Fetter Tobak

Tabakgesetz. Verlagert sich die Sucht durch strenge Verbote?

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Im Wiener AKH, der österreichweit ersten Adresse zur Behandlung von Raucherschäden, hat sich nichts geändert. Zu ebener Erde wird in einem speziellen, durch Glaswände separierten Raucherraum gepofelt, was das Zeug hält; in den Stockwerken darüber befassen sich Pulmologen, Kardiologen, Krebsmediziner und Chirurgen mit den Folgen des Tabakkonsums. Mit 34 Prozent Rauchern gehört Österreich laut der EU-weiten Umfrage Eurobarometer 2010 weltweit zu den Ländern mit dem höchsten Tabakkonsum. Der Anteil der Raucher an der erwachsenen Bevölkerung bildet aber das wahre Ausmaß des heimischen Tabakkonsums nur mangelhaft ab. Mit der Anzahl der täglich gerauchten Zigaretten – im Mittel 17,7 – liegt Österreich EU-weit im Spitzenfeld. Und bei jugendlichen Rauchern führt ­Österreich seit Jahren die EU-Statistik an.

Dramatischer noch wird die Situation auf der Homepage des Gesundheitsministeriums unter dem Punkt Tabakgesetz beschrieben: „Der Konsum von Tabak ist in Industrieländern wie Österreich die bedeutendste Ursache vermeidbarer Krankheiten und Todesfälle. Weltweit sterben derzeit nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation jährlich über vier Millionen Menschen vorzeitig an den Folgen tabakbedingter Krankheiten. Diese Zahl wird sich innerhalb der nächsten Jahrzehnte auf rund zehn Millionen pro Jahr erhöhen, wenn gegen diese Entwicklung nichts ­unternommen wird. Schätzungsweise 12.000 bis 14.000 Menschen sterben in ­Österreich pro Jahr an den Folgen tabakbezogener Erkrankungen.

Angesichts dieser enormen Bedrohung ist politisches Handeln, einschließlich entsprechender Initiativen zur Schaffung der gebotenen Maßnahmen auf gesetzlicher Ebene, dringend erforderlich.“

Nicht unbedingt in Befolgung dieser eindringlichen Sätze handelte SPÖ-Gesundheitsminister Alois Stöger, als er die von seiner ÖVP-Vorgängerin Andrea Kdolsky mit der Wirtschaftskammer ausgehandelte Novelle zum Tabakgesetz zur Beschlussfassung vorlegte. Das Gesetz sollte dem Nichtraucherschutz auch in der Gastronomie zum Durchbruch verhelfen. Zuerst gab es eine Übergangsfrist für die Wirte, dann schauten die Behörden weg, und wenn man dem Tiroler „Rauchersheriff“ Robert Rockenbauer Glauben schenkt, dann funktioniert die Regelung auch 18 Monate nach dem endgültigen Inkrafttreten mehr schlecht als recht.
Zeit also, Bilanz zu ziehen und nachzuschauen, was sich durch die neuen Bestimmungen geändert hat. Und vor allem auszuloten, welchen Effekt die viel konsequenteren Regelungen in anderen Ländern bisher hatten.

Nachdem in vielen Weltgegenden bereits seit Jahren strikte Rauchverbote gelten, liegt auch schon eine Fülle von wissenschaftlichen Untersuchungen über die Auswirkungen auf die Volksgesundheit und die Gesundheitskosten vor.

Vorerst aber noch ein Blick auf die Situation in Österreich:
Der gesetzliche Nichtraucherschutz in der Gastronomie trat mit 1. Jänner 2009 in Kraft, allerdings mit einer Übergangsfrist bis 30. Juni 2010. In Lokalen bis zu einer Fläche von 50 Quadratmetern konnten die Wirte selbst entscheiden, ob ihr Lokal eine Raucher- oder eine Nichtraucher-Gaststätte ist. Sie mussten ihre Räumlichkeiten nur dementsprechend kennzeichnen. Für Lokale mit einer Fläche zwischen 50 und 80 Quadratmetern schreibt die Novelle die Einrichtung eines Nichtraucherraums nur dann vor, wenn dies baulich möglich ist. Und für Lokale mit einer Fläche über 80 Quadratmeter gilt die verpflichtende bauliche Einrichtung eines Nichtraucherraums als Hauptraum, wobei aus der Raucherzone kein Qualm in den Nichtraucherraum gelangen darf. In der Praxis erweist sich diese Bestimmung als undurchführbar. Denn laut einer Studie der Wiener Medizinuniversität enthält auch die Luft in „Nicht­raucherräumen“ gesundheitsgefährdende Schadstoffkonzentrationen, die aus dem benachbarten Raucherraum stammen.

