„Kein Geld. Keine Familie. Bitte Hilfe.“

Pakistan: Was den abgeschobenen Asylwerbern in ihrer Heimat droht

Pakistan. Was den abgeschobenen Asylwerbern in ihrer Heimat droht

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Eine schlechte Telefonverbindung, eine müde Stimme, nur wenige verständliche Worte: „Kein Geld. Keine Familie“, sagt der Mann am anderen Ende der Leitung. Er gehört zu jenen acht Asylwerbern aus dem Servitenkloster, die Anfang vergangener Woche von Österreich nach Pakistan abgeschoben wurden.

Am Donnerstag, Ortszeit später Abend, erreichte profil ihn am Handy. Er befinde sich in Islamabad, bestätigte er*, ein zweiter der Flüchtlinge sei bei ihm. Im Moment wüssten sie beide nicht weiter: „Bitte Hilfe.“

„Alles Weitere ist deren Sache”
Von den restlichen sechs Deportierten fehlte zu diesem Zeitpunkt jede Spur. Zuvor waren sie von österreichischen Polizisten an der Passkontrolle des Benazir-Bhutto-Flughafens nahe Islamabad abgeliefert worden: „Abgewiesene Asylwerber werden von uns bis zur Einreise in ihr Heimatland begleitet. Damit ist die Abschiebung beendet“, sagt ein Sprecher des Innenministeriums in Wien: „Sie treten in der Folge wieder in die Zuständigkeit der dortigen Behörden ein. Alles Weitere ist deren Sache.“

Die pakistanische Botschaft in Österreich übt sich in Gelassenheit: „Auch jemand, der ins Ausland geflüchtet ist, kann wieder in seine Heimat einreisen wie jeder andere Staatsbürger – solange es keine strafrechtlich relevanten Vorwürfe gegen ihn gibt“, erklärt ein Diplomat gegenüber profil.
Und dann?

Diese Frage stellt sich nun auf brutale Weise den acht Abgeschobenen aus dem Servitenkloster: Nawab A., Ifthikhar K., Raja W., Adnan A., Javeed M., Haras A., Humair H. und Hamid M. – und möglicherweise bald auch mehreren anderen. Zwölf weitere pakistanische Flüchtlinge, die im vergangenen Winter durch einen wochenlangen Hungerstreik in der Votivkirche auf ihre Anliegen aufmerksam gemacht hatten, sollen deportiert werden, sobald Pakistan für sie sogenannte Heimreisezertifikate ausstellt: Davon hat die Botschaft nach dem Wirbel um den Fall vorerst jedoch Abstand genommen.

Im ersten Halbjahr 2013 wurden von Österreich bereits 16 Pakistanis zwangsweise außer Landes gebracht, Tausende waren es aus der ganzen EU.

Sie alle stehen irgendwann am Ausgang des Flughafens einer der großen Städte des Landes: Islamabad, Lahore oder Karachi. In der Regel mit wenig Geld, aber vielen Problemen – selbst wenn sie bei der Ankunft nicht unmittelbar an Leib und Leben bedroht sind.

In der Regel haben sie alles hinter sich gelassen, um die Flucht nach Europa zu finanzieren. Von einem Staat, in dem de facto keine funktionierenden sozialen Auffangnetze existieren, können sie auf keine Unterstützung hoffen.

Was müssen sie stattdessen befürchten: Verfolgung oder gar Tod? Worauf können sie hoffen? Vor welchen Schwierigkeiten stehen sie? All diese Fragen lassen sich kaum generalisierend beantworten, nicht einmal für die überschaubare Zahl der acht Abgeschobenen aus dem Servitenkloster.

profil hatte Gelegenheit, Einsicht in ihre Asylakten zu nehmen. Ein einheitliches Bild ergibt sich daraus keineswegs. Bei manchen Fällen ist schwer nachvollziehbar, warum die österreichischen Behörden die Anträge abgelehnt haben, so klar erscheint die Bedrohung. Bei einem wird zwar eine Gefährdung konstatiert, aus rechtlichen Gründen allerdings nicht als Fluchtgrund anerkannt. Bei einigen erscheinen die Angaben tatsächlich inkonsistent, bei anderen wiederum fehlen ausschlaggebende Informationen oder sind nicht zugänglich.

