20.000 Meilen über das Meer

Warum immer mehr Afrikaner nach Südamerika flüchten

Migration. Warum immer mehr Afrikaner nach Südamerika flüchten

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Von Hanna Silbermayr

Da stand er nun, 8500 Kilometer Luftlinie und einen ganzen Ozean von zu Hause entfernt, 15 Jahre jung und nur ein paar Dollar in der Tasche. "Ich war völlig auf mich alleine gestellt“, erinnert sich Daniel an den Tag vor zwei Jahren, an dem er in der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires ankam. Am Flughafen hatte ihn zwar ein Verbindungsmann abgeholt und in eine Unterkunft gebracht. Aber dann wollte er von Daniel Geld sehen. "Ich hatte keines. Daraufhin hat er mich einfach sitzen lassen“, erzählt der Teenager aus Kamerun.

Daniel ist einer von Zehntausenden Afrikanern, die lieber in die Neue Welt flüchten als nach Europa. "Die afrikanische Migration nach Lateinamerika ist seit 2008 rapide angestiegen“, sagt Ezequiel Texidó von der Internationalen Organisation für Migration (IOM) in Buenos Aires. In Brasilien stammen bereits über 60 Prozent aller Asylwerber vom Schwarzen Kontinent, in Argentinien leben laut der jüngsten Volkszählung im Jahr 2010 rund 150.000 Menschen mit afrikanischen Wurzeln. Etwa 10.000 von ihnen seien im Zuge der neuen Einwanderungswelle gekommen, 3500 befinden sich in der Illegalität, schätzt Celestin Nengumbi vom argentinischen Verein "Iarpidi“, der sich für die Afroargentinier einsetzt.

Nicht nur aus Zentral- und Westafrika kommen Emigranten über den Großen Teich, sondern auch aus ostafrikanischen Ländern wie Äthiopien, Eritrea und Somalia - per Flugzeug über Dubai, Moskau oder Madrid, aber auch als blinde Passagiere auf Frachtschiffen. Dass sie den bis zu 12.000 Kilometer langen Weg nach Südamerika auf sich nehmen, hat eine Reihe von Gründen.

"Die Hürden für Migranten sind in Europa inzwischen sehr hoch. Vor allem seit 2008 hat sich der Kontinent als nahezu unzugänglich erwiesen, die Auswirkungen der internationalen Wirtschaftskrise machen ihn zusätzlich unattraktiv“, erklärt Texidó. Im Gegensatz dazu befinden sich viele in den achtziger und neunziger Jahren durch rechtsgerichtete Militärregime heruntergewirtschaftete Staaten nunmehr im Aufschwung. Brasilien etwa zählt zu den Schwellenländern mit einem vergleichsweise hohen Wirtschaftswachstum.

Dazu kommt eine deutlich liberalere Migrationspolitik als in Europa und den USA. Dass die Zahl an Migranten just 2008 sprunghaft angestiegen ist, erklärt sich Ezequiel Texidó damit, dass in diesem Jahr Ecuador sämtliche Visumspflichten schlicht und einfach aufgehoben hat: "Das war sicherlich ein Faktor, der die afrikanische Migration nach Lateinamerika nochmals verstärkt hat.“

Argentinien ist in dieser Hinsicht bei Weitem nicht so freizügig wie Ecuador. "Wir haben auf dem gesamten afrikanischen Kontinent nur ein Konsulat. Und auch dort ist ein Visum nur schwer zu bekommen“, erklärt Marcos Ezequiel Filardi von der staatlichen Flüchtlingskommission in Buenos Aires, die dem argentinischen Verteidigungsministerium unterstellt ist.

Dies verringert die Möglichkeit, auf dem Luftweg einzureisen, ungemein. Vor allem unbegleitete minderjährige Flüchtlinge wagen deshalb die Überfahrt auf See: Versteckt im Maschinenraum, oberhalb der Ruder oder zwischen den Motoren von Frachtern, müssen sie zwischen 17 und 21 Tage ausharren, bis das Schiff einen Hafen in Brasilien oder Argentinien anläuft. Es ist eine gefährliche Reise ins Ungewisse. Viele der blinden Passagiere haben zu wenig Proviant bei sich, immer wieder kommt es dadurch zu Todesfällen, hält ein Bericht der argentinischen Flüchtlingskommission fest. Genaue Zahlen sind nicht bekannt.

Ecuador, Brasilien und Argentinien sind für die meisten Migranten aus Afrika das Tor zur Neuen Welt, aber nicht immer der Bestimmungsort. Das Flüchtlingshochkommissariat Unhcr und die IOM haben in einer vergangenes Jahr veröffentlichten Studie herausgefunden, dass es je nach Nationalität unterschiedliche Destinationen gibt.

"Diejenigen, die direkt nach Argentinien flüchten, haben oft das konkrete Ziel, sich dort niederzulassen“, sagt IOM-Vertreter Texidó. Dazu gehören etwa jene Westafrikaner, die in der argentinischen Auswanderer-Community Aufnahme finden, vor allem Senegalesen, aber auch Nigerianer und Ghanaer. "In Brasilien kommen hingegen viele mit der Absicht an, danach über Venezuela, Kolumbien und Zentralamerika Richtung USA zu reisen“, so Texidó. Dabei handelt es sich vorwiegend um Äthiopier, Eritreer und Somalier.

Für sie heißt das:
Tausende Kilometer nordwärts, illegal durch mindestens ein halbes Dutzend Länder, vielfach auf Gedeih und Verderb den Schleppern zentralamerikanischer Kartelle ausgeliefert, die nicht nur Drogen zur amerikanischen Grenze schmuggeln, sondern auch Menschen. "Für diese Reise brauchen sie oft zwei Jahre und länger“, erzählt Diana Martínez Medrano von der mexikanischen Menschenrechtsorganisation Sin Fronteras.

Laut Unhcr und IOM wurden 2010 in Mexiko 1282 Personen aus afrikanischen Staaten registriert. Dabei handelt es sich aber nur um jene Personen, die in irgendeiner Art und Weise mit den Behörden in Kontakt gekommen waren. Die Dunkelziffer liege vermutlich weitaus höher, so der Bericht. "Von den 1214 Personen, die wir 2011 betreut haben, waren etwas mehr als 100 Afrikaner“, sagt Martínez Medrano. "Das sind zwar nur zehn Prozent, aber die Zahl afrikanischer Migranten in Mexiko ist in den letzten Jahren deutlich gestiegen. “

Die Reise von Daniel aus Kamerun nach Südamerika verlief vergleichsweise unbeschwerlich. "Ein Mann hat mir in Kamerun versprochen, dass ich in Argentinien Fußball spielen und zur Schule gehen könnte. Mehr wollte ich nicht“, erzählt der heute 17-Jährige, der Argentinien 2010 als unbegleiteter Minderjähriger erreichte.

Inzwischen kümmert sich die argentinische Flüchtlingskommission um ihn. Sie bezahlt ihm die Schule und hat ihm einen Platz in der Mannschaft eines Fußballvereins organisiert. Vor Kurzem hat Daniel den so genannten Naturalisierungsprozess begonnen, der seinen Aufenthaltsstatus in Argentinien legalisieren soll. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird er im Land bleiben können - 8500 Kilometer und einen ganzen Ozean von zu Hause entfernt, aber nun doch daheim.