Schub und Schiebung

Justiz ermittelt gegen Sicherheitsdienstleister G4S

Affäre G4S. Das Innenministerium macht Geschäfte mit einem Sicherheitsdienstleister, gegen den die Justiz ermittelt

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Es sind gerade einmal drei Sätze, sperrig formuliert zumal. Doch sie verraten alles: „Der Referenznehmer muss als Generalunternehmer für zumindest (sic!) Bewachungs- und Betriebsführungsleistungen tätig gewesen sein. Es muss sich um eine Schubhaftvollzugseinrichtung oder ein Gefängnis im EWR-Raum für mind. 150 Inhaftierte handeln.“ Und: „Der Bieter muss einen durchschnittlichen Jahresumsatz von insgesamt mindestens EUR 20 Mio. aufweisen.“ Die Textpassage entstammt einer Ausschreibung, die bisher unter verschluss gehalten wurde. Sie nährt einen Verdacht, dem profil bereits vor drei Wochen nachgegangen war: Das Innenministerium hat einem befreundeten Unternehmen einen Millionenauftrag verschafft. Mittels einer Ausschreibung, die auf eben dieses Unternehmen zugeschnitten war: Group4Security, kurz G4S.
In der obersteirischen Gemeinde Vordernberg wird derzeit mit Hochdruck an der Fertigstellung eines Projektes gearbeitet, das mit Jahresbeginn 2014 seiner Bestimmung übergeben werden soll: ein neues „Anhaltezentrum“, in dem fortan Menschen, die in Österreich kein Asyl erhalten, der Abschiebung harren. Die Gemeinde wird den Komplex nicht selbst betreiben. Erstmals soll dies ein privates Unternehmen erledigen. Mitte September hatte Vordernberg – in enger Abstimmung mit dem Innenministerium – dem Österreich-Ableger von G4S den Auftrag dazu erteilt. profil berichtete ausführlich.

Das Geschäft wurde zwar international ausgeschrieben, doch tatsächlich bewarb sich nur ein Anbieter: G4S. Weil es eben weltweit nicht allzu viele Unternehmen gibt, die Gefängnisse und/oder Schubhaftzentren betreuen. Und weil G4S Österreich seit Jahren eng mit dem Innenministerium verbandelt ist. Der Vertrag ist auf unbefristete Zeit abgeschlossen und kann erstmals nach 15 Jahren gekündigt werden. Auftragsvolumen rund 4,5 Millionen Euro im Jahr (auf 15 Jahre gerechnet 68 Millionen Euro), bezahlt aus Mitteln des Innenministeriums.

Mutmaßlicher Betrug
Seit Wochen kommt der britische Konzern nicht aus den Schlagzeilen. Und das ist nicht Vordernberg allein geschuldet (siehe auch Bericht hier). Für G4S Österreich gilt die Unschuldsvermutung. Im wahrsten Sinne. Ausgerechnet der Geschäftspartner des BMI ist Gegenstand staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen. Wegen mutmaßlichen Betrugs. G4S steht im Verdacht, die Stadt Klagenfurt über Jahre um mehrere hunderttausend Euro geschnalzt zu haben.

Zu den in Österreich bisher angebotenen Diensten zählt – neben Personen- und Objektschutz – die Parkraumüberwachung, die G4S mittlerweile in etlichen Städten besorgt.

So auch in Klagenfurt.

Bereits 2010 langte bei der Staatsanwaltschaft Klagenfurt die anonyme Sachverhaltsdarstellung eines Insiders ein, in welcher schwere Verfehlungen des regionalen Managements angezeigt wurden. Im Kern, so der Verdacht, sollen der Stadt Leistungen verrechnet worden sein, die so nie erbracht wurden. Außerdem sollen hunderte Organmandate ohne Rechtsgrundlage „storniert“ worden sein.
Der Akt landete schließlich bei der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) in Wien, die umfangreiche Ermittlungen einleitete.

Allein im Verfahrenskomplex „Organmandate“ wird gegen rund 500 Beschuldigte ermittelt – Lokalpolitiker und Polizisten, die dann doch nicht zahlen mussten, auf der einen Seite; involvierte G4S-Mitarbeiter auf der anderen.

Im zweiten Komplex „Fehlverrechnungen“ liegt mittlerweile ein Abschlussbericht vor. „Nach unseren Erkenntnissen ist der Stadt Klagenfurt zwischen 2007 und 2011 aus Fehlverrechnungen ein Schaden von 400.000 Euro entstanden“, sagt WKStA-Sprecher Erich Mayer. Der ursprüngliche Verdacht richtete sich gegen ein halbes Dutzend aktiver oder ehemaliger G4S-Beschäftigter rund um den früheren Leiter der „Landesdirektion Kärnten“, im Juli dieses Jahres waren die Ermittlungen aber auch auf das Unternehmen selbst ausgeweitet worden – auf Grundlage des so genannten Verbandsverantwortlichkeitsgesetzes. Ob es zu Anklagen reicht, will Mayer nicht sagen.