Sechs der acht Männer stammen aus den Provinzen Khyber Pakhtunkhwa, Punjab und Sindh. Bei zwei weiteren lässt sich die Herkunft nicht klar feststellen.

„Regional weist die Sicherheitslage in Pakistan starke Unterschiede auf“: Diese Erkenntnis stammt aus einem Bericht, den Beamte des Bundesasylamts nach einer „Fact Finding Mission“ im vergangenen März angefertigt haben.

Sein Inhalt lässt für die Abgeschobenen aus Khyber Pakhtunkhwa nichts Gutes erwarten. Die Lage dort sei „kritisch“, heißt es darin: „Sicherheitsvorfälle sind zwar zurückgegangen, allerdings bleiben sie hoch, die Region zählt zu den unsichersten in Pakistan. Sie wies mit 456 die zweithöchste Anzahl an Anschlägen innerhalb Pakistans auf und verzeichnete 401 Todesopfer“, hält das rund 120 Seiten umfassende Papier in Bezug auf das Jahr 2012 fest: „Insgesamt wurden in Khyber Pakhtunkhwa 611 Menschen in 509 Vorfällen verschiedenster, sicherheitsrelevanter Gewalt getötet.“

Aus Khyber Pakhtunkhwa kommt etwa Nawab A., der vergangene Woche aus dem Servitenkloster abgeschoben wurde – genauer gesagt aus dem kleinen Ort Barabandi im Distrikt Swat. Das Tal hat traurige Berühmtheit erlangt: Noch vor wenigen Jahren war es ein angesagtes Ferienparadies für die pakistanische Oberschicht, ab 2006 machten sich dort Taliban breit, die aus Afghanistan geflüchtet waren. Ab 2009 kontrollierten die radikalen Islamisten große Teile von Swat und übten eine Terrorherrschaft aus, bis ihre Macht durch eine Großoffensive der Armee gebrochen wurde. Gänzlich vertreiben ließen sich die Gotteskrieger dennoch nicht. 2012 verübten sie einen Anschlag auf die damals 15-jährige Malala Yousafzai, die sich als Teenager dafür eingesetzt hatte, dass Mädchen im Widerspruch zur kruden Ideologie der Taliban zur Schule gehen dürfen. Malala überlebte das Attentat mit schwersten Kopfverletzungen (profil 51/2012).

Nawab A. hat in Österreich Asyl mit der Begründung beantragt, er sei von radikalen Islamisten bedroht worden: erstens weil das pakistanische Militär sein Haus bei der Offensive gegen die Gotteskrieger requiriert hatte; zweitens wegen „wilder Partys, lauter Musik und Alkoholkonsums“. Ein Brief, den er dem Bundesasylamt vorlegte, endet mit dem Satz: „Erwarten Sie den Tod.“

Die österreichischen Behörden bezweifelten diese Darstellung und lehnten Nawabs Antrag ab – unter anderem mit dem Hinweis, es sei in Pakistan möglich, sich gegen Geld gefälschte Drohbriefe schreiben zu lassen.
Auch Ifthikhar K. hat im Swat-Tal gelebt, bevor er nach Österreich flüchtete. Er gab als Asylgrund unter anderem an, die Taliban hätten sein Elternhaus zerstört, weil sein Vater mit dem Militär kooperiert habe. Die Schilderungen von Ifthikhar K. wurden unter anderem „aufgrund Ungereimtheiten bzw. Unschlüssigkeiten in Ihrem Sachvortrag als nicht den Tatsachen entsprechend erachtet“, schreibt das Bundesasylamt in seinem Bescheid. Es sei der Eindruck entstanden, „dass Sie die Heimat offenbar auf der Suche nach wirtschaftlicher Prosperität verlassen haben“.

