„Es gibt zu viele Tabus“

Renée Schroeder: „Es gibt zu viele Tabus“

Sommergespräch. Molekularbiologin Renée Schroeder über die Evolution und Gott als Druckmittel

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Interview: Herbert Lackner

profil: Frau Professor Schroeder, stört es Sie, wenn man Sie als Beispiel für gelungene Zuwanderer-Integration anführt?
Schroeder: Ich hab damit kein Problem, ganz im Gegenteil. Ich war 14, als wir nach Österreich gekommen sind. Meine Eltern stammen aus Luxemburg und sind 1951 nach Brasilien ausgewandert, ich bin zwei Jahre später geboren worden. Nach dem Militärputsch wollte mein Vater nicht bleiben – er war in der Stahlbranche – und wir sind nach Österreich gekommen.

profil: Was war Ihr erster Eindruck vom neuen Gastland?
Schroeder: Als größten Unterschied habe ich empfunden, dass die Mädchen in Brasilien sehr früh entwickelt waren, ich war eine Spätentwickelte. In Bruck an der Mur haben die Gleichaltrigen noch mit dem Tafelfetzen rumgeworfen und waren noch viel mehr Kind. Ich war sehr glücklich. Schwierig war das Wetter, weil ich ja keine Winter gekannt habe. Deutsch zu lernen, war auch eher anstrengend.

profil: Und Bruck war wohl auch etwas farbloser als Brasilien.
Schroeder: Ja, alles war schwarz und grau – eben immer noch Nachkriegszeit. In die Schule durfte man nicht geschminkt oder mit Hosen kommen. Aber dann ging alles sehr schnell. Nach 1968 durfte man von einem Jahr auf das andere alles tragen: Minirock, Jeans, Schminke.

profil: Und wie sind Sie zur Wissenschaft gekommen?
Schroeder: Ich wollte etwas Solides studieren. Die längsten Studien waren damals Chemie und Elektrotechnik – habe ich also Chemie genommen, die ist so handfest. Ich wollte echt lang studieren.

profil: Die Österreicher haben ein eher schwieriges Verhältnis zu den Naturwissenschaften. Das Volksbegehren gegen die Gentechnik war das zweiterfolgreichste der Geschichte. Warum ist man hierzulande so fortschrittsskeptisch?
Schroeder: Den Österreicher kann man nicht so schnell für etwas begeistern, und meist ist ihm das Tempo zu schnell. Außerdem gibt es keine gute naturwissenschaftliche Ausbildung in der Volksschule. Dort scheint oft der Religionsunterricht von der Zahl der Stunden her wichtiger. Bildung heißt in Österreich immer noch, geisteswissenschaftlich gebildet zu sein: Schiller, Goethe, die Musik. Das ist wichtig, aber zu wenig, um die Welt zu verstehen.

profil: Dazu kommt natürlich auch die Angst, dass die Wissenschaft ihre Grenzen nicht kennt: Fast alles ist schon möglich, und was möglich ist, wird oft auch gemacht.
Schroeder: Die Angst kommt durch mangelndes Verständnis. Und es gibt zu viele Tabus, wenn es um die Erforschung des Menschen geht. Es ist zum Beispiel jedem klar, dass man Hunde und Pflanzen mit bestimmten Eigenschaften züchten kann. Genau das Gleiche passiert natürlich auch beim Menschen. Wenn man darauf aufmerksam macht, dass unsere Gesellschaft einen starken Einfluss darauf hat, wie sich der Mensch evolviert und darüber nachzudenken wagt, wird man gleich als Eugeniker beschimpft.

