Nahost: Rechts- extrem in Jerusalem

Rechtsextrem in Jerusalem: Israel erlebt einen Haider'schen Sündenfall

Israel und der Haider'sche Sündenfall

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Von Martin Staudinger und Robert Treichler

Jörg Haider ist auch über seinen Tod hinaus eine nützliche Chiffre: Sein Bild steht – zumindest in den Augen seiner Gegner – für Faschismus und Rechtsextremismus. Kürzlich wurde dem verstorbenen Kärntner Landeshauptmann ein seltsames posthumes Revival beschert: Ausgerechnet in Israel projizierten Demonstranten anlässlich der jährlichen „Herzlija Konferenz“ Filme von Haiders Reden auf eine Leinwand. Der Protest galt allerdings nicht dem toten Haider, sondern einem der Redner der Konferenz: Avigdor Lieberman, dem Chef der Partei „Israel Beitenu“ („Israel ist unser Haus“). Dessen „faschistische Agenda“ wollten die linken Demonstranten anprangern, und dazu bedienten sie sich eben Haiders Schockpotenzial.

Übrigens mit wenig Erfolg, denn bei den Wahlen am 10. Februar wurde Israel Beitenu mit über elf Prozent der abgegebenen Stimmen drittstärkste Partei. Jetzt hat Israel auch seine rechtsextreme Erfolgspartei. Eigentlich sollte das nicht überraschen. In jedem Land bildet sich zuweilen eine Partei am rechten Rand, manchmal sogar mehrere, und irgendwann erlebt eine von ihnen einen Höhenflug, und je nach Wahlrecht – bevorzugt durch das Verhältniswahlrecht – gelangt sie sogar in die Regierung. Mit historisch bedingten Unterschieden erlebten viele europäische Staaten solche Episoden. Aber Israel?

Es fällt schwer, ausgerechnet das 1948 als Staat der Juden gegründete Israel mit Rechtsextremismus in Verbindung zu bringen. Schließlich ist dieses Phänomen meist mit Antisemitismus und Reminiszenzen an das Dritte Reich verknüpft, und so etwas kann in Israel wohl kaum auf Zustimmung stoßen. Doch die Verbindung von Rechtsextremismus und Nazi-Nostalgie ist keine notwendige Paarung. Mit seiner rassistischen Haltung gegenüber arabischen Israelis, die Lieberman mitsamt dem Land, auf dem sie leben, aus dem Staat ausgliedern möchte, erfüllt der Einwanderer aus dem damals noch sowjetischen Moldau bereits wichtige Kriterien für einen Rechtsextremisten: Er bevorzugt eine völkisch legitimierte Demokratie und drängt die als Fremde gebrandmarkten Bürger aus dem Staat. Dass es sich dabei nicht um Einwanderer oder um Juden handelt – Lieberman ist schließlich beides –, tut der Ideologie keinen Abbruch.

Zum Rassismus kommen bei Lieberman auch autoritäre Züge, etwa wenn er arabische Parteien in Israel von den Wahlen ausschließen möchte oder israelisch-arabischen Politikern mit dem Tod droht, wenn sie sich mit Hisbollah-Führern treffen. Die Bezeichnung „rechtsextrem“ vermeiden dennoch viele ausländische Kommentatoren. In Österreich stuft Christian Ultsch in der „Presse“ Lieberman als „Rechtsausleger“ und „Populisten“ ein, Gudrun Harrer im „Standard“ bescheinigt ihm „rechtsradikale Ausfälle“. Die „New York Times“ wählt abwechselnd die Begriffe „nationalistisch“ und „ultranationalistisch“. Der französische „Figaro“ urteilt: „rechtsextrem“.

Noch ist die Regierungsbildung unter der Führung von Likud-Chef Benjamin Netanjahu nicht abgeschlossen. Ende vergangener Woche suchte der gewiefte Taktiker noch einmal das Gespräch mit Labour-Chef Ehud Barak, und israelische Zeitungen berichteten über geringe Chancen, dass auch eine Beteiligung der Kadima-Partei unter Tzipi Livni noch im Bereich des Möglichen sei. Doch die wahrscheinlichste Koalitionsvariante ist eine Zusammenarbeit von sechs Parteien, die insgesamt so weit rechts stehen wie keine israelische Regierung der jüngeren Vergangenheit.

