Bewegungsmelder

Abschiebung der Flüchtlinge: Wem nützt der Wahlkampfauftakt?

Asyl. Das Innenministerium lässt Flüchtlinge aus dem Servitenkloster abschieben.

Drucken

Schriftgröße

Mir Jahangir kauert am Bett und nestelt am Handy herum. "Wir“ sagt er, wenn er von den Flüchtlingen spricht, die vergangenen November von Traiskirchen nach Wien marschierten, um gegen unfaire Asylverfahren, schleißige Dolmetscher und fehlende Perspektiven zu protestieren. Ihre Anliegen gibt es immer noch, aber um sie geht es nicht mehr.

"Wir machen uns Sorgen.“
Vergangene Woche wurden acht Pakistanis verhaftet und nach Islamabad geflogen. Am Hof des Servitenklosters, wo Unterstützerinnen über die Fotos der abgeschobenen Männer wischen, die sie auf ihren Mobiltelefonen gespeichert haben, weiß niemand, wie es ihnen geht: "Wir machen uns Sorgen.“ Drei weitere Pakistanis sitzen in U-Haft, weil sie angeblich zu einer Schlepperorganisation gehören.

Es ist Ramadan, noch eine Stunde bis zum Fastenbrechen, und es ist nicht klar, was Jahagir mehr lähmt: Hunger und Durst oder die Zeitungsschlagzeile "Razzia im Flüchtlingskloster“. Matt deutet er auf das Matratzenlager hinter ihm: "Schauen Sie sich doch um: Das soll eine Unterkunft von Schleppern sein?“

Monatelang hatte Jahagir mit Dutzenden Männern in der Votivkirche gefroren und gehungert, bevor sie im März ins Servitenkloster umzogen. Seither war es um den heimischen Teil der europaweit vernetzten Refugee-Bewegung ruhig geworden. Die Abschiebungen und Verhaftungen der vergangenen Woche katapultierten sie ins Zentrum der Aufmerksamkeit zurück: "Man kriminalisiert uns, weil Wahlkampf ist und weil wir eine politische Bewegung sind, die für die Rechte der Flüchtlinge kämpft“, sagt Jahagir.

Eine andere Deutung kommt für ihn nicht in Frage.

Zwei Monate bleiben bis zur Nationalratswahl, und es gäbe eigentlich wichtigere Themen: Jobs, Bildung, Korruption rangieren ganz oben auf der Dringlichkeitsskala. Die Frage, ob das "Ausländerthema“ hochgekocht wurde, darf man trotzdem stellen. Es wäre nicht das erste Mal. Dabei sollte es die ÖVP, die das Innenressort seit 2000 führt, besser wissen: Seit Mitte der 1980er-Jahre verschaffen "Ausländerthemen“ immer nur den Blauen Wind unter den Flügeln, ein wenig den Grünen, nie Rot oder Schwarz.

FP-Parteichef Heinz-Christian Strache muss gut aufgelegt gewesen sein, als er, eben aus dem Urlaub zurück, eine Agenda vorfand, die von Abschiebungen und angeblich kriminellen Ausländern beherrscht wurde. "Besser hätte es für ihn nicht laufen können“, sagt Politikberater Thomas Hofer.

Was trieb das Innenministerium dazu, acht Wochen vor der Nationalratswahl Flüchtlinge aus dem Servitenkloster abzuschieben? Gab es dafür einen Plan?

Vergangene Woche kursierte im Internet ein Video, das eine Demonstrantin im Zusammenstoß mit einem Polizisten zeigt. Die junge Frau war mit dem Gesicht voraus auf eine Steinstiege vor dem Polizeianhaltezentrum gefallen, wo die acht inzwischen abgeschobenen Pakistanis saßen. Inzwischen hat der Clip 170.000 Clicks auf YouTube. Eine Welle der Empörung und Solidarisierung. Nach einem "Schlag gegen die organisierte Schlepperei in Österreich“ kippte die Stimmung: Drei der sieben Verhafteten stammten aus dem Servitenkloster, vermeldete das Bundeskriminalamt.

