Jugend am rechten Rand

Jugend am rechten Rand: Fast jeder zweite Österreicher unter 30 wählt FPÖ/BZÖ

Fast jeder Zweite unter 30 wählt FPÖ/BZÖ

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Erwin E., 18, war „kein großer Lerner“, deshalb verließ er die Schule. So kam es, dass er die Frage nach seinem Beruf heute so beantworten kann: „Dasselbe, was der Strache früher gemacht hat.“ Zahntechniker also. Für einen jungen Mann, der sein Auto mit einem FPÖ-Bären aufputzt und Zigaretten mit einem Strache-Feuerzeug anzündet, ist das durchaus eine glückliche Fügung. Erwin E. hat blau gewählt. Reinhard S.*, 17, geht ins Gymnasium. Auf seiner Computerfestplatte gibt es ein Foto, auf dem er mit FPÖ-Parteichef Heinz-Christian Strache wie mit einem Popstar posiert. Das Bild entstand nach einer Wahlkampfveranstaltung auf dem örtlichen Hauptplatz. Schon bei der niederösterreichischen Landtagswahl hatte Reinhard die FPÖ angekreuzt. Und jetzt, bei der Nationalratswahl, wieder.
Erwin und Reinhard finden, dass Strache „die Themen am besten vertritt“: Sie meinen „Ausländerstopp“, „Asylmissbrauch“, „Heimatschutz“. Und so wie sie denkt längst nicht mehr nur eine radikale Minderheit. Trocken konstatiert Peter Ulram, Chef des Meinungsforschungsinstituts GfK, offenbar habe „niemand von den anderen Parteien eine Antwort auf das Lebensgefühl der Jungen gefunden“. Ulrams Daten zufolge kam das dritte Lager – FPÖ und BZÖ zusammengenommen – in der Altersklasse der unter 30-Jährigen auf 43 Prozent. Noch deutlicher war das Rechts-Votum der Erstwähler: 44 Prozent der 16- bis 19-Jährigen stimmten für FPÖ-Chef Heinz- Christian Strache, drei Prozent für dessen politischen Ziehvater Jörg Haider (BZÖ). Fast jeder Zweite wählte rechts. SPÖ und Grüne, die sich von einer Senkung des Wahlalters am meisten versprochen hatten, sind bei den Jungen abgemeldet (siehe Grafik). Laut GfK-Wahltagsbefragung waren die Roten in der Generation unter dreißig nur für jeden Zehnten wählbar. „Das ist die Partei, die Geld, das nicht da ist, für Leute ausgibt, die nix hackeln wollen“, ätzt die 17-jährige Kremser Schülerin Tanja. Das klingt auch ziemlich rechts; dabei ist sie „eine Grüne“.

Radikal, aufbegehrend. Dass Strache „am besten rüberkommt“, wie Erwin und Reinhard unisono finden, dass er in Szenelokalen Runden schmiss und sich in Abtanzhallen wie „Nachtschicht“ oder „Partyhouse“ die Nächte um die Ohren schlug, dass die anderen Parteichefs neben ihm abgehoben und alt ausschauen – das allein kann den Rechtsruck nicht erklären. Bruno Kreisky war 68 Jahre, als er 1979 einen rauschenden Wahlsieg einfuhr. Die SPÖ kam damals auf 51 Prozent, die ÖVP auf 42 – diesenVorsprung verdankten die Genossen nicht zuletzt den Erstwählern, die den „Alten“ zu 53 Prozent gewählt hatten. Sieben Jahre später – Haider setzte gerade zu seinem Höhenflug an – konnte die SPÖ immer noch auf die Jugend bauen (siehe Grafik). Doch bald mussten die Großparteien feststellen, dass die Freiheitlichen vor allem im Wählerteich „Jung, männlich, Facharbeiter“ erfolgreich fischten. Zwei Dekaden später haben sie auch „die radikale, aufbegehrende und verängstigte Jugend mitgenommen“, so Jugendforscher Bernhard Heinzlmaier.

