Wie korrupt ist die Medizin wirklich?

Wie korrupt ist die Medizin? Wie Ärzte von der Pharmaindustrie korrumpiert werden

Die perfiden Tricks der Pharmaindustrie

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So scharf hat das vermutlich noch keiner formuliert: „Die Verbindungen zwischen der Pharmaindustrie und den Ärzten bedeuten eine ernsthafte Bedrohung für die seriöse Medizin und für das Vertrauen, das Patienten in Ärzte haben. Sie höhlen die Integrität der wissenschaftlichen Medizin aus und schädigen Patienten“, heißt es in einem im Jänner 2006 im Journal der Amerikanischen Ärztevereinigung „JAMA“ veröffentlichten Bericht einer Arbeitsgruppe hochrangiger US-Mediziner. Darin fordern die Autoren, darunter ein ehemaliger Herausgeber des „New England Journal of Medicine“ und der Vorsitzende des Verbandes aller Medizinuniversitäten der USA, ein striktes Verbot von Geschenken an Ärzte. Zulässige Toleranz: null.

„Wenn wir ehrlich mit uns sind, wissen wir, dass es nichts umsonst gibt“, schrieb Professor Asmus Finzen, ärztlicher Direktor der psychiatrischen Universitätsklinik Basel im Vorjahr im Fachblatt „Psychiatrische Praxis“. „Zu glauben, dass das allgegenwärtige Sponsoring zu einer unabhängigen Meinungsbildung von uns Ärzten beiträgt, ist Traumtänzerei ... Das Ziel der Gewinnmaximierung konkurriert zwangsläufig mit dem Ziel des medizinischen Fortschritts und, was wichtiger ist, mit dem Patientenwohl.“

Ist die Medizin bereits so korrupt, dass es solcher Sätze bedarf? Haben wir das alle nur nicht bemerkt, weil wir an den herrschenden Zustand bereits so sehr gewöhnt sind, dass er uns gar nicht mehr auffällt? Oder haben die Mediziner in der Realität einfach gar keine andere Wahl, als die Zuwendungen der Pharmaindustrie entgegenzunehmen, weil es sonst kaum medizinische Forschung gäbe und wir zurückfielen „auf das Niveau von Albanien“, wie es der Internist und Onkologe Heinz Ludwig, Vorstand der 1. Medizinischen Abteilung am Wiener Wilhelminenspital, formuliert?

Der Wiener Journalist Hans Weiss, bekannt als einer der Autoren der seinerzeitigen „Bitteren Pillen“, eines Klassikers der kritischen Medizin-Berichterstattung, legt am Montag dieser Woche im Rahmen einer Pressekonferenz ein neues Buch mit dem Titel „Korrupte Medizin – Ärzte als Komplizen der Konzerne“ vor, in dem er minutiös die oft perfiden Tricks beschreibt, welche die Pharmaindustrie anwendet, um Ärzte für ihre Zwecke einzuspannen.

Weiss hatte ungewöhnliche Methoden gewählt, um an brisante Informationen zu kommen. Er absolvierte eine sechsmonatige Ausbildung zum Pharmavertreter und gründete auf dem Papier eine Beratungsfirma für die Arzneimittelindustrie, um sich eine neue Identität zu verschaffen. Mal trat er als Arzt auf, mal als Pharma-Consultant oder als Export-Import-Händler und verwendete außer seinem Autoren- auch seinen Geburtsnamen Johann Alois Weiss, das Pseudonym Peter Merten sowie den erfundenen Firmennamen „Solutions – Pharma-Consulting“.

Visitenkarte, Firmenlogo und der Gebrauch angelernter Fachausdrücke genügten, um ein von Brancheninsidern respektierter Gesprächspartner zu werden. Er nahm an brancheninternen Symposien teil, erhielt Zugang zu diskreten Marketingpapieren, konnte in geheime Studien Einblick nehmen – und testen, wie Klinikchefs auf unethische Studienangebote reagieren. Auf 270 Seiten beschreibt er, was er bei seinen Streifzügen durch die Grauzonen des Metiers erlebte, welche brisanten Unterlagen ihm dabei in die Hände fielen und welche neuen Antworten er aufgrund dieser Erfahrungen auf viele Fragen anzubieten hat, welche die Patienten so brennend interessieren. So etwa die Frage, warum Medikamente teuer sind. Weil so viel in Erforschung und Entwicklung von neuen Wirkstoffen investiert wird, die allen Patienten zugute­kommen, wie es die Pharmaindustrie gerne verkündet? – Mitnichten.