Der Ort der Kontemplation als "Drehscheibe der Schlepper-Mafia“, "Flüchtlinge als Menschenhändler“, die "Millionen mit dem Leid ihrer Landsleute gemacht haben“. Der Boulevard überschlug sich. Zwar war schon nach wenigen Tagen keine Rede mehr von "großen Köpfen“. Doch die Caritas, in deren Obhut die Flüchtlinge sich befanden, war in die Defensive geraten und musste klarstellen, dass man Kriminelle nicht schütze. Die "Supporter“ der Refugee-Begung standen als naive Weltverbesserer da oder - schlimmer - als Komplizen des Verbrechens.

Ende vergangener Woche besuchte die Wiener Rechtsanwältin Alexia Stuefer einen der drei im Servitenkloster verhafteten Männer im Grauen Haus: "Seinen Akt habe ich noch nicht gesehen, aber eines kann ich schon sagen: Der Vorwurf, dass er ein Schlepperboss sein soll, ist haltlos. Aus meiner Sicht ist er zu enthaften.“

Die Nationalratswahl wird geschlagen sein, lange bevor geklärt ist, ob und in welchem Ausmaß die Männer sich schuldig gemacht haben. Den Schaden hat die Refugee-Bewegung schon jetzt.

Damien Agbogbe, dunkle Haut, eleganter, weißer Hut, streifte vergangenen Mittwoch durch das Servitenkloster und steuerte eigene einschlägige Erfahrungen aus der Vergangenheit bei.

Nachdem der Nigerianer Marcus Omofuma 1999 bei einer Flugabschiebung nach Sofia unter dem Klebeband erstickt war, das ihm Beamte um Mund und Nase gewickelt hatten, hatte der AHS-Lehrer eine Demonstration organisiert. Es war das erste Mal, dass Afrikaner in Wien auf die Straße gingen. Die zarte Welle der Politisierung war, kaum entstanden, schon wieder zerschlagen. Agbogbe war ins Visier der "Operation Spring“ geraten - versehentlich, wie sich später herausstellte. Man hatte ihn wegen seines weißen Schals für einen Drogenboss gehalten.

Die größte Polizeiaktionen der Zweiten Republik sollte afrikanischen Dealern das Handwerk legen. Dabei kam erstmals der "große Lauschangriff“ zum Einsatz, der bis Ende 2001 befristet eingeführt worden war und seiner praktischen Erprobung harrte. Die "Kronen Zeitung“ spielte den Einpeitscher. Vor der Nationalratswahl 1999 hatte die FPÖ im Dichand-Blatt "Machtlos gegen 1000 Nigerianer“-Inserate geschaltet.

Ein Jahr später führte die "Kronen Zeitung“ die vermeintlichen Drahtzieher des organisierten Drogenhandels vor und druckte Agbogbes Foto. "Zur zweiten Demo, die ich organisiert habe, sind kaum noch Leute gekommen, weil alle Angst vor uns hatten.“

Das war noch vor ÖVP-Innenminister Ernst Strasser, dessen zweifelhaftes Verdienst es war, dem Polizeiapparat eine quasi-militärische Kommandostruktur zu verpassen und die Beamtenschaft an die Kandare zu nehmen. Seither weitet sich der Riss zwischen den Polizisten, die an der Basis Dienst machen, und den Beamten in der Herrengasse.

Was nach außen getrommelt wird ("Hier wirkt der Rechtsstaat, es gelten die Buchstaben des Gesetzes, Bescheide und Fristen“), hat mit dem Innenleben nur wenig zu tun. Karrierebewusste Beamte haben gelernt, Ermittlungserfolge, die in ein ÖVP-Drehbuch passen könnten, ans Ministerbüro zu rapportieren, den anderen stinkt die Verpolitisierung des Apparats, "auch weil an allen Ecken und Enden gespart wird und die Arbeitsbelastung ständig steigt“, sagt ein Personalvertreter.

