtsrat, Kulturabteilung schließen Augen und Ohren und verweisen auf den Dienstweg. Die Beschwerden landen also bei den Urhebern der Beschwerden. In derart geschlossenen Systemen des Kulturbetriebs wird die Information- und Kritikausschaltung ebenso geübt wie in den Parteien die Bürgerausschaltung. Wenn überhaupt, hören die Kontrollgremien sich nur die Version der Führung an, die sich mit Halbwahrheiten, Verleumdungen und Lügen durchschwindelt. Die Kritiker und Angeklagten werden nicht gehört. Sie werden daher zu Opfern: Die Aufdecker werden schuldig gesprochen und im Einvernehmen mit Aufsichtsgremien und Politik gekündigt oder ziehen es vor, selbst zu kündigen, (siehe Thomas Mießgang , Kunsthalle Wien und Werner Fenz, Institut für Kunst im öffentlichen Raum, Graz). Unabhängige Prüfberichte? Kontrollorgane, die nur aus Parteisoldaten und Freunden bestehen? Die Komplizenschaft der Proporzpolitik, der Nährboden für Gesetzesbrüche und Korruption, spiegelt sich im Kunstbetrieb und zum Teil auch in der sogenannten Medienpartnerschaft. Wie von Haiders FPÖ (bzw. BZÖ) gefordert und in zahlreichen Prozessen exekutiert, sollen Kritiker zum Schweigen gebracht werden. Parlamentarier wie Wolfgang Zinggl, die ihre gesetzlichen Kontrollaufgaben wahrnehmen, werden gerügt, kritisiert und sogar aufgefordert zu schweigen. In Wirklichkeit sollten die Politiker gerügt werden, die ihre Kontrollaufgaben nicht wahrnehmen. Doch die Mehrheit im österreichischen Kunstbetrieb ist offensichtlich der Meinung, die Kulturpolitik ist die beste, die zu den Verfehlungen im Kunstbetrieb schweigt und sich zum Komplizen der Missstände macht. Natürlich, weil viele von den Mißständen profitieren, wie in Burlesconis (!) Italien.

Was sind diese Missstände? Juristisch gesprochen: Die Aufklärung ist in den meisten österreichischen Museen noch nicht angekommen. Es herrscht dort monolithisch ungeteilte Gewalt. DirektorInnen verwirklichen ihre Geltungsansprüche außerhalb der westlichen Rechtstradition. Recht ist dort reine Privatsache, höchstens eine Angelegenheit von Zweckmäßigkeit (Sparprogramme) oder totaler Willkür. Es herrscht eine Mischung aus Feudalrecht und Gutsrecht.

So ist es zu verstehen, warum das Kunsthaus Graz im steirischen herbst 2006 „Gutshaus Kranz“ (!) geheißen hat. Das Gutsrecht regelt die Beziehungen zwischen Gutsherr und Bauern, Herrschern und Beherrschten, Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Zwischen diesen gibt es keine eigentliche Rechtsbeziehungen, sondern nur Lehensbeziehungen. In Lehensbeziehungen gibt es Leibeigene. Sogar diese Leibeigenen hätten seit der Magna Charta von 1215 Rechte. Sie dürfen nicht „geächtet, verbannt oder auf irgendeine Art zugrunde gerichtet werden.….und niemand darf Gerechtigkeit verweigert oder verzögert werden“. Von solchen Bedingungen kann ein Museumsarbeiter heute nur träumen. Was die Goldene Bulle von 1222 verspricht, nämlich, dass, wenn die Gutsherren „den Bestimmungen zuwider handeln sollten“ , die Leibeigenen „das uneingeschränkte ewige Recht haben sollen sich in Wort und Tat zu widersetzen“, ist heute faktisch unvorstellbar. Wer dem Gutsherrn widerspricht oder sich widersetzt, wird gekündigt. Totale Willkür: Wann immer es einem Museumsdirektor gefällt, wird wer auch immer gekündigt. Er braucht nur zu räuspern, er habe kein Vertrauen. Die Museumsdirektoren agieren als Lehensherren mit einem Feudalrecht. Das Feudalrecht regelt die Beziehungen zwischen Feudalherr und Vasall. Der Vasall bekommt ein Lehen (also eine Position), wenn er gegenüber seinem Herrn einen Treueeid (fidelitas, Zuverlässigkeit) ablegt. Säkularisiert heißt dieser einst religiöse Treueeid heute Vertrauen. Daher ist es möglich, dass ein österreichischer Museumsdirektor eine MitarbeiterIn kündigt bzw. versetzt, mit dem bloßen Verweis, er habe kein Vertrauen, wie im Joanneum mehrmals geschehen. Im vormodernen Rechtssystem, in dem österreichische Museen operieren, sind Angestellte also Vasallen, deren Huldigung an den Herren durch die Gewährung eines Lehens (Position) bedankt wird. Diffidatio (Kündigung der Treue), profan Vertrauensbruch, ist die feudalrechtliche Grundlage für die Jahrzehntewährende Praxis in österreichischen Museen, die kritischen KuratorInnen und LeiterInnen zu kündigen, wenn diese mehr Kompetenz aufwiesen als ihre Herren.

Allerdings ist das Rechtssystem Museum in Österreich noch rückschrittlicher als das Feudalrecht. Der Vasall hatte nämlich schon im 13. Jhdt. das Recht mit einer Klage gegen seine Feudalherren sich an ein höheres Feudalgericht zu wenden, bei Fehlurteilen bzw. Fehlentscheidungen des Grafen(also bei Kompetenzproblemen), wenn ihm Gerechtigkeit verweigert wurde, und wenn unmittelbares Privatinteresse des Feudalherrn vorlag. Heute allerdings ist das Problem, dass dieses höhere Feudalgericht aus dem Grafen selbst und seinen Freunden besteht und somit der Feudalherr zugleich Partei und Richter ist. Er kann also seine Privatinteressen in öffentlichen Institutionen jederzeit durchsetzen.