Wenig Innovation. Bei internen Treffen wird offen kritisiert, dass es der Branche an Innovationskraft mangelt und dass vieles, was unter dem Label „Forschung und Entwicklung“ firmiert, in Wahrheit Marketingmaßnahmen sind, die nur den Zweck haben, den Gewinn der Konzerne weiter in die Höhe zu treiben. Eine wichtige Rolle spielt dabei ein ganzes Heer von Marktforschern und Informanten, deren wichtigste Aufgabe es ist, die Verordnungspraxis der Ärzte zu überwachen: Warum verschreiben sie soundso oft dieses eine Medikament und nicht ein anderes? Welchen Einfluss haben Besuche von Pharmavertretern auf die Medikamentenwahl und auf die Zahl der Verschreibungen?

Logisch, dass solche Daten nur mit aktiver Mithilfe der Ärzte zu gewinnen sind. Gern hilft der Arzt dem Pharmavertreter mit ein paar Aufzeichnungen, wenn der seinerseits mit Einladungen zu Kongressen oder Tagungen an attraktiven Schauplätzen samt ebenso attraktiven Zusatzprogrammen winkt. Auf höherem Level, also etwa bei wissenschaftlich tätigen Klinikern, betreiben die Marketingstrategen der Pharmakonzerne so genanntes „Thought Leader Management“. Darunter verstehen sie Bemühungen, die Spitzen des Fachs von den Vorteilen ihres Produkts zu überzeugen und als Meinungsführer bei Fachtagungen und Fortbildungsveranstaltungen zu gewinnen.

Wer wollte einem Unternehmen, das einen nicht unbeträchtlichen Teil der wissenschaftlichen Studien an der Klinik finanziert, den Wunsch abschlagen, die Firma bei Neuentwicklungen zu beraten, einen Sitz in ihrem Advisory Board anzunehmen oder bei von der Firma gesponserten Tagungen oder Fortbildungsveranstaltungen Fachvorträge zu halten?
Die Tatsache, dass ein Wissenschafter derartige Aktivitäten im Dienste eines Pharmaunternehmens entfaltet, muss nicht von vornherein bedeuten, dass er korrupt ist. Aber dass die Grenzen in so einem Fall nur allzu leicht verschwimmen, liegt auf der Hand. „Vom Standpunkt der Medizin und im Interesse der Patienten ist diese Art von Beziehungen zwischen der Pharmaindustrie und Ärzten nicht akzeptabel“, heißt es im Bericht der US-Mediziner im Journal „JAMA“. „Viele Mediziner behaupten, von Geschenken, Honorarzahlungen und anderen Zuwendungen nicht beeinflusst zu werden. Zahlreiche Untersuchungen haben jedoch gezeigt, dass sie dadurch sehr wohl beeinflusst werden.“

Fragt sich nur, ob das nicht bloß eine Minderheit von ärztlichen Meinungsbildnern ist, die im Sold der Pharmafirmen steht? Keineswegs, sagt Weiss. Um herauszufinden, wie viele Mediziner sich klammheimlich für Marketingaktivitäten der Pillenkonzerne einspannen lassen, kaufte der Journalist Studien der US-Firma Cutting Edge Information. Die Firma hatte ihn zum Erwerb der Studien eingeladen, nachdem er seinerseits Informationen an Cutting Edge geliefert hatte. Eine der Studien trägt den Titel: „Richtwerte zur Vergütung der Leistungen ärztlicher Meinungsbildner“ („Thought Leader Compensation: Establishing Fair Market Value Procedures“).

Laut dieser Studie bezahlen große Konzerne weltweit bis zu 16.500 Ärzte dafür, dass sie auf die eine oder andere Art und Weise Firmenbotschaften verbreiten. Und aus einer weiteren Cutting-Edge-Studie mit dem Titel „Pharmaceutical Thought Leaders 2007“ („Pharmazeutische Meinungsbildner 2007: Welchen Marktwert haben sie und wie misst man ihre Profitabilität“) geht hervor, wie viele Ärzte von internationalem Rang auf der Honorarliste großer Konzerne stehen. „Im Durchschnitt sind es pro Firma 259!“, schreibt Weiss.