Vor der Wien-Wahl 2010 war eine schwer bewaffnete Sondereinheit ausgerückt, um zwei herzige Zwillingsmädchen in den Kosovo abzuschieben. Die Bilder, die Fernsehkameras damals einfingen, wurden zum PR-Waterloo und brachten die damalige Innenministerin Maria Fekter in der eigenen Partei unter Druck. Seither werden Bleiberechtsfälle diskret gelöst, bevor sie sich zum Mediendrama hochschaukeln.

Vor diesem Hintergrund wirkt die jüngste Abschiebung der pakistanischen Flüchtlinge wie ein Rückfall in alte Zeiten. In der Herrengasse sitzen Strassers Gefolgsleute nach wie vor an den Schalthebeln. Sein einstiger Pressesprecher, Hannes Rauch, heute Generalsekretär der ÖVP, pflegt die alten Kontakte ins Innenressort - etwa zum Kabinettschef Michael Kloibmüller - und telefoniert regelmäßig mit Peter Gnam, der innenpolitischen Deutungshoheit der "Kronen Zeitung“.

Das könnte die Dramaturgie der jüngsten Ereignisse ein wenig erhellen. Kürzlich veröffentlichte Innenministerin Johanna Mikl-Leitner eine neue Asylstatistik. Die Anträge waren - Alarm! - um 12 Prozent gestiegen. In der Sonntags-"Krone“ vom 28. Juli ließ Gnam sich über den "dramatisch“ angestiegenen Flüchtlingsstrom aus und sinnierte, ob dies auch "mit der Besetzung der Votivkirche durch - zumeist illegale - Flüchtlinge“ zu tun haben könne. Schließlich würden Schlepper das Vorgehen in allen EU-Ländern genau verfolgen und ihre Opfer dorthin schleusen, wo "Schlupflöcher welcher Art auch immer zu Tage treten“: "Der ‚Fall Votivkirche‘ mag so eine ‚Schleuse‘ gewesen sein.“

Am Tag, als die "Krone“ mit der hellsichtigen Glosse in den Sonntagstaschen zur Entnahme bereit lag, kamen acht pakistanische Flüchtlinge in Schubhaft. Die Männer hätten - gemeinsam mit den anderen Flüchtlingen, die bis Anfang März in der Votivkirche campiert hatten - bis Oktober im Servitenkloster bleiben sollen. Darauf hatten sich Innenministerium, Stadt Wien und die Erzdiözese verständigt. Aus dem Wahlkampf sollten sie herausgehalten werden. Womit die ÖVP eher nicht kalkuliert hatte: Kardinal Christoph Schönborn fühlte sich hintergangen und bekundete seinen Ärger scharf und öffentlich.

Vor sechs Jahren war einem Landpfarrer im oberösterreichischen Ungenach Ähnliches widerfahren.

Der heutige Pressesprecher des Integrationsstaatssekretärs Sebastian Kurz hatte Pfarrer Friedl um Hilfe gebeten, als das kosovarische Mädchen Arigona Zogaj drohte, sich das Leben zu nehmen, sollte sie - so wie ihre Geschwister und ihr Vater - abgeschoben werden. Als der Bleiberechtsfall zum Casus Belli hochstilisiert worden war, ließ die ÖVP den Geistlichen mit einer zerrissenen Familie und Reporterteams aus aller Welt allein.

Zur Erinnerung: Auch damals platzte - mitten in eine Welle von Solidarisierung und Empörung hinein - ein böser Verdacht. Beamte und Kabinettsmitarbeiter hatten Polizeidaten hinausgespielt, um Arigonas Familie als kriminellen Clan darzustellen. Am Ende blieben davon eine Zeltfest-Rauferei des Bruders und eine Verkehrsstrafe des Vaters übrig. Die Unterstützung aber war gebröckelt. Die Ermittlungen wegen Bruchs der Amtsverschwiegenheit gegen hochrangige Mitarbeiter des Innenministeriums verliefen im Sand.

