Sitzenbleiber

Warum die SPÖ dem U-Ausschuss den Garaus machen wollte

Parlament. Warum die SPÖ dem Untersuchungsausschuss den Garaus machen wollte

Drucken

Schriftgröße

Eigentlich war das rote Drehbuch für den Herbst schon geschrieben, und es las sich gar nicht schlecht. Das Erfolgsstück „SPÖ gegen die Millionäre“ sollte in die Verlängerung gehen und auf dem Parteitag am 13. Oktober mit flammenden Appellen für Reichensteuern in einem Zwischenwahlkampf gipfeln, in dem Bundeskanzler Werner Faymann als Robin Hood hätte glänzen können. Der ÖVP und ihrem angeschlagenen Obmann Michael Spindelegger war in dieser Inszenierung die undankbare Rolle als Millionärsversteher zugedacht. Für die SPÖ eine passable Ausgangsposition im Hinblick auf das Wahljahr.

Seit vergangener Woche ist sie allerdings Geschichte.
Der SPÖ gelang das seltene Kunststück, aus dem Anti-Korruptions-Untersuchungsausschuss als große Verliererin auszusteigen. Monatelang waren dubiose Geldflüsse und Nehmerqualitäten unter der schwarz-blau-orangen Regierung enthüllt worden – bis die SPÖ alles daran­setzte, das Kontrollgremium abzuwürgen. Um ihrem Vorsitzenden Werner Faymann einen Zeugenauftritt zu ersparen, griff sie zu brutalen Drohungen und peinlichen Ausflüchten und nahm Kollateralschäden an Parlamentarismus und Demokratie in Kauf.

Das desaströse Bild, das die SPÖ dabei abgab, ist auch in der Meinungsforschung ablesbar: Erstmals seit Bestehen einer großen Koalition in Österreich, also erstmals seit 1945, haben die Regierungsparteien gemeinsam keine Mehrheit mehr, wie die dieswöchige Umfrage der Karmasin Motivforschung für profil ergibt. SPÖ und ÖVP kommen gemeinsam nur noch auf 49 Prozent. Ein seltenes Armutszeugnis für eine Regierung.

Werner Faymann ist der große Verlierer der beschämenden Parlamentswoche: Seine Werte in der so genannten Kanzlerfrage fallen um drei Prozentpunkte auf dürftige 20 Prozent. Damit ist Faymann wieder auf seinem Tiefstwert von November 2009 angelangt. Damals hatte die SPÖ ein blutiges Jahr mit fünf schweren Wahlniederlagen hinter sich. Seither befanden sich SPÖ und Faymann im langsamen, aber steten Aufwärtstrend.
Auch das ist seit vergangener Woche Geschichte.

Und kein Wunder: Die Chronik der Vertuschung ist ein Paradebeispiel abstoßender Politpackelei. Schon seit Wochen hatte sich abgezeichnet, dass SPÖ, ÖVP, FPÖ und BZÖ den Untersuchungsausschuss möglichst rasch beenden wollen – und jede Partei hatte ein Motiv: Die Sozialdemokraten wollten der Aufklärung der Inseratenaffäre aus dem Weg gehen und ihrem Kanzler die Einvernahme ersparen; die ÖVP fürchtete neue Fakten in der Telekom/Mensdorff-Affäre; das BZÖ hatte weitere Enthüllungen in der Glücksspiel-Causa zu fürchten, und die FPÖ kann nie sicher sein, ob nicht Ungemach aus Kärnten dräut.

Denn der Ausschuss hat einen „Geburtsfehler“: Die parallel ermittelnde Staatsanwaltschaft schickt auch zu den vier bereits abgeschlossenen Themenbereichen des Ausschusses weiter Akten, was die Sache in die Länge ziehen könnte, befürchteten alle Fraktionen außer den Grünen. Also formulierten sie einen Antrag, wonach „außerhalb des beschlossenen Zeitplans“ – also für abgeschlossene Themen – „keine Akten vorzulegen“ seien. Sollte die Parlamentsdirektion dennoch solche Aktenstücke bekommen, müsse sie diese versiegeln und dürfe kein Blatt an die Ausschussmitglieder weitergeben.

Ein merkwürdiges Ansinnen: Mit der Kontrolle beauftragte Abgeordnete fordern, dass sie keine weiteren Informationen mehr bekommen – so brisant diese auch sein mögen. Neugierige Nasen sehen anders aus.

Und noch etwas enthielt das Papier: einen Zeitplan, der nur noch fünf Sitzungstage und 17 zu befragende Zeugen vorsah. Bundeskanzler Faymann war nicht darunter.