Deswegen hat ein österreichischer Museumsdirektor unbeschränkte Machtbefugnis, uneingeschränkte Jurisdiktion, von niemand kontrolliert, von Aufsichtsräten und Gremien stabilisiert. Denn Systemstabilisation und Machtreproduktion ist das logische Ziel aller Mitglieder des Systems. Die dadurch entstehende Rechtsproblematik kann am besten durch das Beispiel des Papstes verdeutlicht werden. Ein Papst darf und soll abgesetzt werden, wenn er das Recht bricht. Aber es gibt niemandem über dem Papst (außer Gott, der nicht spricht), der die Legitimität hat, einen Rechtsbruch festzustellen, und der die Macht hat, ihn abzusetzen. Gegen den Papst können keine Verfügungen gelten. Vergleichbar sollten Politiker durch das von ihnen selbst gesetzte Recht gebunden sein, d.h. unter dem Recht regieren. Wenn die Politik aber sich nicht an das Recht halten will, das sie selbst geschaffen hat, kann sie entweder das Recht brechen oder das Recht ändern. Doch wer bestraft Politiker, die das Recht brechen? Wer definiert den Rechtsbruch eines Politikers? Wiederum Politiker. Daher kommen Politiker kaum in die Reichweite des Rechtsapparates. Wie wird das Recht rechtmäßig geändert? Wer steht über den Politikern und sagt ihnen, was rechtens ist? Wieder Politiker oder von Politikern Beeinflusste. Die Politiker sind also Profiteure eines Rechtsparadoxons wie der Papst und haben daher Verständnis für Museumsdirektoren, die wie Päpste agieren.“ Die reine Machtbefugnis“ ist heute allerdings etwas gemildert. Wir sind dankbar, dass es in Österreichs Museen die Körperstrafe, die Macht des Schwertes, nicht mehr gibt, nur mehr die Existenzzerstörung. Ein Museumsdirektor kann heute nur mehr die seelische, berufliche und soziale Existenz seiner MitarbeiterInnen vernichten, nur mehr die Gesundheit und das Selbstwertgefühl angreifen und sie „wie Müll behandeln“ (Elfriede Jelinek)..

Im Museumskomplex gibt es keine Rechtssubjekte und niemand handelt in Bezug auf das Recht. Alles Recht geht vom Direktor aus, dem Souverän – eine autokratische Interpretation der Demokratie, in der das Volk der Souverän sei. Im Namen der Kunst wird Recht ausgehebelt. Statt sozialer Gerechtigkeit gibt es nur öffentlich geäußerten Zynismus und Diffamierung.

Gemeinwohl bedeutet heute die Interessen derer, die an der Macht sind. Die Ausgliederung der Museen hat der Verwandlung von Gemeinwohl in Privatwohl Vorschub geleistet. Die Imitation neoliberaler Modelle mit Zielvereinbarungen, Zeitprotokollen, etc. hat nur scheinbar ökonomische Werte bedient, aber in Wahrheit die Machtakkumulation der Direktion auf Kosten der Kompetenz gestärkt. Das Ergebnis im Prinzip: ein immer größer werdendes Budget, immer mehr MitarbeiterInnen, geringere Öffnungszeiten, immer mehr Schließtage und immer weniger Ausstellungen, die immer länger dauern. Diese Museums GmbH.s sind im Grunde verrottete Staatsbetriebe, gezeichnet von illegalen Verlängerungen der Herrscher und illegalen Degradierungen der Beherrschten. Wissenschaftliche Leistungen werden nicht mehr gewünscht, museale Standards desertiert. Nicht Leistung und Kompetenz werden belohnt, sondern fidelitas.

Barbarei herrscht dort, wo Macht über Recht herrscht. Dies ist genau die Klage der chinesischen Intellektuellen. Herrschen chinesische Verhältnisse im österreichischen Kunstbetrieb? Dürfen im österreichischen Kunstbetrieb Regeln gelten, die den staatlichen Gesetzen widersprechen? Leben wir nicht mehr in einem Rechtsstaat? Erleben wir eine Demontage der Demokratie und einen beispiellosen Bankrott der Zivilgesellschaft im Kunstbetrieb? Werden nur mehr 90-jährige Franzosen und SchauspielerInnen des Burgtheaters sich empören?

Der österreichische UN-Sonderberichterstatter Manfred Novak hat in der Zeit vom 19.5.2011 gesagt: „Die regierenden Parteien haben das Augenmaß verloren, wie man Menschen behandeln kann“. Die jahrzehntelangen schwelenden Konflikte und die zahlreichen erzwungenen oder freiwilligen Kündigungen von kompetenten KuratorInnen in österreichischen Museen, die erst jetzt zum ersten Mal in den Medien (danke!) öffentlich werden, belegen, dass, was Ai Wei Wei über China sagte, auch für Österreich gilt: „In diesem Land gibt es zu wenig verantwortungsbewusste Menschen“. Es darf sich daher demnächst niemand wundern, wenn die Vorgänge im Kunstbetrieb nur ein Vorschein dessen sind, was kommt: Orbans Bonapartismus in Österreich. Viktor Orban, Ungarns Ministerpräsident, ist Chef der Partei Fidesz! Wer die Demokratie in Stich lässt und verrät, bereitet den Boden für Strache und Co. Auch für den Kunstbetrieb gilt: Wer das Recht bricht, bricht das Vertrauen in die Demokratie und erzwingt den Ruf nach der starken, ordnenden Hand.