Abgesehen davon sei in Betracht zu ziehen, „dass der Zusammenhalt innerhalb der Großfamilien in Pakistan sehr stark und bei Ihrer Rückkehr davon auszugehen ist, dass Sie von Ihren Verwandten Unterstützung erhalten. Sie könnten erneut mir Ihrer großen Familie zusammenleben.“
Die Familie ist wohl tatsächlich der einzige Anknüpfungspunkt, den Nawab A., Ifthikhar K. und die anderen hatten, nachdem sie von den österreichischen Abschiebe-Begleitern an der Passkontrolle des Benazir-Bhutto-Flughafens abgeliefert wurden.

„Wenn man keinen Familienanschluss hat, ist man in Pakistan komplett auf sich allein gestellt“, sagt ein Mitarbeiter einer international tätigen Hilfsorganisation, der über jahrelange Erfahrung mit dem Land verfügt, im Hinblick auf die Projektarbeit dort allerdings anonym bleiben möchte: „Das gesamte gesellschaftliche Leben funktioniert über Clan-Strukturen. Der Zugang dazu entscheidet darüber, ob man gut und sicher leben kann oder nicht.“

Die Familienverbände haben mitunter tausende Angehörige, die oft über ganz Pakistan verstreut sind. „Vor allem in den Ballungsräumen finden sich fast immer Mitglieder dieser Netzwerke, und sie haben auch eine Verantwortung, sich um Verwandte zu kümmern“, sagt der Pakistan-Fachmann.

Doch auch das wirft häufig Probleme auf: „Wir haben beobachtet, dass es für viele Rückkehrer schwierig ist, die Erwartungshaltung ihres sozialen Umfeldes zu erfüllen: Oft hat sich die Verwandtschaft von ihnen finanzielle Unterstützung aus dem Ausland erhofft – es ist also nicht einfach, der enttäuschten Familie gegenüberzutreten“, sagt Daniela Blecha vom Österreich-Büro der International Organization for Migration (IOM), das Flüchtlinge bei der Reintegration unterstützt.

Das zweite Problem: Auch die Taliban, von denen sich Nawab A. und Ifthikhar K. bedroht fühlen, haben Verbindungen in ganz Pakistan. Das gesteht das Bundesasyl-amt selbst in seinem Fact-Finding-Report ein. „Der UNHCR (das Flüchtlingshochkommissariat der Vereinten Nationen, Anm.) betont, dass die Terrororganisationen zwar meist lokal agieren, einige aber teilweise vernetzt sind und zum Teil zusammenarbeiten“, heißt es darin: „Eine innerstaatliche Fluchtalternative kann somit nicht generell angenommen werden, sondern muss in jedem Fall einzeln geprüft werden.“ Im Fall von Haras A. fiel diese Einzelprüfung negativ aus – und das, obwohl ihm die österreichischen Behörden sogar glauben, dass er Opfer eines gewaltsamen Übergriffes geworden war. Der 32-Jährige stammt aus einer Stadt in der Provinz Punjab.

„Der Punjab gilt als sicher, vereinzelte Anschläge kommen dennoch vor“, stellt das Bundesasylamt in seinem Fact-Finding-Report fest. 17 Attentate mit 75 Todesopfern registrierten die pakistanischen Behörden in der Provinz, in der schätzungsweise 91 Millionen Menschen leben. Statistisch gesehen ist die Wahrscheinlichkeit, einem Gewaltakt zum Opfer zu fallen, also verschwindend gering. Für Haras A. zählt das aber nichts. Er wäre beinahe umgebracht worden, weil er den Diebstahl seines Traktors bei der Polizei gemeldet hatte: Die Täter wollten ihn mit vorgehaltener Waffe zwingen, die Anzeige zurückzuziehen.