Jetzt machte es sich für die SPÖ bezahlt, dass sie im Ausschuss den Wiener Rechtsanwalt Johannes Jarolim durch den niederösterreichischen Abgeordneten Otto Pendl ersetzt hatte, einen ehemaligen Justizwachebeamten, dem nun seine fünf Minuten Ruhm in der Funktion der „Abrissbirne“ (der Grüne Peter Pilz) zukamen.

Anfang September sollte der selbstverstümmelnde Antrag abgestimmt werden – was die grüne Ausschussvorsitzende Gabriela Moser mit dem Hinweis verweigerte, dieser sei unzulässig. Nach Ansicht von Geschäftsordnungsexperten stimmte das nur zum Teil.

Die Rechtsunsicherheit war für die vier zusperrwilligen Fraktionen ein gefundenes Fressen: In seltener Einmütigkeit erklärten sie, nicht mehr mit Moser zusammenarbeiten zu können. Der Ausschuss stand vor dem Aus – bis Moser vergangenen Dienstag ihren Rücktritt erklärte.

Damit erwischte sie vor allem SPÖ und ÖVP auf dem falschen Fuß, die nun keinen Vorwand für ein Ende der Beratungen hatten. Abrissbirne Pendl flüchtete sich in einen Altherrenwitz: Jetzt müsse man wieder eine Frau zur Vorsitzenden wählen – sonst sehe das ja aus, als habe man bloß einen Mann auf den Vorsitzsessel hieven wollen, feixte der Sozialdemokrat.

Noch Dienstagabend trafen sich die Ausschussfraktionsführer Pendl und ­Werner Amon (ÖVP) und die Klubobmänner Josef Cap (SPÖ) und Karlheinz Kopf (ÖVP) im Parlament zur Krisensitzung. Die SPÖ-Seite blieb dabei: Der Ausschuss sei sofort zu beenden. Die ÖVP wollte nicht in den Geruch geraten, just dem roten Kanzler die Mauer zu machen, und schlug einen etwas schrägen Kompromiss vor: Man könnte doch diesen Ausschuss beenden, unmittelbar danach einen neuen einsetzen und in dessen Geschäftsordnung auf die Lieferung neuer Akten verzichten. Die SPÖ winkte ab und setzte die Schwarzen unter Druck: Die ÖVP könne kein Interesse an Neuwahlen haben; außerdem könnten die Aktenanlieferungen der Staatsanwaltschaft ja einige für die Volkspartei höchst unangenehme Papiere enthalten. Was stimmt: Es hatte vor einigen Wochen eine weitere Hausdurchsuchung bei dem ehemaligen (schwarzen) Telekom-Vorstand Michael Fischer gegeben – mit unbekannter Beute.

Dennoch waren noch Dienstagabend Teile der ÖVP zum Widerstand entschlossen. „Es wäre erbärmlich, wenn wir uns zum Handlanger der SPÖ machen und Fay­mann schützen“, tönte ein Minister bei einer Abendveranstaltung aufmüpfig. Mehrere Stimmen, vor allem aus dem Nationalratsklub, assistierten: Die ÖVP dürfe bei dieser Düpierung des Parlamentarismus nicht mitmachen.

Doch die Koalitionsräson war stärker, permanente Anrufe von Faymann bei seinem Vizekanzler Michael Spindelegger zeigten Wirkung. Zuletzt hatte die SPÖ ungeniert gedroht, die Budgetverhandlungen platzen zu lassen. Mittwochfrüh, vor Beginn der Nationalratssitzung, trommelte Parteichef Spindelegger den ÖVP-Parlamentsklub zusammen: Man könne wegen dieser Frage keine Neuwahlen riskieren, außerdem habe die Partei durch den Ausschuss ohnehin schweren Schaden genommen. Also weg damit. Grummelnd nahmen die Abgeordneten den Beschluss der Parteispitze zur Kenntnis. Nur erfahrene Mandatare wie der Wirtschaftsbündler Michael Ikrath wagten kurz den Widerspruch – wurden aber wie alle anderen zur Loyalität vergattert.

Mittwoch kurz vor elf Uhr brachten SPÖ und ÖVP im Nationalrat einen Fristsetzungsantrag ein, der am Schluss der Sitzung abgestimmt werden sollte – de facto das Ende der Ausschussarbeit.

Minuten später stürmte Grünen-Chefin Eva Glawischnig zum Rednerpult und las den Ausschuss-Killern die Leviten: „Das ist erbärmlich. Ihr seid eine Koalition der Vertuscher.“ Der drei Meter vor ihr sitzende SPÖ-Klubchef Josef Cap vermied jeden Blickkontakt und kramte verzweifelt in irgendwelchen Papieren.

