Fremde Vorbeter

Imame: Schlüsselfiguren der Integration

Muslime. Imame sind Schlüsselfiguren der Integration

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Wer zum Islam konvertieren will, muss auf der Homepage des Islamischen Zentrums in Wien nicht lange suchen. In der Rubrik Dienstleistungen steht „Eintritt in den Islam“ an dritter Stelle, noch vor Gebetszeiten, Feiern, Heiraten und Scheidung. Der zuständige Mann für angehende Muslime ist ­Salim Mujkanovic, Imam in der Moschee in Wien-Floridsdorf.

Eben hat der 33-jährige gebürtige Bosnier das Nachmittagsgebet zelebriert. Einige Dutzend Männer, junge und alte, die meisten mit Bart, ein paar Kinder und voll verschleierte Frauen verirrten sich vorvergangenen Sonntag in die Gebetsstätte. Die Wiese davor war noch mit Papierfutzeln übersät. Zwei Tage zuvor hatten hier Hunderte Familien von sechs Uhr morgens bis zum Einbruch der Dunkelheit das muslimische Opferfest gefeiert.

Salim Mujkanovic ist einer von rund 260 Vorbetern, die in den heimischen Moscheen zwischen Bregenz und Eisenstadt ihren Dienst verrichten. In der Integrationsdebatte gelten sie als Schlüsselfiguren. Im besten Fall vermitteln sie zwischen dem Wort Gottes und säkularisierten Gesellschaften des 21. Jahrhunderts. Im schlechtesten Fall träumen sie von einem Gottesstaat und hetzen Menschen aufeinander.

Den religiösen Eiferern soll eine Bildungsoffensive zu Leibe rücken. In Österreich startete vor zwei Jahren der Uni-Lehrgang „Muslime in Europa“. Im Innenministerium tüftelt eine Arbeitsgruppe an einer eigenen Studienrichtung für Imame. Ednan Aslan, Professor für islamische Religionspädagogik an der Uni Wien, gilt als einer ihrer vehementesten Verfechter: „Wir wollen Lehrerinnen und Imame für unsere Gesellschaft selbst ausbilden. Davon hängt der soziale Friede ab.“

Aslan gab jüngst ein Buch über die unerforschte Szene der Vorbeter und Pre­diger heraus. Tenor: Imame, die kein Wort Deutsch sprechen und nach ein paar Jahren in ihr Herkunftsland zurückgehen, eignen sich nicht als Brückenbauer. „Unsere religiöse Praxis muss nicht mit der in Saudi-Arabien oder in der Türkei identisch sein. Sie ist trotzdem ge­nau­so islamisch“, sagt er. „Wir müssen die Gläubigen von der Last befreien, in einem Land zu leben und von einem anderen zu träumen.“

Damit fängt sogar Salim Mujkanovic, der bärtige Imam im Islamischen Zentrum in Floridsdorf, etwas an: „Muslim sein bedeutet nicht, sich zu isolieren.“ Die Moschee mit dem 32 Meter hohen Minarett an der Neuen Donau wurde mit Geld des saudi-arabischen Königs Faisal ibn Abd al-Aziz gebaut. Als sie 1979 eröffnet wurde, kam Mujkanovic in Bosnien gerade auf die Welt. Im Alter von zwölf Jahren vertrieb ihn der Krieg. Seinen Vater, der seit Langem in Österreich lebte, kannte der Bub nur von den Wochenenden, an denen er mit dem Gastarbeiterbus nach Hause ­gekommen war. Erst 1992 war die Familie wieder vereint, als Kriegsflüchtlinge in Wien.

