Novum-Affäre: Im roten Winkel

Verwicklungen um ehe-malige KPÖ-Treuhänderin

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Es war eine Visite, von der kaum jemand Notiz nahm – kein Wunder, bei einem Arbeitsprogramm wie diesem. Als sich Deutschlands Bundesinnenminister Otto Schily vorvergangene Woche zu einer sieben Tage dauernden Reise nach Israel verfügte, las sich die Tagesordnung wie folgt: Eröffnung der Ausstellung „Das fragile Glück im Unglück von Verfolgung und Exil“; Teilnahme an den Feierlichkeiten zum 150-jährigen Jubiläum des „Deutschen Vereins vom Heiligen Land“; Podiumsdiskussion zum Thema „Über den Umgang mit der Vergangenheit“; Besuch an der Ben-Gurion-Universität in Be’er Sheva; schließlich einige nicht näher spezifizierte „politische Gespräche“ und ein kurzes Treffen mit Premier Ariel Scharon.

Der Papierform nach allesamt keine zwingenden Anlässe, Berlin für eine ganze Woche zu verlassen. Noch dazu just zu einem Zeitpunkt, da die innenpolitische Lage in Deutschland im Gefolge der Bundestagswahl zum Zerreißen gespannt war – und Schily selbst wegen einer Polizeiaktion gegen ein Potsdamer Politikmagazin unter schwerem Beschuss stand.

Schily hatte dennoch zumindest ein handfestes Motiv für den Trip. Ein Motiv freilich, das im offiziellen Protokoll keine Erwähnung finden sollte: die Jagd nach dem Vermögen der ehemaligen Ostberliner Handelsgesellschaft Novum und deren langjähriger Treuhänderin – der Wiener Geschäftsfrau Rudolfine Steindling. Steindling, hierzulande besser bekannt als „Rote Fini“, einst auch Handlungsbevollmächtigte der Kommunistischen Partei Österreichs, soll die Wirren der deutschen Wiedervereinigung zwischen 1989 und 1990 genutzt haben, um das umgerechnet insgesamt 230 Millionen Euro schwere Novum-Vermögen beiseite zu schaffen. Unter anderem nach Israel. Dort verbringt die heute 71-Jährige den Großteil ihrer Zeit und genießt dank generöser Spenden an Museen und wohltätige Einrichtungen höchstes Ansehen.

Persona non grata. In Deutschland hingegen gilt die resche Rentnerin als Persona non grata. Die Berliner Behörden, die Steindling in den neunziger Jahren vorübergehend per Haftbefehl suchen ließen, reklamieren die Novum-Gelder für sich. Begründung: Die inzwischen liquidierte Ostberliner Novum Handels GmbH, die über Jahrzehnte Geschäfte westlicher Unternehmen in den Arbeiter- und Bauernstaat vermittelt und daran prächtig verdient hatte, habe der DDR-Einheitspartei SED gehört – das Vermögen falle damit Deutschland zu. Erich Milleker, hochrangiger Vertreter der im Berliner Innenministerium angesiedelten Unabhängigen Kommission zur Überprüfung des Vermögens der Parteien und Massenorganisationen der DDR, gegenüber profil: „Ich kann bestätigen, dass der Bundesinnenminister unser Anliegen in Jerusalem an höchster Stelle deponiert hat.“

Wirklich weit dürfte der streitbare Politiker mit seiner Intervention freilich nicht gekommen sein. „Wir wissen jetzt auch nicht mehr als vorher“, sagt Milleker. Schilys Scheitern fügt sich in eine lange Reihe von Flops beim Versuch, der Novum-Millionen habhaft zu werden.

Am 16. November 2004 war vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig in dritter und letzter Instanz ein Verfahren zu Ende gegangen, das die deutsche Justiz ganze zwölf Jahre lang in Atem gehalten hatte: Mehr als hundert Zeugen – unter ihnen der berüchtigte DDR-Devisenbeschaffer Alexander Schalck-Golodkowski, Ex-Außenhandelsminister Gerhard Beil und auch der 1994 im chilenischen Exil verstorbene Staatschef Erich Honecker – waren gehört worden, um die scheinbar einfache Frage zu klären, wer nun wirklich der Eigentümer der Novum Handels GmbH gewesen sei – die KPÖ, wie Österreichs Kommunisten und Steindling niemals müde wurden zu behaupten, oder eben doch die SED, wie die Deutschen nachgewiesen haben wollten.