Erwin E. und Reinhard S. haben nichts „prinzipiell“ gegen Ausländer. Es ist ein Einleitungssatz, den man von Strache-Wählern oft hört. Der Zahntechniker und der AHS-Schüler aus Tulln kennen nette Türken, Reinhards bester Freund stammt aus Kroatien. Aber sie hätten so ihre Erfahrungen mit den „unguten“ gemacht: Ausländern, die in Gruppen herumgehen, mit ihrer Herkunft prahlen und nicht Deutsch lernen; in ihrer Stadt seien es meistens Kroaten oder Serben, die immer zusammenhielten, andere anstänkerten und niederschlügen.

Bülent Öztoplu ist Integrationsexperte. Im Auftrag der Stadt Wien soll er das konfliktreiche Zusammenleben von Einheimischen und Zugewanderten in den Gemeindebauten entschärfen. Dort wohnen die jungen Familien aus der Arbeiterschicht, nicht selten sind es die eingebürgerten Nachkommen ehemaliger Gastarbeiter, die heute Strache wählen. Für sie sei er ein „Role Model“, ein „Aufsteiger“, der zwar nicht aus der Welt schafft, was sie in ihrem Wohnblock nervt, aber zumindest spricht er es an: „Die Jungen wählen keine Funktionäre mehr, sie wollen einen wie Strache, der dynamisch ist, cool und authentisch.“

Die Kinder der Konsumgesellschaft wurden mit dem Glaubensbekenntnis des Materialismus groß, dass jede Leistung eine Gegenleistung verlangt. „Mit einem Wertewahlkampf braucht man ihnen nicht kommen“, sagt Heinzlmaier. Diese Jugend wolle etwas für ihre Stimme, und bei den Strache-Slogans sei klar, was das ist: „Daham statt Islam“ und „Heimatflug“ bei „Asylbetrug“. Aber bei den Grünen? Selbst Grünwählerin Tanja war konsterniert, als sie auf einem „faden, nichts sagenden“ Van-der-Bellen-Plakat las: „Wann, wenn nicht jetzt?“ „Na, dann halt später“, habe sie gedacht und das nächste Mal nicht mehr hingeschaut. Die SPÖ-Plakate sind ihr gar nicht erst aufgefallen.

Das Institut für Jugendkulturforschung hatte Anfang September 300 Erstwähler nach ihren Anliegen gefragt: Ausländer rangierten an der Spitze. Nicht immer können ältere Semester, die im Nachkriegsschema von links und rechts sozialisiert sind, die Bruchlinien nachvollziehen: Da gibt es Krocha-Gangs, meist Migranten, die sich mit biertrinkenden und kiffenden Glatzen prügeln. Beide wählen Strache. Und dann gibt es Jugendliche, die unter den Stänkereien so leiden, dass sie auch Strache wählen. Daneben gibt es Jungwähler wie den 16-jährigen Robert G.*, der in Wien die Tourismusschule Modul besucht. Im Februar 2007 haben ihm vier Türken in einer U-Bahn-Station sein Handy geraubt. Strache ist ihm „zu radikal“, deshalb ist er für die ÖVP. Und dann gibt es Jugendliche, die Grün wählen, wegen ihrer liberalen Haltung in der Zuwandererfrage. Oft streiten sie alle miteinander, und am Abend gehen sie gemeinsam aus.