Nach außen schien sich Mujkanovic hier zurechtzufinden. Er schloss eine Maschinenbau-Fachschule ab, absolvierte das Bundesheer, heiratete. Doch innerlich habe er ständig nach einem Sinn gesucht: „So habe ich mit 18, 19 Jahren die Religion entdeckt.“ Seine Eltern, wie viele ihrer bosnischen Landsleute mäßig eifrige Muslime, bekamen es mit der Angst zu tun, als er ihnen eröffnete, er gehe nach Medina, um Arabisch und den Islam zu studieren. „Sie dachten, dass ich mich abschotte.“

Nach sechs Jahren kam ihr Sohn zurück. Er arbeitete als Erzieher in islamischen Privatschulen und wurde Imam in der Floridsdorfer Moschee. Die Stelle teilt er sich mit einem vollbärtigen Ägypter, der kein Wort Deutsch spricht. Salim Mujkanovic sagt, er selbst habe kein Problem, Deutsch zu predigen und Suren zu übersetzen. Doch das heilige Buch sei nun einmal auf Arabisch abgefasst, und es freue ihn, wenn Muslime diese Sprache lernen, „um das Wort Gottes authentisch zu erfahren“.

Wenn Gläubige ihn fragen, ob sie sich an die Gesetze von Nichtmuslimen halten müssen, antwortet er: „Es ist eine religiöse Pflicht, sich an die Gesetze des Landes zu halten, in dem man lebt.“ Auch die strafrechtliche Seite der Scharia könnten sie vergessen, „weil wir nicht in einem muslimischen Land leben“. Man müsse sich ja nicht „am Schlechten beteiligen, das es in jeder Gesellschaft gibt, Alkohol konsumieren und Schweinefleisch essen“. Beim Heiraten, Fasten, Pilgern oder in der Kindererziehung sei die Scharia durchaus anzuwenden.

Imame in der Diaspora sind Anlaufstellen für Trost und Rat in allen Lagen. Sie werden kontaktiert, wenn Totenmessen zu lesen sind, ein Familienmitglied heimlich trinkt oder sein Geld am Spielautomaten durchbringt, wenn es in der Ehe nicht gut läuft oder eines der Kinder straffällig wird. Mujkanovic: „Die Leute kommen zu uns, weil sie Vertrauen haben und religiös ­alles richtig machen wollen. Wir ­machen eine Rechtsaufklärung, eine Fatwa. Es bleibt jedem selbst überlassen, ob er sich dar­an hält.“

In der Hippgasse im 16. Wiener Gemeindebezirk ist ebenfalls ein junger Bosnier Imam. Doch der Kontrast könnte kaum größer sein. Für aufgeklärte Muslime ist Senad Kusur, 28, eine Hoffnungsfigur. Donnerstag vorvergangener Woche: Die Tür zur Moschee steht offen. Drei Männer haben im vorderen Teil Platz genommen. Ein kleines Mädchen turnt auf seinem Vater her­um, seine Mutter betet alleine im hinteren Teil. Einen Tag vor Beginn des muslimischen Opferfests ist hier nicht viel los. Kusur, ein schmächtiger, ernsthafter junger Mann, trägt eine hohe, weiße Mütze und ein schwarzes Predigergewand. Zu seiner Gemeinde zählen 450 Familien, das Gros sind sunnitische Muslime aus Bosnien. „Die Menschen erwarten sich oft leichte Antworten, aber Religion ist keine Zauberlösung“, sagt er.

Kusur wuchs im Norden Bosniens auf. Als Bub hatte er im Sommer oft Tage alleine am Ufer der Sava zugebracht. Sein Vater war Transportunternehmer, seine Mutter arbeitete in einem Büro. Wenn er heute als Imam von Termin zu Termin hetzt, denkt er daran, „wie langsam die Zeit damals verflossen ist“. 1992 flüchtete seine Familie nach Deutschland. Für fünf Jahre ging sie ins kriegsgebeutelte Bosnien zurück, wo der Vater den Bauernhof vom Großvater übernahm. Senad Kusur schrieb sich in einer Medresa ein, einer isla­mischen Schule, und studierte Theologie in Sarajevo.