Innenministerium ohne Berührungsängste?
Es wäre jedenfalls nicht das erste Mal, dass G4S die Gerichtsbarkeit beschäftigt. Im Dezember 2011 waren in Klagenfurt zwei G4S-Mitarbeiter zu jeweils vier Monaten bedingter Haft und Geldstrafen verurteilt worden, weil sie in den Oberkärntner Gemeinden Seeboden und Millstadt in 1024 Fällen unbefugt Strafmandate ausgestellt hatten. Im Oktober des Vorjahres mussten sich weitere sechs G4S-Leute wegen Urkundenfälschung und Amtsanmaßung vor dem Landesgericht Klagenfurt verantworten.
Erst vor wenigen Tagen wurde öffentlich, dass auch in Großbritannien Ermittlungen laufen. Dort soll G4S ebenfalls Leistungen an den Staat verrechnet haben, die so nie erbracht wurden. Konkret geht es um die Überwachung von Häftlingen mit elektronischer Fußfessel, die ihre Strafe längst verbüßt hatten oder gar verstorben waren.

Hat das Innenministerium so gar keine Berührungsängste? „Die staatsanwaltschaftlichen Erhebungen lassen keine Rückschlüsse auf die Kooperation mit Vordernberg zu“, heißt es aus dem Ministerium, und überhaupt: „Ausschreibung und Vergabe waren Sache der Gemeinde Vordernberg.“

Nach profil-Recherchen könnten die in Österreich vermuteten Unregelmäßigkeiten darauf zurückzuführen sein, dass G4S sehr knapp kalkuliert, um an öffentliche Aufträge zu kommen. Möglicherweise zu knapp. Das könnte erklären, warum es im kleinen Raum Klagenfurt zu so hohen „Fehlverrechnungen“ kam. So gibt es keinen Hinweis darauf, dass einzelne Mitarbeiter sich persönlich bereichert hätten. Den Nutzen hatte, wenn überhaupt, nur das Unternehmen.

Stimmen die G4S-Budgets also nicht? Und was bedeutet das für den Betrieb des Schubhaftzentrums Vordernberg?

G4S-Chef Matthias Wechner, einst stellvertretender Kabinettschef unter Innenminister Günter Platter, legt ebenfalls Wert auf die Feststellung, dass das eine, also die Ermittlungen in Kärnten, nichts mit dem anderen, also Vordernberg, zu tun hätten. Die laufenden Untersuchungen der Justiz will er nicht kommentieren.

Der von der Marktgemeinde aufgesetzte „Generalunternehmervertrag“ liegt vor. Demnach wird G4S ab 2014 für alle „nichthoheitlichen“ Dienste in Vordernberg verantwortlich zeichnen: Gebäude- und Materialverwaltung, Verpflegung, Reinigung, Kleiderlager, Bibliothek, Gesundheitsfürsorge sowie „Gewalt- und Konfliktprävention“. Der Komplex soll bis zu 200 Schubhäftlinge gleichzeitig beherbergen können, wofür G4S rund 100 Mitarbeiter abstellen will. Wie soll all das mit 4,5 Millionen Euro im Jahr bestritten werden? Auf seine Kalkulation angesprochen, antwortete Wechner bereits vor drei Wochen ausweichend: „Das legen wir natürlich nicht offen. Aber glauben Sie mir, wir haben schon bessere Geschäfte abgeschlossen.“

Ob G4S die vertraglich fixierten Leistungen zum genannten Pauschalbetrag erbringen kann, wird zu beweisen sein. Allein der Vertragspunkt „Versorgungsmanagement“ dürfte zu einem nicht unerheblichen Kostenfaktor werden. „Der Auftragnehmer hat dreimal täglich (Frühstück, Mittag-, Abendessen) eine … ausgewogene, abwechslungsreiche und gesunde Verpflegung der Angehaltenen sicherzustellen. Besondere Rücksicht ist auf medizinische, religiöse und vegetarische Diätpläne und Besonderheiten … zu nehmen (… keine Verwendung von Schweinefleisch (Muslime) bzw Rinderfleisch (Hindus))“.

Immerhin lässt der Vertrag den einen oder anderen Spielraum. Im Kapitel „Winterdienst“ heißt es etwa: „Der Auftragnehmer ist … zum Winterdienst auf dem Gelände des Zentrums verpflichtet. Der Auftragnehmer hat im Bedarfsfall die Schneeräumung und -streuung aller für den Betrieb relevanten Flächen … zu gewährleisten.“ An anderer Stelle heißt es allerdings: „Darüber hinaus beaufsichtigt der Auftragnehmer interne reinigungs- und winterdienstliche Tätigkeiten sowie Instandhaltungsarbeiten, welche durch angehaltene erbracht werden.“

Schubhäftlinge, die Schnee schaufeln, sparen Geld.

Michael   Nikbakhsh

Michael Nikbakhsh

war bis Dezember 2022 stellvertretender Chefredakteur und Leiter des Wirtschaftsressorts.