profil: Wie passiert das?
Schroeder: Viele unserer kulturellen Errungenschaften haben einen starken Einfluss auf die Aktivität unserer Gene. Wenn 30 Generationen immer nur mit dem Lift fahren, dann wird die 31. nicht mehr Stiegen steigen können. Wenn sich alle nur noch per GPS orientieren, verlernen wir das Raumgefühl. Wer sich seine Informationen ausschließlich aus der digitalen Welt holt, wird sich in der realen nicht mehr zurechtfinden. Bei der Ernährung ist es am ärgsten: Da haben viele unter dem Bombardement der Werbung und der Abfütterung mit Geschmacksverstärkern längst verlernt, was ihr Körper braucht. Die Folge sind Legionen von Adipösen, die dann wieder adipöse Kinder heranziehen. So funktioniert eben die Evolution: Wie wir unsere Gesellschaft gestalten, entscheidet darüber, was vom Menschen selektiert wird. Wenn man 2000 Jahre lang auf religiöse Demenz selektiert, dann hat man eben religiöse Demenz. Wird man auf intelligentes Denken selektiert, dann hat man Leute, die denken können.

profil: Prognostizieren Sie doch einmal: Wie wird denn der Mensch aussehen, der da mit dem modernen technischen Apparat selektiert wird?
Schroeder: Das versuche ich gerade für mein neues Buch herauszufinden. Ich war bei einer IT-Tagung und hab mir diese Gadgets vorführen lassen. Da kommt ja allerlei. Man geht etwa ins Geschäft, eine Kamera liest die Farbe der Iris ab und sucht die dazu passende Farbe der Hose aus. Zu Hause sagt eine App am Handy, was noch im Kühlschrank ist, was man damit kochen kann – und schlägt einen passenden Cocktail vor. Das ist die Produktion eines Homo Consumens, eines Ferngesteuerten, dem ständig neue Bedürfnisse eingeredet werden.

profil: Die Wirtschaft hat sich also schon verselbständigt?
Schroeder: Absolut.

profil: Die Menschen erwarten von der Wissenschaft aber etwas ganz anderes. Etwa, dass sie Krankheiten heilt.
Schroeder: Das tut sie ja!

profil: Aber die Erwartungen sind viel höher. Nach der Entschlüsselung des Genoms vor zehn Jahren glaubte jeder, jetzt sei alles heilbar. Verspricht die Wissenschaft manchmal zu viel?
Schroeder: Nein, diese Erwartungen zeigen nur, dass viele nicht wissen, wie Wissenschaft funktioniert. Aber sie kann sehr viel. Ich selbst habe zum Beispiel eine genetische Störung in der Blutgerinnung. Das Risiko, an Thrombosen zu erkranken, ist bei mir erhöht, und die Frauen in meiner Familie sind meistens früh an Embolien gestorben. Ich kann jetzt vorbeugend etwas dagegen tun.

profil: Jetzt aktuell: die Brüste von Angelina Jolie.
Schroeder: Genau. Ich versteh gar nicht, warum alle so schockiert sind. Wenn man eine Zeitbombe in der Brust hat und weiß, wie es den Frauen in der Familie ergangen ist, ersetzt man sie durch Silikon.

profil: Aber das ist Krankheitsvermeidung nach Gen-Diagnose und nicht Heilung.
Schroeder: Um diese genetische Prädisposition zu ändern, würde man Gentherapie brauchen, aber da schreien alle noch lauter. Die Erfolge in der Medizin sind enorm und sehr eindrucksvoll. Zum Beispiel ist Leukämie heute kein Todesurteil mehr. Aber viele Menschen leben halt furchtbar ungesund und glauben dann, das Schlucken einer Pille würde das alles wieder aufheben. Das spielt es nicht.

profil: Ich habe vergangenes Jahr mit dem Quantenphysiker Anton Zeilinger ein Sommergespräch geführt. Er tickt völlig anders als Sie.
Schroeder: Ja, ich weiß. Er ist ein Superwissenschafter und sehr religiös. Und er macht Werbung für den CV. Das werfe ich ihm vor. Das ist nicht mehr zeitgemäß.

