Kunst: Flexible Betriebe

Arbeitsleistung zwischen Avantgarde und Broterwerb

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Sechs Jahre lang hatte der junge Mann nach der Kunstakademie als Broker an der Wall Street gearbeitet. Dann aber, Anfang der achtziger Jahre, setzte der große Hype um ihn ein. Mit seinen Porzellankitschfiguren und aufblasbaren Teddybären eroberte er den Kunstmarkt: ein Neo-Popstar für die angeschlagene New Yorker Szene. Auch wenn Jeff Koons nie mit besonderem Feinsinn punkten konnte und wollte, so wusste er sich und seine Arbeiten zumindest immer hervorragend zu verkaufen – er kannte eben die Regeln des Marktes. Seine Wall-Street-Erfahrungen dürften ihm dabei nicht hinderlich gewesen sein.

Von solch hoch dotierten Nebenjobs kann das Gros hiesiger Künstler nur träumen. Ausschließlich von der Kunst zu leben gelingt fast keinem der Absolventen von Kunstakademien. Wie viele Kunsthochschul-Abgänger sich langfristig so etablieren können, dass sie nebenbei keinem bürgerlichen Broterwerb mehr nachgehen müssen, ist in Österreich nie seriös erhoben worden; Schätzungen schwanken zwischen ein und fünf Prozent. Wer eine der raren Stellen an Kunstakademien ergattert, kann sich glücklich schätzen. In der Regel ist eher Kellnern angesagt. Oder Werbegrafiken entwerfen. Architekturmodelle bauen. Im Callcenter aufgebrachte Anrufer beruhigen. Als Museumsaufsicht Touristen im Zaum halten. Kurt Kren war in Österreich längst anerkannter Avantgarde-Filmemacher, als er in den achtziger Jahren als Aufseher im Museum of Fine Arts in Houston zu arbeiten begann.

Verwischte Grenzen. Nicht immer allerdings müssen die Arbeiten, mit denen Kunstschaffende ihren Lebensunterhalt verdienen, trostlos sein. Und oft verwischen sich die Grenzen zwischen Erwerbsarbeit und Kunst auch – wie man derzeit in der Ausstellung „Kurze Karrieren“ im Wiener Museum moderner Kunst (Mumok) sehen kann: Die zehn hier vertretenen Künstler und Künstlerinnen, die in den sechziger und siebziger Jahren als solche tätig waren, haben ihre kreativen Ambitionen allesamt aufgegeben. Manche wechselten einfach die Seite – von der Kunstproduktion zur Kunstvermittlung: so etwa der Düsseldorfer Konrad Lueg, der später unter seinem tatsächlichen Namen Konrad Fischer erfolgreicher Galerist wurde. Oder Hilka Nordhausen, die schon während ihrer Arbeit an konzeptuellen Zeichnungen und Sprachexperimenten mit ihrer Buchhandlung eine Anlaufstation für die künstlerische und literarische Szene Hamburgs etablierte.

Allerdings, so erklärt Susanne Neuburger, die gemeinsam mit Hedwig Saxenhuber die Mumok-Schau kuratiert hat: „Es geht hier nicht um einen Jobwechsel, sondern um einen Gesamtanspruch, eine primäre Struktur, die da ist.“ Eine solche Struktur wird beispielsweise deutlich im Lebenslauf von Charlotte Posenenske, die erst als Bühnenbildnerin arbeitete, dann Objektserien industriell fertigen ließ, schließlich durch ihre Beschäftigung mit Arbeitsabläufen noch im Alter von 38 Jahren Soziologie zu studieren begann – und in diesem Bereich bis zu ihrem Tod arbeitete –, weil die Kunst, wie sie notierte, „nichts zur Lösung drängender gesellschaftlicher Probleme beitragen kann“.