Wie er versteckten sich etliche Abgeordnete, wurde doch von der Parteiführung penibel kontrolliert, wer mit Journalisten sprach und sich womöglich nicht an die ausgegebene Losung hielt. Diese lautete: Perfiderweise habe ÖVP-Justizministerin Beatrix Karl anordnen lassen, dass die Ermittlungen der Justiz gegen Faymann weitergehen. Daher könne der Kanzler leider, leider nicht unter Wahrheitspflicht vor dem U-Ausschuss aussagen, weil er danach sicher von hinterhältigen Oppositionsabgeordneten angezeigt werde.

Die meisten SPÖ-Abgeordneten waren bereit, die fadenscheinige Argumentation, wenn auch mit Bauchweh, zu schlucken. Selbst als um 14.30 Uhr in einer eilig einberufenen „Klubstehung“ die Absicht verkündet wurde, den U-Ausschuss schon am Freitag überfallsartig zu beenden, regte sich nur vereinzelt Unmut. Die Wiener Abgeordneten Andrea Kuntzl und Kai Jan Krainer monierten, dass damit die im U-Ausschuss aufgedeckten schwarz-blau-orangen Skandale untergehen würden. Unterstützt wurden sie von der Gewerkschafterin Sabine Oberhauser und der Linzer Paradelinken Sonja Ablinger. Recht viel größer war das Häuflein der Aufrechten nicht. „Mich hat sehr überrascht, dass diese Vorgangsweise, die dem Ansehen des Parlaments schadet, nicht mehr irritierte“, konnte sich Ablinger nur wundern.

Inzwischen hatte sich aber längst der Widerstand außerhalb des Parlaments formiert. Ausgegangen war er bemerkenswerterweise in Graz. Dort hatte sich Frido Hütter, der Kulturchef der „Kleinen Zeitung“, seit dem Wochenende „grün und blau geärgert“. Hütter und sein Chefredakteur Hubert Patterer griffen am Montag zum Telefon und nahmen Kontakt „mit allen anderen Zeitungen, die guten Willens sind“, auf. Tags darauf hatten praktisch alle Tageszeitungen außer den Nutznießern der Faymann-Inserate – „Krone“, „Heute“ und „Österreich“ – die Causa prima im Aufmacher. Der in der Kulturszene bestens vernetzte Hütter telefonierte in der Promi-Topliga Testimonials gegen das Abwürgen des Ausschusses zusammen. In der Dienstag-Ausgabe der „Kleinen Zeitung“ wetterten dann so unterschiedliche Persönlichkeiten wie Peter Turrini, Franz Fiedler, Heide Schmidt, Erika Pluhar, Robert Palfrader, Franz Fischler, Franz Küberl, Hubert von Goisern und Maja Haderlap gegen die Versuche, die Ausschussarbeit abzuwürgen.

Auch die „Internetgeneration“ (Copyright Wolfgang Schüssel) stellte an diesem denkwürdigen Mittwoch unter Beweis, dass sie binnen weniger Stunden lautstarken Protest organisieren kann. Im Laufe der Parlamentssitzung hatten wortgewaltige Twitterati wie Michel Reimon, grüner Landtagsabgeordneter im Burgenland, und Rudolf Fussi, kampagnenerprobter Organisator des Anti-Eurofighter-Volksbegehrens, einen „Flashmob“ gegen das Ende des Ausschusses zusammengetrommelt. Vom Parlament zogen Hunderte Empörte zu den Parteizentralen von SPÖ, ÖVP, FPÖ – begleitet von manchmal humorigen („Wir machen, was nicht einmal die ÖVP-Mitglieder machen: Wir sammeln uns um die ÖVP“), manchmal ernsten Reden („Ein Angriff auf die Demokratie“).

Der außerparlamentarischen Opposition hatten sich auch Parteien angeschlossen, die hoffen, vom Zorn auf das Polit-Establishment zu profitieren: Die „Piraten“ hielten beim Flashmob ebenso ihre Transparente in die Höhe wie die Gruppierung „Österreich spricht“. Dazwischen schwenkte die Sozialistische Jugend ihre roten Fahnen.