profil: Zeilinger sagt, er sehe Gott dort walten, wo auch die Wissenschaft Phänomene nicht erklären kann, etwa Naturgesetze wie die Schwerkraft. Und er sagte dazu: „Das muss auch die Frau Schroeder glauben.“
Schroeder: Das würde bedeuten, dass Gott immer weniger wird, je mehr Wissen wir uns aneignen. Er steht also zur Disposition. In den Köpfen der meisten Menschen ist Gott immer personifiziert: der Mensch als Produkt der Schöpfung und als Ebenbild Gottes. In Wahrheit ist es umgekehrt: Der Mensch hat Gott erdacht. Ich glaube übrigens auch nicht an die Konstanz der Naturgesetze. Beim nächsten Big Bang werden diese höchstwahrscheinlich andere Werte haben, weil die Bedingungen bei ihrer Entstehung anders sein könnten. Es entsteht das, was entstehen kann und funktionsfähig ist.

profil: Wären die Parameter, die Leben auf der Erde ermöglicht haben, nur ganz wenig anders, wäre es nicht entstanden. Das kann kein Zufall sein, sagt Zeilinger, da walte Größeres. Was sagen Sie?
Schroeder: Ich sage: Wenn man noch einmal an den Anfang zurückginge und die Evolution noch einmal ablaufen ließe, käme etwas ganz anderes heraus.

profil: Die Evolution ist nicht zielgerichtet, sondern Zufall?
Schroeder: So ist es. Es gibt so unendlich viele Möglichkeiten, und die Wahrscheinlichkeit, dass die Evolution noch einmal genau so abliefe, ist praktisch null.

profil: Kardinal Schönborn schrieb in seinem berühmten „New York Times“-Artikel 2005: „Jedes Denksystem, das die überwältigenden Beweise für einen Plan (Design) in der Biologie leugnet, ist Ideologie, nicht Wissenschaft.“ Sind Sie eine Ideologin?
Schroeder: Ach! Evolutionär hat sich die Erfindung eines Gottes durch die Menschen enorm ausgewirkt. Das ist ein Beweis dafür, wie Evolution funktioniert und wie die Religion Menscheneigenschaften selektiert. Mit dieser kulturellen Erfindung lässt sich eine Gesellschaft erfolgreich leiten. Die gläubigen Schäfchen kriegen viele Kinder, sie denken nicht lange darüber nach, sie fürchten sich vor dem strafenden Gott, sie bilden eine Gruppe, sie haben Feindbilder, sie gehorchen.

profil: Aber die Menschen haben sich Götter erdacht, weil sie sich die Welt nicht erklären konnten, den Blitz, den Donner, den Regen, die Sonne.
Schroeder: Jedenfalls hat sich Gott als Instrument der Unterdrückung sehr bewährt. Das ist weder gut noch wünschenswert. Aber es war eine Zeitlang evolutionär erfolgreich. Wie es ja auch evolutionär erfolgreich war, dass man gegen religiös Andersdenkende vorgegangen ist. Gotteslästerung ist ja immer noch eine furchtbare Sünde.

profil: Warum sind Sie eigentlich vergangenes Jahr mit großem Krach aus der Akademie der Wissenschaften ausgetreten?
Schroeder: Schon bei der ersten Feier, 2003, sitzt neben mir ein älterer Mann und schaut mich irritiert an. Ich hab ihn gefragt, was ihn stört, sagt er: „Ehefrauen dürften da nicht sitzen.“ Hab ich gesagt: „Ich bin eh nicht verheiratet.“ Es war alles auch furchtbar altmodisch. Ich habe mich dort nie wohlgefühlt, es ist nicht meine Welt. Statt dass sich die Gelehrtengesellschaft um wichtige Fragen der Zukunft kümmert, ist sie mit sich selbst beschäftigt. Wir haben die Linguistin Ruth Wodak als neues Mitglied vorgeschlagen, drei Mal. Obwohl ihre Exzellenz eindeutig ist und sie über den grünen Klee gelobt wurde, bekam sie bei der anonymen Abstimmung nicht genug Stimmen. Es geht dort nicht um Wissenschaft, sondern um Freunderln.

profil: Wo stehen Sie im klassischen politischen Spektrum? Konservative sind Sie ja wohl keine.
Schroeder: Nein, obwohl ich einmal ÖVP gewählt habe – das war, als Ursula Stenzel Spitzenkandidatin bei der Europawahl war. Ich bin eher auf der sozial/grünen Welle, aber die Grünen sind mir manchmal zu dogmatisch.