Rechte Parolen. Lisa, 19, ist Grünwählerin und HAK-Schülerin in Wien. Einige ihrer Bekannten sind Blaue. In den vergangenen Wochen kamen sie „immer wieder mit Zahlen daher, die ich nicht nachprüfen kann, sie verdrehen die Wahrheit oder sagen nur die Hälfte“. Wenn die mit Parolen aufmunitionierten Strache-Anhänger behaupten, dass die Linken die Steuern erhöhen, damit „wir alle Ausländer ernähren können“, und dass „wir ihnen die Moscheen zahlen“, geht der schüchternen Lisa oft der Text aus: „Ich weiß nicht, was ich ihnen entgegenhalten soll.“ Genau das ist das Problem. Vergangene Woche präsentierte Buchautor Klaus Werner (u. a. „Schwarzbuch Marken“) sein jüngstes, globalisierungskritisches Werk „Uns gehört die Welt“. Darin fasst er seine Erfahrungen aus über hundert Vorträgen an Schulen zusammen. Fast in jeder Klasse säßen „Türken, Rechte und dazwischen ein paar, die sich zerrieben fühlen“, sagt er. Die Lehrer stünden hilflos daneben und beschwichtigten: „Alles nicht so schlimm.“ Doch die Jugendlichen wollten streiten, es seien „nicht einfach rechte Arschlöcher, sondern Menschen auf der Suche nach Identität und sozialer Anerkennung“. Der Einzige, der ihnen dabei über den Weg laufe, sei FPÖ-Frontmann Strache: „Der lässt sie dann zwar im Regen stehen, aber die anderen Politiker versuchen nicht einmal, die Jugendlichen abzuholen.“ Weder Grüne noch Rote hätten den Mut, sich mit den Rechten, von denen es in jeder Klasse genug gäbe, auseinanderzusetzen. So bleibt links von der Jugend jede Menge ungenützter Raum für Protest; dafür ist rechts von der Jugend nur mehr die Wand.

Die für Jugend zuständigen Funktionärinnen Laura Rudas (SPÖ) und Sylvia Fuhrmann (ÖVP) sagen den meisten Lehrlingen wenig. Die Grünen schlendern durch Bobo-Distrikte und begnügen sich mit einer älter werdenden, urbanen Bildungsschicht, Studenten und der Freelancer-Kaste der „Creative Industries“. Am flachen Land überlassen sie das Terrain der Freiwilligen Feuerwehr, Trachtenvereinen und Blasmusikkapellen – alles konservative Aufmarschzonen. Eva Steiner, Lebensgefährtin von SPÖ-Kanzler Alfred Gusenbauer und Mutter einer Erstwählerin, hält auch nicht alle jungen Strache- und Haider-Wähler a priori für Rechte: „Viele von ihnen sind bloß ihrem Populismus erlegen. Strache zum Beispiel ging mit Forderungen wahlkämpfen, die vor dem Sommer beschlossen wurden; etwa Lehre mit Matura.“ Laut ihrer Erfahrung hätten 16-Jährige „ein großes Bedürfnis nach sachlicher Auseinandersetzung. Hier sind zusätzlich zum Elternhaus die Schulen gefordert.“ Politische Bildung gehöre fix auf den Stundenplan, auch Wahlkämpfe sollten im Unterricht behandelt werden.
Wem es an politischer Bildung fehlt, der orientiert sich an Personen. Wolfgang*, 16, hat seine Elektrikerlehre wegen einer Operation an der Hand abbrechen müssen, jetzt sucht er „etwas im Einzelhandel“. Florian, 18, machte eine Lehre in Maschinenfertigungstechnik und wollte für drei Jahre zum Bundesheer. Doch dann hätte man ihn gedrängt, in den Tschad zu gehen; das wollte er nicht. Die beiden Burschen gehören einer Gang aus Wien-Neuwaldegg an. Unlängst hätten sich 17 „von den Ausländern“ vor ihnen aufgepflanzt, sie seien zuerst drei und dann neun gewesen, „dann haben die sich wieder verpisst“. Beide wählen Strache. Wolfgang hätte sich auch für Van der Bellen erwärmen können, „weil er sympathisch ist, aber dann war klar, dass es der Strache wird, weil der sich mit Ausländern beschäftigt“. Das machten die anderen Parteien zwar auch, „aber der Strache am effektivsten“. Wolfgangs Mutter ist in einem „ungarischsprachigen Dorf in Jugoslawien“ geboren und „vor vielleicht 35 Jahren“ nach Österreich gekommen, Florians Mutter stammt aus Deutschland. Sie seien selbst keine „reinen Österreicher“; trotzdem finden die Burschen, es seien „zu viele Ausländer im Land“. Vor allem die Türken glaubten, „sie sind etwas Besseres“. Die Politiker „wissen nicht, wie es auf unseren Straßen zugeht“, sagen sie. Florian macht einen Vorschlag, scherzhalber: „Legalisieren wir den Elektroschocker.“