Seine Schilderungen erschienen dem Bundesasylamt glaubwürdig. Sie bestätigten ihm ein „Erlebnis mit kriminellem Hintergrund“, dem allerdings keine „vom Staat geduldete Gewalt“ zugrunde liege. Haras A. könnte sich in Sicherheit bringen, indem er innerhalb Pakistans den Wohnort wechsle, beschieden ihm die österreichischen Behörden: Da er „keine ,High profile‘-Person sei“, würden sich „die genannten Privatpersonen“ nicht die Mühe machen, ihn dorthin zu verfolgen.

Unter diesen Umständen sei es ihm als „gesunder, erwachsener, arbeitsfähiger Mann auch zumutbar, anfänglich mit Gelegenheitsjobs Ihren Unterhalt zu bestreiten“ oder die Unterstützung von Familie, Freunden und NGOs in Anspruch zu nehmen.

Als Tagelöhner verdient man laut dem Pakistan-Bericht des Bundesasylamts umgerechnet 76 bis 152 Euro. „Dies reicht kaum, um über die Runden zu kommen, 80 Prozent der Haushaltsausgaben werden für Lebensmittel aufgewendet“, heißt es in dem Papier weiter: „Die Bedingungen der Arbeiterklasse werden schlechter.“

Ein genereller Widerspruch zur Empfehlung, sich einfach einen Gelegenheitsjob zu suchen? Armut ist bitter, aber in keinem Land der Welt per se ein Asylgrund. Dem 33-jährigen Javeed M. – er wurde vergangene Woche ebenfalls abgeschoben – bescheinigte das Bundesasylamt, dass er „im Falle einer Rückkehr“ die „dringendsten Bedürfnisse befriedigen kann und nicht in eine allfällige Anfangsschwierigkeiten überschreitende dauerhaft aussichtslose Lage gerät“.

Javeed M. stammt aus der Provinz Sindh, über die das Fact-Finding-Team des Bundesasylamts Folgendes herausgefunden hat: „Es wird von terroristischen Gruppen versucht, den Inneren Sindh zu infiltrieren … (die Stadt) Karatschi und der Innere Sindh sind die einzigen Gebiete in Pakistan, in denen die Zahl der Anschläge 2012 im Vergleich zum vorigen Jahr stieg, und zwar um 222% bzw. 33%.“

Javeed M. gab an, sein Bruder sei 2007 in der Türkei „wegen einer Feindschaft umgebracht“, die Familie in Pakistan daraufhin ebenfalls bedroht worden, fand damit bei den Asylrichtern aber keinen Glauben. Dass er nicht freiwillig nach Pakistan zurückkehrte, hat ihn und die anderen Männer aus dem Servitenkloster einer wichtigen Chance beraubt: Die International Organization for Migration (IOM) hat vor einigen Monaten damit begonnen, pakistanische Flüchtlinge zu unterstützen, die sich repatriieren lassen.

Die IOM stellt im Rahmen eines vom österreichischen Innenministerium und dem Europäischen Rückkehrfonds ko-finanzierten Projekts Reintegrationsunterstützung für Rückkehrer in Form von Sachleistungen im Wert von bis zu 3000 Euro zur Verfügung: „Typischerweise werden diese für Kleingeschäftsgründungen verwendet, wie beispielsweise Lebensmittel für ein Einzelhandelsgeschäft, Vieh für eine Landwirtschaft oder ein Fahrzeug für ein Taxiunternehmen“, sagt Daniela Blecha von IOM Österreich. Das Zauberwort heißt allerdings: freiwillig. Wer es auf die Abschiebung ankommen lässt, darf an diesem Programm nicht teilnehmen und bleibt sich selbst überlassen.

Wo sich Javeed M. nach seiner Ankunft in Pakistan aufhält, war bis Redaktionsschluss ebenso unklar wie der Verbleib der anderen Männer aus dem Servitenkloster.

Jenen Flüchtling, der ohne Geld in Islamabad gestrandet war, erreichte profil am Freitag Abend noch einmal am Telefon: Er versuche jetzt, sich in die Stadt Lahore durchzuschlagen, berichtete der Mann – zum dortigen Büro der Caritas.