profil: Klingt nach SPÖ.
Schroeder: In Wien auf jeden Fall. Es ist fast angsterregend toll, in dieser Stadt zu leben. Wien ist ein „universal sweet spot“. Die Badestrände sind super und gratis, das Wasser ist sauber, man kann nackt gehen oder nicht. Es gibt immer mehr Radwege, die Stimmung ist gut, und es wird immer internationaler.

profil: Sind Sie eigentlich für Studiengebühren?
Schroeder: Die Erfahrung hat uns gelehrt, dass etwas, was nichts kostet, nichts wert ist. Wenn die Studenten eine kleine Gebühr zahlen würden, hätten sie auch eine bessere Ausgangsposition, von der Universität etwas zu verlangen. Der Beitrag soll niemandem wehtun oder vom Studium abhalten.

profil: Und was ist mit Aufnahmeprüfungen?
Schroeder: Die meiste Arbeit hat man als Universitätslehrer mit schlechten Studierenden. Die fallen drei Mal durch, kommen dann zur kommissionellen Prüfung, und man weiß von Anfang an: Da ist nichts da. Man kann aber schwer sagen: Entschuldigung, Sie haben das Zeug nicht dafür. Bei einem Sport- oder Musikstudium leuchtet es jedem ein, dass man eine bestimmte Qualifikation haben muss, bei allen anderen Studienrichtungen gilt das merkwürdigerweise nicht. Das ist auch für die Betroffenen nicht gut. Die quälen sich zehn Jahre durch, dann haben sie ihren Titel, aber beruflich werden sie nichts auf die Reihe kriegen.

profil: Ich habe gelesen, dass Sie schon für die Zeit nach Ihrer Karriere in der Wissenschaft vorgesorgt haben. Sie haben sich einen Bauernhof in 1100 Metern Höhe gekauft und eine Landwirtschaftsschule absolviert.
Schroeder: Ja, auf der Postalm bei Abtenau. Begonnen haben das meine beiden Söhne. Sie wollten eine Hütte, in der ich in den Ferien auf die Enkelkinder aufpasse. Also haben sie gesucht und im Internet diesen verlassenen Bergbauernhof gefunden. Total verwahrlost und wunderschön gelegen.

profil: Und warum die Bauernschule?
Schroeder: Die Grundverkehrskommission hat gesagt, das sei eine landwirtschaftlich gewidmete Fläche, die dürften nur Landwirte kaufen. Sind wir also ein Jahr lang in Hollabrunn in die Schule gegangen: 16 Stunden pro Woche, Montag und Mittwoch von 18 bis 22 Uhr und den ganzen Samstag. Fand ich echt spannend, man entdeckt eine komplett neue Welt.

profil: Was werden Sie da oben machen?
Schroeder: Weil die Wiesen so lange verwahrlost waren, sind sie voller Blumen und Kräuter. Ich möchte Alpenkräuter züchten und mich mit dem Erfahrungswissen beschäftigen, das Frauen über Jahrhunderte angesammelt haben. Das alles hat ja noch nicht Eingang in die Wissenschaft gefunden.

profil: Ich seh Sie schon beim Filtrieren von Kräuterextrakten und beim Mixen von Wunderelixieren.
Schroeder: Sie werden sich wundern: Ich hab schon damit begonnen. Heute früh hab ich meine Gelsenstiche mit Schafgarbenextrakt behandelt. Der ist entzündungshemmend. In der alten Medizin heißt es ja, die Schafgarbe sei eine ganze Apotheke in einer Pflanze. Dem werde ich mich jetzt widmen: mit Tees, Salben und Ölbädern.

Zur Person
Renée Schroeder, 60. Die Molekularbiologin ist eine der führenden Wissenschafterinnen auf ihrem Gebiet. Ihre Thesen vom schädlichen Einfluss der Religion sorgen immer wieder für Aufregung.

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