Helmut A. Gansterer

Helmut A. Gansterer Feig, feig, feig

Feig, feig, feig

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„Feig heißt nicht nur, nicht tapfer zu sein“
Reinhard Tramontana (1948–2005) profil-Kolumnist

Ich weiß nicht, ob ich ein Intellektueller bin. Ja zu sagen schiene mir eine Überhebung. Nein zu sagen schiene mir eine kokette Bescheidenheit, schlimmer als aufrichtige Prahlerei.

Ich weiß nur, dass ich momentan einen geistig eleganten Ekel empfinde. Dieser hat nichts mit dem fundamentalen Ekel zu tun, den Jean-Paul Sartre ziselierte. Auch nichts mit dem angeblichen Grausamkeits-Ekel und Lebens-Ekel meiner verstorbenen Malerfreunde Adolf Frohner und Franz Ringel, die sich dagegen verwahrten, ihre Bilder mit Ekel in Verbindung zu bringen.

Ich spreche von einem einfachen Alltags-Ekel. Von ­einem ekligen Horror in unseren Gefängnissen, den jeder empfinden müsste, dessen IQ über 80 liegt. Beispielsweise unsere Kabarettisten, die Weltspitze sind, oder wenigstens die Besten in deutscher Sprache. Und die dennoch billigend in Kauf nehmen, dass Gefängnisinsassen, ob schuldig oder nicht, von brutalen Zellengenossen penetriert werden.

Ich kenne keinen Kabaretttext gegen Vergewaltigung in der Zelle. Auch nicht von Hader, Dorfer, Niavarani, ­Maurer. Oder von Vitasek, der sonst gern ins Entlegene verstört. Aber so weit dann doch nicht. Warum auch? Das Publikum mag kein Mitleid mit Kriminellen, auch nicht mit jungen und unschuldigen.

Der grandiose Witz hingegen, man möge sich in der Gefängnisdusche nicht um die Seife bücken, hebt das Dach der Säle vom Sockel. Der Kabarettist beugt sich artig der Akklamation.

Ich habe Georg Hoanzl immer geschätzt und herzlich geliebt, so weit dies unsere Kabarettisten halt erlauben, ohne Dusche und Seife. Ich habe überhaupt nur zwei Menschen kennen gelernt, die so schnurrig sind wie er. Der eine war Nobelpreis-Nominee Benoît Mandelbrot, der mich im ­indian summer von Massachusetts in die Geheimnisse der fraktalen Geometrie führte. Der Zweite ist der Hoanzl-Kumpel Bernhard Ludwig, der mir wertvolle Anleitungen zur ­sexuellen Unzufriedenheit schenkte, wofür ihn meine Holde liebt.

Georg Hoanzl kam aus kleinen Verhältnissen und wurde zum Genie in Genie-Management. Er hat fast alle Kabarettkönige zum Kronland gebündelt und mütterlich versorgt. Seine kaufmännische Anständigkeit, so sagt man, liege nördlich aller früheren Kabarettkriterien. Zuletzt sah ich ihn mit Ernst Grandits (TV, 3Sat) beim „Birner“ an der Alten Donau. Mit Willi Resetarits sangen wir dem bescheidenen Kabarett-King ein Stubenblues-Ständchen: „Pflückt das Mädel Ribisel, zwick ich sie ins Knie bissl.“

Trotzdem hat Hoanzl nachgelassen, wie die meisten seiner Stars. Ernste Themen werden heiter übertönt. Obwohl jeder spürt: Wir tanzen wieder am Kraterrand des Vulkans, wie damals an der Nahtstelle zwischen dem Börsenkrach (1929) und der Machtergreifung der Braunen (1933). Wie damals wird die Angst überspielt. Wie damals rettet man sich in einen Heiterkeitsrausch. Wie damals hofft man vage auf Autoritäten, die irgendwo schon alles richten werden.

Darin glichen einander Deutschland und Österreich schon einmal. Mit einem allerdings riesigen Unterschied der Kabarettqualität. Dieser blieb, wie ich jüngst erhob, aufrecht. Eine kluge, gebildete, herzliche deutsche Kollegin lud mich zu einem überregionalen Kleinkunstfestival. Mir blieb in Erinnerung, dass ich aus der ersten Reihe, in der ich privilegiert saß, nicht fliehen konnte. Die Kollegin war entzückt. Der so genannte Humor war praktisch geisteskrank. Er ­erschöpfte sich in verzerrten Gesichtern und Stimmen.

Man dachte an Oscar Wilde: „Es genügt nicht, keinen Gedanken zu haben. Man muss auch unfähig sein, ihn auszu­drücken.“

In Österreich müsste man lang suchen, um im Kabarett solches darstellerisches Elend zu finden. Inhaltlich geht es schon leichter.

Die besagten Autoritäten, auf die man heute vage hofft, gibt es durchaus. Aber kaum im Staat und der Regierung und dem so genannten Bund. Sondern in den Ländern, zumal den großen. Wien hat laut Mercer-Studie seit fünf Jahren das einst führende Zürich als lebenswerteste Stadt der Welt überflügelt. Niederösterreich wird in Brüssel als die Avantgarde-Region bewundert. Oberösterreich ist ein „Wirtschaftswunderbundesland“ („trend“), und in Salzburg, man stelle sich vor, sieht eine Frau sehr gut nach dem ­Rechten.

Diese Urteile sind gut unterfüttert. Sie sind für jeden nachlesbar, der guten Willens ist. Man muss nur ein paar Schritte flussaufwärts zu den Quellen gehen.

In Summe ist der Föderalismus nicht teurer, sondern dramatisch billiger und effektiver als jedes Zentralkomitee. Weshalb der Gedanke eines „Europas der Regionen“ für viele Denker so spannend ist. Die meisten Kabarettisten vielleicht ausgenommen. Sie sind die Letzten, die noch glauben, Geiz sei geil. Es kommt billiger, einen Zentral-Kasperl zu watschen. Neun werden teuer. Das geht ins eigene Geld.

Ob der attraktive Gedanke eines „Europas der Regionen“ zu Robert Menasses neuem Bestseller „Der Europäische Landbote“ (Zsolnay) passt, weiß ich nicht. Habe ich gekauft, aber noch nicht gelesen. Den neuen Menasse nimmt man gern mit auf die Alm. Da geht es ja auch um die Sprache.

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