Selbst die Höhe der Firmenbudgets für Meinungsbildner verrät Cutting Edge. Große Pharmakonzerne geben für „Opinion Leader Management“ im Durchschnitt 61 Millionen Dollar im Jahr aus, die größten bis zu 300 Millionen Dollar. Etwa ein Drittel dieser Summen fließt auf die Konten ärztlicher Stars. Cutting Edge sagt auch unverblümt, was die Investition bringt: Meinungsbildner seien nützlich für das Marketing, damit beeinflusse man das Verschreibungsverhalten von Ärzten in großem Ausmaß.
Wichtig ist, dass man bei all den Beziehungen und Verflechtungen nach außen den Schein der Unabhängigkeit wahrt, denn nur ein ärztlicher Opinion Leader, der als unabhängig und objektiv wahrgenommen wird, ist für die Pharmaindustrie ein gewinnbringender Meinungsbildner. Carl Elliot, Bioethiker an der Universität Minnesota, beschrieb im Dezember 2003 im Internetmagazin „Slate“, welche Strategien die Branche anwendet, um Außenstehenden ein X für ein U vorzumachen: Demnach würden manche Public-Relations-Firmen den Pharmaunternehmen raten, ihre Meinungsbildner auch zu einer Tätigkeit für Konkurrenzfirmen zu ermuntern, „um mit diesem Trick die medizinische Öffentlichkeit in die Irre zu führen und den Anschein von Unabhängigkeit zu wahren“.
Was bekommen die Stars für ihre Marketingtätigkeit, was die nachgeordneten Ärzte?

Stundensätze. Im Jahr 2007 erhielt Cutting Edge von den Konzernen zum ersten Mal alle notwendigen Informationen, um in zwei Studien auf insgesamt 430 Seiten die Stundensätze und sonstigen Vergütungen für verschiedene Kategorien von Meinungsbildnern darzustellen. Weil es sich dabei um für den US-Markt geltende Sätze handelt, sind sie in US-Dollar angegeben. Laut Weiss könne man aber davon ausgehen, dass die Sätze für Europa ähnlich sind und daher dem Euro-Gegenwert entsprechen.

Auf Rang eins stehen Meinungsbildner von globaler oder nationaler Bedeutung mit einem Stundensatz von maximal 3000 und durchschnittlich 578 Dollar. Auf Rang zwei sind es Meinungsbildner von nationaler oder regionaler Bedeutung mit einem Stundensatz von maximal 2500 und durchschnittlich 385 Dollar. Das geht in Stufen weiter bis zum Rang fünf – Meinungsbildner von lokaler Bedeutung mit einem Stundensatz von maximal 300 und durchschnittlich 184 Dollar. Cutting Edge listet die Stundensätze noch weiter nach Fachgebieten auf. Die bestbezahlten ärztlichen Meinungsbildner sind demnach die Magen-Darm-Spezialisten auf Rang eins mit einem Stundensatz von durchschnittlich 900 Dollar, gefolgt von ­Orthopäden (800) und Neurologen bzw. Psychiatern (687 Dollar). Im Durchschnitt aller Kategorien von eins bis fünf bringt das Verfassen eines Manuskripts 3726 ­Dollar, die Zusammenfassung einer wissenschaftlichen Publikation (Abstract) 3725 Dollar, der Vorsitz eines Advisory Board 3664, die Teilnahme an einem Advisory Board 2940 Dollar, ein wissenschaftlicher Vortrag 3145 Dollar und ein Vortrag bei einer Marketingveranstaltung 2111 Dollar.

Buchautor Weiss hatte von einem Brancheninsider detaillierte Unterlagen des US-Pharmakonzerns Eli Lilly erhalten. Darin werden die Vermarktungsmethoden für Zyprexa beschrieben, ein Medikament, das von Psychiatern zur Behandlung von Schizophrenie und manisch-depressiven Erkrankungen eingesetzt wird. „Zyprexa ist ein Lehrbeispiel dafür, mit welchen Tricks, … und Manipulationen es ein Pharmakonzern schafft, ein Medikament mit beträchtlichen Nebenwirkungen auf der ganzen Welt erfolgreich zu vermarkten und damit viele Milliarden zu verdienen“, schreibt Weiss.