Kunst oder nicht – diese Frage stellt sich manchmal gar nicht. So sagt auch der junge Wiener Künstler Jun Yang, der zwischen Auslandsstipendien und Galerieausstellungen zwei Lokale mitgegründet hat: „Es geht mehr um die Frage, was mich interessiert. Zwischen den Veranstaltungen in den Lokalen und meiner Kunstproduktion mache ich keinen großen Unterschied. Das ist die gleiche Denkweise, der gleiche Ansatz.“

Der idealisierte Zustand der Durchdringung von Kunst und Leben hat aber auch seine Schattenseiten. Als vorwiegend selbstständig Erwerbstätige sind Künstler oft rund um die Uhr im Einsatz – wobei Arbeit und Freizeit seit jeher kaum trennbar sind: „Socializing“ ist das Um und Auf jeder Karriere, Eigenmarketing eine Selbstverständlichkeit.

In einer Zeichnung des Berliners Hannes Kater findet sich der Satz: „KünstlerInnen sind klassische Selbstausbeuter. Heute sind sie Ideen-Pool, ProduzentInnen und PR-AgentInnen in einer Person – ohne soziale Sicherung.“ Das „Arbeiten auf Verdacht“ ist in der bildenden Kunst nicht nur hierzulande üblich; ob Maler oder Videokünstler, ob Performer oder Bildhauer: Etwas wird hergestellt, von dem man nur hoffen kann, dass es Abnehmer finden wird. Zwar ist die Frage nach einem möglichen Verkauf, einem möglichen Auftrag oft nicht unbedingt primär. Dennoch: Künstler produzieren Kunst auf Vorrat, meist ohne jede Sicherheit, sie jemals in Geld umsetzen zu können. Im Gegensatz zu anderen kulturellen Bereichen werden für Beteiligungen an Veranstaltungen und Ausstellungen selten Honorare bezahlt. Vor allem junge Künstler können bereits von Glück sprechen, wenn Materialkosten für eigens entwickelte Arbeiten übernommen werden – und Leihgebühren für fertige Objekte bleiben in den allermeisten Fällen ein frommer Traum.

Ewige Volontäre. Solche Arbeitsbedingungen erinnern, wenn auch ungewollt, an neoliberale Modelle. Im Zusammenhang mit ihrem neuen Buch „Jessica, 30“ hat die Schriftstellerin Marlene Streeruwitz in einem Interview von ewigen Volontären gesprochen: „Überall muss man freiwillig über lange Zeiträume hinweg etwas liefern, ohne dass es sicher ist, dass man den Dauerjob kriegt.“ Die Autorin Kathrin Röggla lässt im zwölften Kapitel von „wir schlafen nicht“, das den viel sagenden Titel „erst mal reinkommen (die praktikantin)“ trägt, Letztere zu Wort kommen: „sie könne nur träumen von einem volontariat“, heißt es in Rögglas Roman, „träumen von einem bezahlten praktikum, träumen von fixgehältern und bestehendem arbeitsvertrag.“ Und: „es reiche eben nicht aus, dass man eine arbeit leisten könne, nein, man müsse auch noch geld drauflegen.“ Das deutsche Magazin „Neon“ betitelte einen Bericht zu diesem Phänomen mit dem passenden Wortspiel „Praktikummer“.

Kein Wunder, dass die offensichtlichen Zusammenhänge zwischen Wirtschaft und Kulturschaffen auch von der Kunst selbst thematisiert werden. Bereits 2002 fragte ein Symposion im Linzer Kunstraum Goethestraße provokant (und grammatisch unkonventionell): „Ist die KulturArbeit (oder) Kunst?“ Auch in der Berliner Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst zeigte die Ausstellung „Tätig sein“ vor kurzem Werke, die sich mit dieser „Metamorphose der Arbeit“ auseinander setzen.