Verzweiflung. Netanjahus Likud-Partei ist in Wahrheit der rechte Flügel des einstigen Likud-Blocks, der übrig blieb, nachdem der damalige Premier Ariel Sharon im Jahr 2005 die Mitte-rechts-Partei Kadima gründete. Die Partei Israel Beitenu war zwar schon in bisherigen Regierungen vertreten, auch Lieberman selbst, doch noch nie in der aktuellen Stärke. Ihr sollen fünf Ministerien, darunter das Außenministerium unter Lieberman selbst, zugeteilt werden. Die übrigen Parteien sind allesamt religiös und entziehen sich deshalb ein wenig dem herkömmlichen Rechts-links-Schema. In jedem Fall aber kann man sie als gesellschaftspolitisch reaktionär und – milde formuliert – skeptisch gegenüber der Schaffung eines palästinensischen Staates bezeichnen.

Eine weiter rechts stehende Regierung kann in Israel nicht gebildet werden. Das wissen auch die Israelis, und vereinzelt klingen sie verzweifelt. Die Abgeordnete der linken Meretz-Partei Zahava Gal-On warnte bereits vor Lieberman, als der 2006 als Minister in die Regierung eintrat. Das bedeute „den sicheren Tod für Israels Demokratie“, prophezeite Gal-On, denn „Le Pen in Frankreich und Haider in Österreich sind Leichtgewichte, verglichen mit ihm“. Der „Haaretz“-Jouralist Gideon Levy schrieb zwei Tage vor den Parlamentswahlen: „Wenn jemand wie Lieberman in Europa in eine Regierung einträte, würde Israel die Beziehungen mit ihr abbrechen.“

In den Augen des israelischen Historikers Tom Segev ist die israelische Demokratie im Fall von Liebermans Regierungsbeteiligung „stärker getroffen als je zuvor“. Und doch bleiben im Israel des Jahres 2009 Massenproteste aus, wie es sie 2002 in Frankreich gegen den Führer der Nationalen Front Jean-Marie Le Pen oder 2000 in Österreich gegen die Regierungsbeteiligung der FPÖ unter Jörg Haider gegeben hat. Dafür gibt es mehrere Gründe: Lieberman war bereits Regierungsmitglied, sogar in einer Koalition mit der linken Labour-Partei. Kaum eine Partei hat vor den Wahlen eine Koalition mit Israel Beitenu ausgeschlossen. Deshalb fehlt eine große politische Kraft, die gegen Lieberman mobilisieren könnte.

Die Schockstarre überträgt sich ins Ausland. Wie soll das Nahost-Quartett (USA, EU, Russland, UN) mit einer israelischen Regierung verfahren, deren Außenminister ein Rassist ist und die eine Zwei-Staaten-Lösung ablehnt? US-Außenministerin Hillary Clinton vermeidet bisher eine offene Konfrontation und sagt nur, die Zwei-Staaten-Lösung sei „unumgänglich“. EU-Außenbeauftragter Javier Solana kündigte an, man werde die Beziehungen mit Israel überdenken, wenn die neue Regierung sich nicht mehr zur Schaffung eines palästinensischen Staates bekenne. Indem der präsumtive Außenminister Lieberman Friedensabkommen wie den Vertrag von Oslo oder die „Roadmap“ offen ablehnt, verstößt er selbst gegen eine der Bedingungen, die der Hamas auferlegt wurden, ehe sie als Gesprächspartner anerkannt werden kann: die Anerkennung bereits geschlossener Abkommen.

Aber kann das Ausland Israel boykottieren? Daran will niemand denken, denn das würde die zusehends paranoide israelische Gesellschaft, die sich seit Langem vom Ausland ungerecht behandelt fühlt, noch stärker in die Arme von Extremisten treiben. profil konnte sich mehrmals von Lieberman ein Bild aus erster Hand machen. In seinem bislang letzten profil-Interview nach seinem Wahlsieg im vergangenen Februar sprach er sich dafür aus, die Hamas auszulöschen, und bekräftigte seinen Plan, Arabern das Wahlrecht abzuerkennen, wenn sie nicht einen Loyalitätseid auf Israel als jüdischen Staat ablegen. Gleichzeitig aber erwies sich der ruhig auftretende 51-Jährige als pragmatischer Taktierer: Keine seiner Forderungen wollte er als Bedingung für eine Regierungsbeteiligung stellen. Angst vor einer Koalition unter Ausschluss seiner Partei zeigte er nicht: „Dann wäre meine Partei bei den nächsten Wahlen die stärkste in Israel.“ Auch solche Sprüche klingen sehr vertraut. Ähnlich argumentierte ein aufstrebender Politiker namens Jörg Haider.