2010 wurde eine Imam-Stelle in Wien vakant.
Viele bosnische Muslime in der Diaspora hatten zu Kriegszeiten schlechte Erfahrungen mit Imamen aus Saudi-Arabien gemacht. Für sie ist die Trennung von Staat und Religion seit mehr als hundert Jahren geübte Praxis. Bis heute wacht die Glaubensgemeinschaft darüber, dass ihre religiösen Kreise nicht von salafistischen Eiferern gestört werden. Die ultrafrommen Prediger legen den Koran streng wörtlich aus und halten sich für die einzig wahren Muslime. Imam Kusur ist nicht entgangen, dass ihre simplen und hetzerischen ­Botschaften bei den Enkeln und Kindern der Gastarbeitergeneration durchaus auf fruchtbaren Boden fallen. Eine Antwort darauf hat er nicht: „Man kann mit diesen Leuten nicht theologisch diskutieren. Man kann nur hoffen, dass die Sicherheitsbehörden sie im Auge haben.“

Vor vier Jahren hatte eine Studie des Islamwissenschafters Mouhanad Khorchide ergeben, dass ein erheblicher Teil der Islamlehrer mit Demokratie und Rechtsstaat wenig anfängt. 28 Prozent befanden damals, Muslim und Europäer zu sein sei ein Widerspruch in sich. In Österreich ausgebildete Vorbeter, die Deutsch predigen, sollen die Moscheen öffnen. Mit der Idee zieht auch Integrationsstaatssekretär Sebastian Kurz durch die Lande. Imam Kusur kann ihr einiges abgewinnen. Doch auch er wehrt sich gegen jeden Zwang: „Viele Muslime in Österreich verstehen nicht ausreichend Deutsch. In zehn Jahren wird das anders sein. Es wäre klug, das abzuwarten. Die Demokratie wird es aushalten.“

Jeder zweite Imam in Österreich stammt aus der Türkei.
Die Hälfte davon, nämlich 65, wird von der Türkisch-Islamischen Union für kulturelle und soziale Zusammenarbeit in Österreich (Atib) kon­trolliert. Der Verein fungiert als Auslandsabteilung der Religionsbehörde Diyanet in Ankara. Bezahlt werden die Atib-Imame vom türkischen Staat.

Atib-Vorsitzender Seyfi Bozkus residiert im dritten Stock eines heruntergekommenen Bürogebäudes im zehnten Wiener Gemeindebezirk. Sein wuchtiger Schreibtisch ist mit der türkischen und der österreichischen Fahne beflaggt, darüber hängt das Konterfei Kemal Atatürks.

In der Türkei dürfen Absolventen der Prediger- und Vorbetergymnasien als Imame arbeiten. Für einen Auslandseinsatz müssen sie vier Jahre an einer theologischen Hochschule anhängen. Bozkus hat den Parcours selbst durchlaufen, bevor er 1990 nach Deutschland ging. Seit zehn Jahren arbeitet er hier als Prediger und Vorbeter, keine leichte Aufgabe, sagt er, „weil es dem Islam und den Imamen gegenüber viele Vorurteile gibt. Selbst viele Muslime wissen praktisch nichts über ihre Religion.“ Von einer Ausbildung in Österreich hält er wenig: „Dazu müsste man erst einmal eine islamisch-theologische Fakultät gründen, und dann braucht es mindestens 15 Professoren mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Davor ist jede Debatte sinnlos und utopisch.“

Man muss die Latte nicht gleich so hoch legen, meint Elmar Pichl, stellvertretender Sektionschef im Wissenschaftsministerium: „Eine eigene Fakultät ist kein Thema.“ Derzeit verhandeln Ministerium und Universität Wien, wie bereits vorhandene Lehr­inhalte der Bildungswissenschaften oder der islamischen Religionswissenschaften zu einer wissenschaftlichen Imame-Ausbildung zusammengefügt werden können. Offen ist, wo die angehenden Vorbeter die praktische Seite ihres Handwerks erlernen sollen.

Süleyman Asil Tunca weiß aus eigener Erfahrung, dass eine fundierte theolo­gische Ausbildung noch keinen Imam macht. Der 43-jährige gebürtige Türke wohnt in einem adretten Wohnblock in Wien-Favoriten. Aufgewachsen ist er in der Provinz Kappadokien, mitten in einer Weltkultur-Wunderwelt voll antiker Höhlen und Kirchen, schroff aufragender Felsformationen und unheimlicher Schluchten. Sein Vater entstammt einer Gelehrtendynastie. Seine Vorfahren waren Islamlehrer im Osmanischen Reich. Süleyman Asil Tunca, der Jüngste seiner Generation, sollte in ihre Fußstapfen treten, nachdem der ältere Bruder, ein überzeugter Kommunist, für das Amt ausgefallen war.