Aufführen und fordern. Die Ausländer sollten sich benehmen, nicht „mit nix ankommen“, sich „wie die Kings aufführen“ und auch noch verlangen, dass der Staat sie auffängt. In der Schule müssen alle Deutsch reden, aber am Pausenhof stehen die Serben mit den Serben zusammen und die Türken mit den Türken – „und wir blöd daneben und verstehen nichts“. Solche Klagen hört man nicht nur von Strache-Anhängern. Als eine „pragmatische Generation unter Druck“ hatte die deutsche Shell-Studie 2006 die Jugend beschrieben und befundet, dass ihre Toleranz Fremden gegenüber schwinde. Wer Angst hat, vom gesellschaftlichen Reichtum nicht genug abzubekommen, ist nicht mehr offen für jene, die neu dazukommen. Und diese Angst frisst sich zur Mittelschicht durch. Christian S., 26, leitet ein Modegeschäft in Wien. Er sagt, vor allem Junge müssten entlastet werden: „Ich wäre deshalb für eine soziale und eine rechte Partei in einer Regierung.“

Noch wählen Schüler und Studenten tendenziell grün; Lehrlinge und Berufsschüler blau, doch FPÖ und BZÖ öffnen sich zu den Bildungsschichten hin. Bernhard M., 20, studiert Jus in Wien und jobbt als Kellner bei einem Heurigen. Sogar der noble Bezirk Döbling, wo er mit seiner Mutter und drei weiteren Geschwistern in einer 77-Quadratmeter-Wohnung lebt, sei „keine heile Welt mehr“, sagt er. Lokale, in denen Migranten verkehren, meide er, weil dort zu viele sind, „die provozieren wollen“. Die FPÖ macht aus seiner Sicht das Richtige, nämlich Familienpolitik für „unsere eigenen Leute“, während die SPÖ Integrationsprobleme leugne. Da frage er sich, „warum sie Wahlkampf-Flyer auf Türkisch drucken haben lassen“.

Die Großparteien hätten über Bildung reden sollen, darüber, wie man Aufstieg und Familie vereinbaren kann. „Damit hätten sie die Jungwähler gekriegt und ihre Eltern dazu“, glaubt Christoph Hofinger vom Sozialforschungsinstitut Sora. Stattdessen redeten sie über die Teuerung, die „für die Jungen abstrakt ist“, und kämpften im Stil der siebziger Jahre um Kernschichten. Dabei hätte man sich bei Barack Obama abschauen können, wie man eine junge Klientel umwirbt – mit Networking, Community-Building über das Internet und Events. Hofinger: „Die FPÖ war noch am kreativsten von allen.“ 100.000 blaue Armbänder und 5000 HC-Blinker hatten Straches rechte Recken in Discos unters Volk gebracht. Generalsekretär Herbert Kickl textete für den blauen Spitzenmann den Rap „Viva HC!“. Davon ließ sich zwar nicht jeder FPÖ-Wähler mitreißen. Florian etwa hat für den Song nur einen mitleidigen Seufzer übrig: „Mein Gott, der hört sich an …“ Doch viele finden es, so wie der 16-jährige Wolfgang, „schon gut, ein Politiker, der rappt“.

Straches wehrsportähnliche Übungen, von denen im Wahlkampf neue Fotos auftauchten, halten sie für „Blödsinn“. Dass sich in seinem Dunstkreis Burschenschafter und Rechtsradikale tummeln, erschüttert sie aber nicht besonders. Jugendliche leben im Jetzt. „Die NS-Zeit ist 65 Jahre her, das ist in ihrer schnelllebigen Zeit prähistorisch“, sagt Jugendforscher Heinzlmaier. Fast jeder von ihnen kenne außerdem einen jungen Fascho, und der sei meistens „ein ganz netter Kerl, wenn man mit ihm redet“. Von Burschenschaften haben die beiden Lehrlinge noch nichts gehört. Ob sie etwas mit den „Braunen“ zu tun haben? Der 18-jährige Florian macht große Augen. „Ich hab mit Schwarzen keine Probleme“, sagt er, dieses Mal nicht scherzhalber. Er weiß nicht, dass Braun die Farbe der NSDAP war.

Von Marianne Enigl und Edith Meinhart