Die Sozialdemokratie begnügt sich bei Law-and-Order-Inszenierungen seit Jahren mit der Rolle des Zaungasts. Keine zweite Partei wird vom Ausländerthema so stark polarisiert wie die SPÖ. "Zwei Drittel der Wählerschaft vertreten hier rechte Positionen, selbst wenn sie bei anderen links denken“, sagt der Politikforscher Peter Filzmaier. In den roten Flächenbezirken Favoriten, Simmering sowie in Teilen von Donaustadt und Floridsdorf sind die Freiheitlichen der einzige politische Gegner.

Zwar lockt auch die ÖVP mit Hardliner-Parolen kaum Blau-Wähler an und treibt liberale Wähler den Grünen in die Arme. Doch als Ablenkung von unerquicklichen Debatten eignen sie sich allemal. Als der schwarze Landeshauptmann Erwin Pröll vor der vergangenen Niederösterreich-Wahl eine Diskussion über Flüchtlingsquoten anzettelte, redete niemand mehr über die Spekulationsgeschäfte im Land.

Im Bund läuft es für die ÖVP seit geraumer Zeit nicht rund. An Umweltminister Nikolaus Berlakovich blieb nach der Debatte über Pestizide das Etikett des Bienen-Killers kleben. Beatrix Karl empfahl sich als kaltherzige Regentin des Justizressorts, als sie die öffentlich gewordene Vergewaltigung eines jugendlichen Untersuchungshäftlings mit der Bermerkung quitttierte, der Strafvollzug sei "kein Paradies“. Finanzministerin Maria Fekter macht in der Hypo-Affäre eine unglückliche Figur, und Wissenschaftsminister Karlheinz Töchterle plagt sich derzeit mit den Trümmern seines Studiengebühren-Modells, die ihm der Verfassungsgerichtshof vor die Füße geworfen hat. Der mediale Wirbel um Abschiebungen und angeblichen Schlepper wirkt da fast wie ein Befreiungsschlag.

Er könnte der ÖVP helfen, den Abstand zur führenden SPÖ zu verkleinern, sie könnte sich damit aber auch selbst treffen. Immerhin hatte sie es mit Hilfe des Nachwuchstalents Sebastian Kurz geschafft, die Zuwanderungsdebatte zu entkrampfen. Die Verve, mit der die Innenministerin die Abschiebung der pakistanischen Flüchtlinge aus dem Servitenkloster betrieb, passt nicht ganz ins Bild.

Wenige Tage, nachdem die Flüchtlinge im März ihr Quartier im Wiener Servitenviertel aufgeschlagen hatten, begannen Gespräche über ihre freiwillige Rückkehr. Die Männer aber wollten bleiben. Im selben Monat reiste eine österreichische Delegation nach Pakistan, um die Sicherheitslage vor Ort zu inspizieren. Auch der Leiter der fremdenpolizeilichen Abteilung im Innenministerium machte sich auf den weiten Weg.

Was immer es war, das die Behörden in Pakistan beeindruckte, danach stellten sie die Heimreisezertifikate im Dutzend aus. Im Vorjahr hatte es ganze drei Abschiebungen nach Pakistan gegeben. Im ersten Halbjahr 2013 waren es 16. Vergangenen Montag kamen acht dazu, zwölf weitere Abschiebepapiere sind beantragt. Warum von allen Pakistanis, die ohne Aufenthaltstitel in Österreich leben, jene aus dem Kloster als Erste gehen müssen, wartet bis heute einer Erklärung. "Sie büßen für ihren Widerstand“, sagt eine Aktivistin.

Edith   Meinhart

Edith Meinhart

ist seit 1998 in der profil Innenpolitik. Schreibt über soziale Bewegungen, Migration, Bildung, Menschenrechte und sonst auch noch einiges