Zu diesem Zeitpunkt hatte es in den Sitzungslokalen des Parlaments auch den abgebrühtesten Koalitionsstrategen gedämmert, wie fatal der überfallsartige Todesstoß für den U-Ausschuss wirken würde. Hektisch verhandelte ÖVP-Fraktionsführer Werner Amon mit den Oppositionsparteien, FPÖ, BZÖ und den Grünen, eine minimale Gnadenfrist von acht Sitzungstagen aus. Die Opposition war zu einem Kotau um des Kompromisses willen bereit, selbst auf Akten verzichtete sie. Da blieb für Amon nur noch die Frage: „Wo ist denn der Otto?“ Allein, Otto Pendl war nicht auffindbar.

Wenig später wurde klar, warum: Die SPÖ hatte sogar in den 5-Parteien-Antrag für den verbliebenen U-Ausschuss ultralight noch einen Passus geschummelt, wonach keine zusätzlichen Zeugen mehr geladen werden dürften. BZÖ-Mann Stefan Petzner entdeckte die Falle in letzter Minute, sein Kollege Peter Pilz: „Die Sozis arbeiten mit allen Tricks.“

Im Niederadministrieren von U-Ausschüssen haben die Koalitionsparteien allerhand Routine. Seit der Neuauflage der großen Koalition im Jahr 2006 wurden drei Kontrollgremien vorzeitig abgedreht. Ein ähnlich unrühmliches Ende des Anti-Korruptions-Ausschusses ist vorgezeichnet: Franz Lückler, ehemaliger Vorstand der Asfinag, kann leider, leider wegen eines Auslandsaufenthalts seiner Zeugenpflicht nicht nachkommen und die Inseratenaffäre somit nicht erhellen. Weitere jähe Erkrankungen oder prompte Dienstreisen anderer Zeugen werden folgen, die wenigen verbliebenen Termine lassen sich locker aussitzen. Auch darin haben Zeugen Erfahrung.

Das unwürdige Schauspiel hätte sich die Koalition ersparen können, hätte sie ihre eigenen Versprechen ernst genommen. Seit August 2009 ist vereinbart, dass Zeugenladungen und Ablauf eines Untersuchungsausschusses ein Minderheitenrecht werden sollen, die Regierungsparteien sich also nicht mehr aussuchen können, wer aussagt und wie lange kontrolliert wird. Diese Zusage bekamen Grüne und BZÖ seinerzeit für ihre Zustimmung zur Änderung des Bankgeheimnisses, für die eine Zweidrittelmehrheit notwendig war. Seither passierte – nichts. Die SPÖ verließ den Verhandlungstisch zur Reform des U-Ausschusses schon vor einem Jahr.

Unbändiger Wille zu Transparenz sieht anders aus. In den Parteigremien am vergangenen Donnerstag gab es dann nur leises Murren. „Die gesamte Vorgangsweise war ein Beitrag zur Politikerverdrossenheit“, seufzt Wolfgang Moitzi, Chef der traditionell aufmüpfigen Parteijugend. Aber auch ältere Semester wie Sepp Leitner, Vorsitzender der SPÖ Niederösterreich, kritisieren: „Die Vorgangsweise war dem Parlamentarismus sehr abträglich. Jetzt bleibt das Bild, dass alle Gauner sind – dabei passierten die ganzen großen Korruptionsskandale unter der schwarz-blau-orangen Regierung.“

Die SPÖ hat sich auf harte Monate einzustellen. Im November wird in Graz gewählt, wo die Sozialdemokraten seit Jahren heillos zerstritten sind. Im Jänner wird über die Wehrpflicht abgestimmt, und auch für diesen Urnengang sagen Umfragen der SPÖ ein Waterloo voraus.

Unter normalen Umständen gäbe es für eine Kanzlerpartei in einem derartigen Schlamassel eine Rettungsgasse: professionelle Regierungsarbeit leisten, die Bevölkerung mit Reformen oder zumindest Ideen überzeugen und so das Desaster mit anderen Themen überlagern. So weit die Theorie. Die ernüchternde Praxis lautet, dass selbst überzeugte Faymann-Fans kein großes Koalitionsvorhaben der kommenden Monate nennen können. Der Vorrat an Gemeinsamkeiten mit der ÖVP scheint aufgebraucht.

Michael Ritsch, der Vorsitzende der SPÖ Vorarlberg, spricht das deutlich aus: „SPÖ und ÖVP sind in der Bildungs- oder Steuerpolitik und in anderen Sachthemen so weit auseinander, dass es keine Einigung mehr geben wird. Es wäre daher besser, die Koalition zu beenden und in Neuwahlen zu gehen.“ Hoffnungsvoller Zusatz: „Rot-Grün wäre die bessere Regierung für Österreich.“

Doch von einer rot-grünen Mehrheit ist die SPÖ weit entfernt. Nach der blamablen Vertuschung vergangene Woche weiter denn je.