Freiraum Nichtstun. Für die kommende Ausstellung „Permanent produktiv“ in der Kunsthalle Exnergasse im Wiener WUK seien ebenfalls „neue Arbeitsmodelle, die in der Wirtschaft forciert werden“, die Ausgangsidee gewesen, sagen die Kuratorinnen Gabriele Mackert und Jeanette Pacher. Das „Bewusstsein, ständig lernen zu müssen, und das Arbeiten an sich selbst“ seien inzwischen gesellschaftlicher Konsens, die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit lösten sich nicht nur in der Kunst auf. Nichtstun als „regressiver Freiraum der Kreativität“ werde von den Künstlern ebenso thematisiert wie „idealistisch motivierte Selbstausbeutung“. So hat etwa das Duo Reinigungsgesellschaft Menschen zu ihrem Arbeitsbegriff befragt und porträtiert: in prekären Arbeitsverhältnissen Beschäftigte, Künstler und Unternehmer. Die Ergebnisse sollen in einer Installation, die einem Büro ähnelt, präsentiert werden. Auch der schon erwähnte Hannes Kater wurde um einen Beitrag gebeten; er betätigt sich seit Jahren als „Auftragszeichner“ mit eigener Homepage, der nach Texten Zeichnungen anfertigt.

Gleichzeitig machen die Kuratorinnen mit einem Fragebogen auf die finanziellen Rahmenbedingungen der Ausstellung – für die niemand Honorare erhält – aufmerksam und lassen die beteiligten Künstler Fragen zu „symbolischem und materiellem Kapital“, zu den Vor- und Nachteilen „flexibler Ich-AGs“ und etwa zum Problem des Haushaltens mit geringen Mitteln beantworten.

Was Künstler jedoch von den meisten Unternehmern wesentlich unterscheidet, ist ihre großteils ungewisse finanzielle Lage. Jahreseinkommen können dramatisch schwanken: Wer etwa im Jahr 2003 relativ hohe Einnahmen hatte, kann heuer vielleicht so recht und schlecht davon leben – und neue Ideen und Projekte entwickeln, ohne diese bereits in Einnahmen umsetzen zu können. Arbeitsbedingungen, die in der österreichischen Gesetzgebung kaum berücksichtigt werden.

Als Selbstständige sind die meisten Künstler auf die Sozialversicherung der Gewerblichen Wirtschaft angewiesen. Nach langen Diskussionen wurde vor wenigen Jahren ein Fonds eingerichtet, der im Rahmen eines bestimmten Einkommens Gelder zur Verfügung stellt – eine Regelung, die mit dem schönen Kompositum „Künstlersozialversicherungsfondsgesetz“ bedacht wurde. Dieses legt fest, wer anspruchsberechtigt ist – zurzeit sind das in Österreich 5200 Personen. Verdient jemand aus einer selbstständigen künstlerischen Tätigkeit zu wenig – heuer ist dieser Betrag mit 3794 Euro festgesetzt –, erhält er den Zuschuss von 872 Euro pro Jahr nicht. Einerseits, so Daniela Koweindl von der IG Bildende Kunst, entspreche das dem Motto „Wer so wenig verdient, arbeitet eh nicht professionell“, andererseits sei diese Regelung auch investitionsfeindlich. Richtig unangenehm wird die Situation, wenn Künstler am Ende eines Jahres feststellen, dass ihr Einkommen unter den Erwartungen geblieben ist – und sie den erhaltenen Betrag zurückzahlen müssen. Dem alten Bild vom Künstler als idealistisch motiviertem, unkonventionellem Unternehmer entspricht diese Situation nicht mehr. Umgekehrt stehen Eigenschaften, die Künstlern gemeinhin zugeschrieben werden – etwa Flexibilität, Kreativität und Eigenverantwortung – in Jobinseraten an oberster Stelle.

„Unsichtbare“ Arbeit. Das Klischee vom Bohemien, der mittags aufsteht, nach einigen Stunden im Kaffeehaus ein paar Striche auf die Leinwand wirft und sich dann dem Hedonismus hingibt, gilt längst nicht mehr. Die künstlerische Arbeit in anderen Medien erfordert mehr Organisation, mehr Networking und mehr „unsichtbare“, nicht ausstellbare Arbeit. Nebenjobs fressen zusätzlich Zeit – auch wenn sie bisweilen in die Kunst einfließen. Stress, Anpassungszwang, Schlaflosigkeit: Die klassischen Leiden der Manager haben die Künstler erfasst.