Die KPÖ gewann in erster Instanz, die mit der DDR-Nachlassverwaltung betreute Bundesanstalt für Vereinigungsbedingte Sonderaufgaben (BvS, vormals Treuhandanstalt) in der zweiten und dritten – die Novum wurde Ende 2004 ein für alle Mal rechtskräftig Deutschland zugesprochen.
Es war bloß ein vermeintlicher Sieg.

Von den rund 230 Novum-Millionen haben die Deutschen nämlich auch ein Jahr nach dem Leipziger Urteil keinen Cent gesehen.

Transaktionskarussell. Nach dem Fall der Berliner Mauer hatte Steindling im Namen der KPÖ ein schwindelerregendes Transaktionskarussell in Gang gesetzt, möglicherweise mit dem einzigen Zweck, das Barvermögen der Novum zu anonymisieren. 1992 gelang es den Deutschen, rund 100 Millionen Euro auf einem Konto in der Schweiz ausfindig zu machen. Die fehlenden 130 Millionen sollen zuvor über die Wiener Novum-Hausbank Länderbank (heute Bank Austria Creditanstalt) und deren Zürcher Tochter BFZ in alle Welt verschoben worden sein. Sie gelten bis heute offiziell als „unauffindbar“. Doch auch an das Geld in der Schweiz kamen die Deutschen bisher nicht heran. Weil Steindling und die KPÖ die Herausgabe verweigerten, reichte die BvS Klage vor dem Bezirksgericht Zürich ein. Das Verfahren ist noch nicht entschieden.

Allein bei den deutschen Behörden sind in den vergangenen zwölf Jahren Gerichts- und Anwaltskosten in der Höhe von vier Millionen Euro aufgelaufen – und nicht einmal diese konnten eingetrieben werden. Anfang September trudelte im Magistrat der Stadt Wien ein Vollstreckungsersuchen des Verwaltungsgerichts Berlin über diese Summe ein. Es konnte allerdings noch keiner Bearbeitung zugeführt werden: Das Rathaus verwies die Deutschen erst einmal zuständigkeitshalber an das Bezirksgericht Döbling weiter. Dort, im noblen 19. Wiener Gemeindebezirk, ist Steindling nämlich polizeilich gemeldet.

Der Wiener Rechtsanwalt Harry Neubauer, der sowohl Steindling als auch die KPÖ vertritt, weist derlei Begehrlichkeiten ohnehin nonchalant ab: „Ich beschäftige mich nicht mit der Durchsetzung von Forderungen der Deutschen.“ Hat in Zivilverfahren der Unterlegene nicht gemeinhin die Kosten zu tragen? Neubauer: „Wenn Sie das so sehen …“

Die frühere KPÖ-Finanzdiva versucht offenbar, den Deutschen die völlige Mittellosigkeit vorzuführen. „Wir haben nichts, worauf wir zugreifen könnten“, klagt Erich Milleker, „auch die offiziellen Stellen in Österreich waren eher keine große Hilfe.“

Dass Madame Steindling mittellos sein soll, ist zumindest erstaunlich. Sie ist – in Israel wie auch in Österreich – als Mäzenin bekannt und geschätzt. In Israel machte sie mit großzügigen Zuwendungen an die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem von sich reden; sie hat einen Seminarraum im Mendel Institute of Jewish Studies und das Theodor-Herzl-Museum mitfinanziert; in Wien dem Arnold Schönberg Center beim Ankauf eines wertvollen Gemäldes aus der Hand des Meisters unter die Arme gegriffen; der Dolly Steindling Fund – errichtet im Andenken an ihren Mann, den ungarischen Widerstandskämpfer Adolf Steindling – sponsert Seminare an der International School for Holocaust Studies; Fini selbst zählt sowohl zu den Gönnern des Children at Heart Award, einer Hilfsorganisation für Tschernobyl-Opfer, wie auch zu den Förderern des Wiener Volkstheaters, des Ballettclubs der Staatsoper und des Sigmund-Freud-Museums.

Und nicht einmal vor der Fauna macht die Generosität von Rudolfine Steindling Halt: Im Jahr 2003 sorgte sie dafür, dass die Elefantendame „Michaela“ in den Tisch Family Zoological Gardens, einem Zoo in Jerusalem, erfolgreich einer künstlichen Befruchtung unterzogen werden konnte.

„Das macht einem eine Freud’, wenn man sich engagiert“, sinnierte Steindling kürzlich gegenüber der Austria Presse Agentur: „Ich will das aber nicht an die große Glocke hängen.“ Schließlich täte sie, wie sie beteuert, „ja nur Geld sammeln“.