„80 Prozent der Wirte verstoßen gegen die neuen Bestimmungen, weil die Tür zum Raucherraum immer offen ist“, behauptet „Rauchersheriff“ Rockenbauer, der am Donnerstag kommender Woche in Wien eine Pressekonferenz zum Thema „Drei Jahre untaugliches Tabakgesetz“ abhalten will. Viele Lokalbesitzer würden laut Rockenbauer fälschlich behaupten, eine Ausnahmegenehmigung für ihr Lokal zu besitzen, umgekehrt würden Behörden Genehmigungen ausstellen, die sie nach dem Gesetz gar nicht ausstellen dürften. „Die angedrohten Strafen bis zu 2000 Euro funktionieren nicht, weil es ein umständliches Ermittlungsverfahren gibt und die total überforderten Behörden kein zusätzliches Personal bekommen“, sagt Rockenbauer.

Der Internist Manfred Neuberger, Umwelthygieniker an der Wiener Medizinuniversität sowie Vizepräsident der „Initiative Ärzte gegen Raucherschäden“, meint sogar: „Das Tabakgesetz wurde von der Wirtschaftskammer als Sprachrohr der ­Tabakindustrie zum Scheitern programmiert.“ Zwar hat sich durch die Gesetzesnovelle der Nichtraucherschutz in vielen Lokalen verbessert, aber gemessen an internationalen Standards zur Tabakkon­trolle, ist Österreich ein Entwicklungsland. Insbesondere der Tabakkonsum hat sich in der Alpenrepublik seit Einführung des Gesetzes nicht nur nicht verringert, er ist laut Eurobarometer im Zeitraum 2006 bis 2009 sogar um drei Prozent gestiegen. Dass der Tabakkonsum in Österreich nicht zurückgegangen ist, bestätigt auch der Bundesgremialobmann der Trafikanten, Peter Trinkl – trotz oftmaliger Klagen der Tabakverschleißer über Umsatzeinbußen: „Auf den Tabakverbrauch hat sich die neue Gesetzeslage nicht ausgewirkt, Umsatzeinbußen gibt es nur durch vermehrten Import und Schmuggel von Billigware aus ehemaligen Ostblockländern.“

Zufrieden mit der neuen Regelung zeigen sich die Wirte und laut Helmut Hinterleitner, Fachverbandsobmann Gastronomie in der Bundeswirtschaftskammer, auch die Konsumenten: „Wir haben viele positive Rückmeldungen. Laut einer von uns Anfang des Jahres in Auftrag gegebenen Market-Umfrage zeigen sich drei Viertel der Befragten mit den Maßnahmen zum Nichtraucherschutz zufrieden.“

Zwei Diplomarbeiten der Wiener Medizinuni zeichnen ein konträres Bild. Die Autoren orteten Unzufriedenheit beim Personal und in noch höherem Maß bei 1590 befragten Gästen in zufällig ausgewählten Wiener Lokalen.
Einen gesundsheitsfördernden Effekt erzielt das novellierte österreichische Tabakgesetz laut Umwelthygieniker Neuberger weder beim Aktiv- noch beim Passivrauchen. In vielen anderen Ländern, die von vornherein striktere Regelungen erlassen haben und diese auch konsequent durchsetzen, gibt es hingegen nicht nur wissenschaftlich belegbare gesundheit­liche Benefits, wie etwa eine durch die Rauchverbote gesunkene Herzinfarktrate, sondern auch eine deutliche Reduzierung der Gesundheitskosten. In einigen US-Staaten, wie etwa in Kalifornien, bestehen strikte Rauchverbote am Arbeitsplatz und in allen öffentlich zugänglichen Räumlichkeiten schon seit mehr als 30 Jahren. Und in New York ist jetzt auch das Rauchen in Parks verboten.

Die in den USA gesetzliche, vor allem aber die gesellschaftliche Ächtung des Rauchens könnte allerdings zu einer Verlagerung der Sucht führen, was auch die Wiener Suchtforscherin Gabriele Fischer für möglich hält (siehe Interview). Auffallend sind in den USA die explodierenden Zahlen im Bereich Übergewicht und Fettsucht (Adipositas). Die Verlagerung der Sucht in vermehrtes Essen und Nascherei könnte dabei eine Rolle spielen.