In seinem Buch werden mehr als zwei Dutzend Namen von Medizinern samt genauen Daten angeführt, wo und wann die Betreffenden das Medikament Zyprexa auf Veranstaltungen von Eli Lilly gepriesen haben, darunter auch eine Ärztin der Wiener Medizinuniversität. Aufschlussreich sind die von Weiss präsentierten internen Unterlagen hinsichtlich der Strategien, Ärzte in ihrem Verschreibungsverhalten zu beeinflussen. Die größte Wirkung erziele man, heißt es dort, wenn man Mediziner dafür bezahle, andere Ärzte zu beeinflussen.

Wichtige Ärzte wurden unter dem Titel „Fortbildung“ regelmäßig übers Wochenende in Gruppen von 200 Personen in luxuriöse Hotels eingeladen und mit allerlei attraktiven Nebengeräuschen verwöhnt. So bat Eli Lilly beispielsweise Mediziner aus Österreich und Deutschland im Februar 2002 für vier Tage ins Strandhotel Estoril Sol nahe Lissabon. Für Ärzte mit geringerem Verschreibungspotenzial genügten kleinere Veranstaltungen. „Darüber hinaus verpflichtete Eli Lilly einflussreiche Ärzte gegen hohe Honorare zur Teilnahme an ,Advisory Boards‘“, schreibt Weiss in seinem Buch.

Bei derartigen Marketingmaßnahmen ist der Produktpreis ein spannender Punkt. Zyprexa war von Anfang an eine Hochpreispille, etwa zehnmal so teuer wie herkömmliche Schizophrenie-Mittel. Für die Jahresdosis eines Patienten, so errechnete Weiss, müsse die Kasse 4850 Euro berappen, der Wirkstoffpreis betrage aber nur 8,50 Euro. „So erklärt sich das Geheimnis, warum ein Konzern wie Eli Lilly jährliche Gewinnraten von über 20 Prozent schreibt und warum die Krankenkassenbeiträge Jahr für Jahr steigen“, heißt in dem Buch.

Was also tun?
Rigorose Maßnahmen. Die Arbeitsgruppe amerikanischer Ärzte weist in ihrem Bericht im Journal „JAMA“ darauf hin, dass sich alle freiwilligen Selbstkontrollen – ob seitens der Ärzte oder seitens der Pharmaindustrie – als unzulänglich erwiesen haben, um die Interessen der Patienten zu schützen. Daher fordern die Experten ein Bündel rigoroser Maßnahmen: Zur Unterbindung derzeitiger Praktiken sollten medizinische Universitäten strenge Regeln und sogar Verbote erlassen. Alle Geschenke an Ärzte sollten – mit einem Limit von null Dollar – verboten werden, weil sie in den meisten Fällen negative Auswirkungen auf die medizinische Versorgung haben. Die direkte Abgabe von Medikamentenmustern an Ärzte sollte verboten werden, weil das zur Verwendung von teuren Medikamenten verführt, die nicht wirksamer sind als andere. Ärzte mit finanziellen Verbindungen zur Pharmaindustrie sollten von allen Gremien verbannt werden, in denen Empfehlungen für Medikamente ausgesprochen werden.

Zahlungen und Unterstützungen der Pharmaindustrie für spezifische ärztliche Fortbildungsinstitutionen oder -kurse sollten verboten werden. Mit der Durchsetzung dieser Maßnahmen „würde die Medizin zeigen, dass bei ihr die Interessen der ­Patienten an erster Stelle stehen“, schrieben die US-Autoren – ein Appell, der nicht ohne Wirkung blieb. Denn inzwischen verabschiedete der Verband medizinischer Universitäten in den USA auf diesen Vorschlägen basierende Richtlinien und forderte alle 125 Verbandsmitglieder auf, diese so rasch wie möglich in die Praxis umzusetzen. Dies sei notwendig, damit medizinische Entscheidungen unbeeinflusst bleiben und um zu verhindern, dass bei Medizinern, Medizinstudenten und in der Öffentlichkeit der Eindruck entstehe, dass Ärzte von der Pharmaindustrie „bestochen“ oder „gekauft“ werden. Unterdessen wurde im Internet eine frei zugängliche Datenbank eingerichtet, aus der ersichtlich ist, welche US-Universitäten diese Forderung bereits umgesetzt haben. Anfang September 2008 waren es bereits 25. Allerdings werden in den USA medizinische Studien nicht allein von den Pharmaunternehmen finanziert, sondern auch von Regierungsstellen wie den National Institutes of Health (NIH), der größten Medizinforschungseinrichtung der Welt, sowie von anderen öffentlichen und privaten Geldgebern oder Stiftungen.