Nach dem Prediger- und Vorbetergymnasium arbeitete er als beamteter Imam in Neysehir: „Ich war 19 und fand mich damals reichlich unerfahren.“ Er ging nach Ägypten, um an der berühmten Al-Azar-Universität in Kairo zu studieren. Nach sieben Jahren kehrte er – mit einer ägyptischen Frau und einer kleinen Tochter – in die Türkei zurück. Das war 1995: Vertreter der religiös-politischen Milli-Görüs-Bewegung hatten es in die Regierung geschafft, doch ihre Anhänger standen unter dem Druck kemalistischer Militärs. Tunca: „Ich habe damals an der Uni gearbeitet und konnte dort kaum noch atmen.“

Einer seiner Milli-Görüs-Freunde stand der Bewegung in Österreich vor. Über ihn kam er nach Wien. Doch in der Moschee im zweiten Wiener Gemeindebezirk bekam er keinen Fuß auf den Boden. Nach außen setzt Milli Görüs auf Dialog, intern auf Missionierung und die Gründung ­eines islamischen Staats. Die Gläubigen in Wien betrachteten ihren neuen Imam als Hüter der Traditionen und „Pannenservice“. Dafür bezahlten sie ihm ein ­Gehalt, von dem er kaum leben konnte. Süleyman Asil Tunca wollte Deutsch lernen, die Kultur des Landes kennen lernen, in dem er sich niedergelassen hatte. Das sorgte für böses Blut: „Hinter meinem Rücken haben die Leute geredet: Wozu braucht ein Imam Deutsch?“ Nach zwei Monaten hängte er das Predigergewand an den ­Nagel.

„Wie soll ein Imam anderen bei der Integration helfen, wenn er der Gemeinde, für die er arbeitet, ausgeliefert ist, wenn er seine Wohnung nicht zahlen kann, sozial nicht abgesichert ist und seine Familie nicht nachholen kann?“, fragt er. Eine Ecke seines Wohnzimmers dient ihm als Arbeitsraum, hier schreibt er nun an seiner Dissertation. Erst wenn sich Imame in Österreich zu Hause fühlen, „verändern sich auch ihre Predigten“. Auch Bildung erweitere das Gesichtsfeld. Er spreche aus Erfahrung: „Meine Studien in Ägypten, Ankara und Wien haben mich sehr viel toleranter gemacht.“ Tuncas ägyptische Frau, eine mehrsprachige Ökonomin, lebt mittlerweile ebenfalls in Wien. Die Familie ist auf vier Kinder angewachsen, ein fünftes ist unterwegs.

Hat sich Salim Mujkanovic, der bärtige Imam im Islamischen Zentrum an der Neuen Donau, als Strenggläubiger in Saudi-Arabien besser aufgehoben gefunden als in Österreich? „Ich habe mich fremd gefühlt, obwohl ich von lauter Muslimen umgeben war.“ Hier in Wien gebe es außer­dem viele Menschen, denen ein muslimischer Imam etwas „anzubieten“ habe: Jeden Monat melden sich Interessierte, die seiner Religion beitreten wollen. Selbst seine eigene Familie praktiziere inzwischen die täglichen Gebete. Seine Mutter und seine Schwester tragen jetzt ein Kopftuch: „Vor ein paar Jahren haben sie das noch nicht gemacht.“ Auf dem Weg nach draußen schaut er noch schnell in seinem Büro vorbei, zieht eine deutsche Ausgabe des Korans aus dem Regal und überreicht sie zum Abschied. Er ist schließlich nicht umsonst für Konvertiten zuständig.

Edith   Meinhart

Edith Meinhart

ist seit 1998 in der profil Innenpolitik. Schreibt über soziale Bewegungen, Migration, Bildung, Menschenrechte und sonst auch noch einiges