„Es gibt alle möglichen Kompensationsmechanismen, solange das Nikotinbedürfnis noch nicht überwunden ist“, erklärt Umweltmediziner Neuberger. Gesichert sei, dass Personen, die sich das Rauchen abgewöhnen, häufig einige Kilos zunehmen. „Aber in prospektiven Studien zeigt sich, dass Jugendliche, die nie zu rauchen begonnen haben, schlanker bleiben als jene, die zu rauchen angefangen haben“, so Neuberger. Eine der Erklärungen für die Gewichtszunahme nach dem Rauchstopp sei, „dass man das Verlangen nach Zigaretten durch Naschen kompensiert. Außerdem werden dann die Geschmacksnerven wieder empfindlicher, das Essen schmeckt besser.“

Unterdessen belegt eine Vielzahl von geprüften und in hochkarätigen Journalen publizierten wissenschaftlichen Studien die gesundheitlichen und gesundheitspolitischen Benefits durch konsequente Rauchverbote, etwa auf das Barpersonal in den USA, Australien, Schottland, Irland, England und Israel. Ergebnis: Sowohl bei Rauchern wie bei Nichtrauchern gingen Atembeschwerden deutlich zurück. Und überraschenderweise zeigen sich beide Gruppen mit dem Rauchverbot zufrieden.

Umweltmediziner und Epidemiologen der Harvard School of Public Health analysierten auch die Auswirkungen von strikten Rauchverboten auf 11.500 Kinder und Jugendliche im Alter zwischen drei und 19 Jahren. Die Jugendlichen waren allesamt Nichtraucher. Als Marker für das Mitrauchen im Haushalt oder anderen Räumen zogen die Wissenschafter den Anteil von Cotinin im Blut heran, einem Nikotin-Abbauprodukt. Ergebnis: Bei Kindern und Jugendlichen, die daheim keinem Passivrauch ausgesetzt waren, zeigte sich nach Einführung strikter Rauchverbote ein signifikanter Rückgang des Cotininwerts, bei Kindern und Jugendlichen, deren Eltern rauchten, war hingegen keine Veränderung feststellbar.

Forscher der University of California in San Francisco (UCSF) untersuchten den Effekt des umfassenden, bereits im Jahr 1980 in Kalifornien eingeführten Tabakkontroll-Programms auf die staatlichen Gesundheitskosten. Im Vergleich mit anderen US-Bundesstaaten errechneten Wissenschafter, wie viel Kalifornien ohne Tabakkontrolle für Gesundsheitsleistungen hätte ausgeben müssen. Ergebnis: Im Zeitraum 1989 bis 2004 wurden durch das Programm innerhalb von 15 Jahren 86 Milliarden Dollar (Wert 2004, entspricht etwa 66 Milliarden Euro) eingespart.

Einige Staaten, wie etwa Neuseeland, Australien und Großbritannien, die schon jetzt strikte Rauchverbote haben, wollen ihre Maßnahmen zur Tabakkontrolle noch weiter verschärfen. In Großbritannien, einem der Pioniere strikter Tabakkontrolle in Europa, gilt seit 1. Oktober ein Verbot für Zigarettenautomaten. Ab April 2012 dürfen Zigarettenpackungen nicht mehr offen zur Schau gestellt werden. Der konservative Gesundheitsminister Andrew Lansley will darüber hinaus erreichen, dass Zigarettenschachteln künftig nur noch gesundheitliche Warnaufschriften, Angaben über den Nikotingehalt sowie den Herstellernamen ohne jede grafische Gestaltung tragen dürfen.

Gemessen an dieser Radikalität, ist Österreich noch immer eine Insel der Rauchseligen. Vielen ausländischen Gästen, die nach Österreich kommen, fällt auf, dass hierzulande viel mehr Menschen rauchen, als sie das aus ihren Heimatländern gewohnt sind. Isaac Witz, international renommierter Krebsforscher an der Tel Aviv University, der fallweise immer wieder in seine Geburtsstadt Wien kommt, weil er hier mit österreichischen Krebsforschern kooperiert, ist einer von ihnen. Kürzlich wurde Witz von einem seiner Gastgeber zum Mittagessen ins Restaurant „Zur Goldenen Kugel“ in der Wiener Lazarettgasse eingeladen. Just als das Essen aufgetischt wurde, zündeten sich zwei Herren am Nebentisch Zigaretten an. Frage an den Ober: „Sind Sie ein Raucherlokal?“ Der Ober: „Ja, brauchen S’ einen Aschenbecher?“