Weiss führt die beklagenswerten Zustände in der Medizin allerdings auch auf das Versagen der Politik zurück. So lasse man die Pharmabranche – ähnlich wie bis vor Kurzem die Finanzbranche – schalten und walten, wie es ihr beliebt. Warum, so fragt sich Weiss, „wird beispielsweise die europäische Zulassungsbehörde für Arzneimittel (EMEA) zu zwei Dritteln von der Pharmaindustrie finanziert? Und warum hat die EU bis jetzt kein Interesse daran, einige der vielen Milliarden, die sie in den agrarindustriellen Bereich steckt, für pharmaunabhängige Studien auszugeben?“

Doch langsam scheint sich auch in Europa ärztlicher Widerstand gegen den Würgegriff der Pharmabranche zu etablieren. Einige Organisationen wie die bayrische und die Berliner Ärztekammer, das Deutsche Cochranezentrum und die Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft trachten, der Medizin wieder jene Unabhängigkeit zu verschaffen, die sie als hehres Prinzip auf ihre Fahnen geschrieben hat. Und immer mehr werbefreie Fachpublikationen versuchen, den Patienten industrieunabhängige Informationen zu bieten, so etwa das „arznei-telegramm“, der „Arzneimittelbrief“, die „Pharmainformation“ und vor allem die im Jahr 2006 gegründete Initiative MEZIS („Mein Essen zahl ich selbst – Initiative unbestechlicher Ärztinnen und Ärzte“, www.mezis.de).

In Österreich gilt seit 1. Jänner ein neues Korruptionsstrafrecht, das die Strafbarkeit der Geschenkannahme und Bestechung erheblich ausweitet und verschärft. Ende Oktober richtete der Rektor der Wiener Medizinuniversität, Wolfgang Schütz, ein Rundschreiben an alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Universitätskliniken und Organisationseinheiten, in dem er von der Rechtsabteilung der Universität erarbeitete Richtlinien gemäß der neuen Gesetzeslage festlegt, „deren Beachtung zur Vermeidung von Korruptionsvorwürfen dringend empfohlen wird“.

Ausdrücklich nennt das Schreiben die Problemzonen Reisekostenübernahmen, Zuwendungen für Festveranstaltungen, Wissenschaftssponsoring, Teilnahme an Kongressen, Tagungen, Meetings etc., wo ein den Bestimmungen widersprechendes Verhalten das Korruptionsdelikt „Geschenkannahme durch Amtsträger“ erfüllen würde, weil die Beschäftigten der Universität unter die Strafbestimmungen für den öffentlichen Sektor fallen.

Ausnahmen. Laut den neuen Richtlinien sind künftig direkt an einen Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin gerichtete Einladungen abzulehnen und die einladende Firma darauf hinzuweisen, dass sie diese an die Klinik oder eine Organisationseinheit zu richten hätte, wo sie dann intern vergeben werden. „Wird die Einladung seitens der Mitarbeiterin oder des Mitarbeiters zunächst angenommen und dann erst pflichtgemäß an die Universitätsklinik bzw. Organisationseinheit weitergeleitet, ist der Tatbestand der unerlaubten Geschenkannahme bereits erfüllt und besteht das Risiko einer strafrechtlichen Verfolgung.“

Einladungen auf Kongresse und Tagungen dürfen nur dann von einem Mitarbeiter angenommen werden, wenn er dafür eine Gegenleistung, etwa in Form von Vortragstätigkeit oder Vorsitzführung, erbringt. Dann darf die einladende Firma auch die Reise- und Hotelkosten übernehmen. Ausdrücklich ausgenommen aus den neuen Bestimmungen ist die Annahme so genannter Drittmittel, das sind vielfach von der Pharmaindustrie bereitgestellte Mittel für konkrete Forschungprojekte oder medizinische Studien. Denn ohne diese Finanzflüsse könnten die Kliniken ihren Forschungsbetrieb nicht weiter aufrechterhalten.

Aber eines ist schon jetzt gewiss: Durch die neuen Bestimmungen und Richtlinien wird vielen der bisher üblichen Praktiken der Boden entzogen. Es sei denn, die Strategen der Pharmaindustrie entwickeln völlig neuartige Wege der Beeinflussung, um ihren Interessen doch noch zum Durchbruch zu verhelfen.

Von Robert Buchacher