Geld sammeln – das hat Fini Steindling irgendwie schon immer getan. 1973 hatte sie die Geschäftsführung der Ostberliner Novum Handels GmbH übernommen, ab 1978 fungierte sie als deren alleinige Treuhänderin. Bis Ende der achtziger Jahre bahnte sie vor allem für österreichische Unternehmen eine Reihe lukrativer Deals in der DDR an und schnitt dabei kräftig mit. Mit robustem Charme im Auftreten und feinem Chanel am Leib war die KPÖ-Parteigängerin bei SED-Granden ebenso gern gesehen wie bei Österreichs Bankern, Industriekapitänen und Politikern. Einen Teil dieser Kontakte pflegt sie bis heute. In Kreisen, in denen Ideologie nicht mehr viel zählt – und die Rechtsansprüche eines Nachbarstaats noch viel weniger.

Das lässt sich auf einschlägigen Festivitäten in Wien gar trefflich beobachten: Da halst die ehemalige KPÖ-Treuhänderin den konservativen Kulturstaatssekretär Franz Morak mit einem herzlichen „Servus, Franzi“. Heinrich Neisser, Ex-Nationalratspräsident der ÖVP, ist für sie ganz einfach „der Heini“. Mit dem Rechtsanwalt und früheren FPÖ-Vizekanzler Norbert Steger ist sie ebenso auf Du. Und zu den Genossen pflegt sie ohnehin amikale Kontakte: zu SPÖ-Bundeskanzler a. D. Franz Vranitzky, zum ehemaligen roten Finanzminister Hannes Androsch, zu den früheren Chefs der Bank Austria, René Alfons Haiden und Gerhard Randa.

Zumindest Letzterer hat in der Affäre eine niemals restlos aufgeklärte Rolle gespielt. Randa war am Höhepunkt der Novum-Tätigkeiten Generaldirektor der Wiener Länderbank und später Vorstandsvorsitzender von deren Nachfolgerin Bank Austria gewesen. Faktum ist, dass ein hochrangiger ehemaliger Länderbank-Mitarbeiter auf den Novum-Konten zeichnungsberechtigt war und tatkräftig an der Verschiebung der Gelder mitgewirkt hatte. Der Mann musste das Institut später verlassen, sitzt aber bis heute in der Geschäftsführung eines Unternehmens von Steindlings Lebensgefährten.

Noch so ein Zufall: Unmittelbar nach dem Zusammenbruch der DDR erhielt ausgerechnet ein hochrangiges Mitglied des Honecker-Regimes einen hoch dotierten Beratervertrag bei der Länderbank: Gerhard Beil, Ex-Außenhandelsminister und Agent des DDR-Auslandsgeheimdienstes HVA. Über Art und Umfang seiner Tätigkeit als österreichischer Bankkonsulent ist nie etwas bekannt geworden.

Blockiert. Die deutschen Behörden nahmen die zwielichtige Rolle der Banker jedenfalls zum Anlass, gerichtlich vorzugehen. 1993 wurde die Bank Austria als Rechtsnachfolgerin der Länderbank in der Schweiz auf einen Schadenersatz von 130 Millionen Euro plus fünf Prozent Zinsen pro Jahr geklagt – der Betrag ist damit bis heute auf gut 240 Millionen Euro angewachsen. Begründung der Deutschen: Die Bank habe über ihre (inzwischen verkaufte) Schweizer Tochter BFZ an der „Veruntreuung von Geldern“ mitgewirkt. Ein Vertreter der mit dem Fall befassten Zürcher Anwaltskanzlei Niedermann dazu: „Es gibt handfeste Indizien dafür, dass man Frau Steindling bei ihren Transfers unter Missachtung aller Sorgfaltspflichten geholfen hat.“
Die Bank Austria hat das stets bestritten.

Noch heuer soll sich definitiv entscheiden, ob den Deutschen zumindest die in der Schweiz blockierten 100 Millionen Euro freigegeben werden. Das zuständige Gericht hatte das Verfahren bis zur Klärung der Novum-Eigentümerfrage in Deutschland ausgesetzt. Zu wessen Gunsten der Richter urteilen wird, lässt sich nicht absehen. „Der Spruch der deutschen Justiz ist hier in der Schweiz nicht bindend“, so der Advokat der Kanzlei Niedermann. KPÖ-Anwalt Neubauer rechnet sich gar Chancen aus, für seine Partei doch noch an die Millionen zu kommen. „In der Schweiz urteilt im Gegensatz zu Deutschland ein unabhängiges Gericht. Da können wir nur gewinnen.“

Von Michael Nikbakhsh und Martin Staudinger