Nick Cave verarbeitet in seinem neuen Album das Trauma eines familiären Todesfalls.

Traumadeutung: Nick Caves neues Album

Nick Cave stellt bei den Filmfestspielen in Venedig sein neues Album in 3D-Kinoform vor – und bleibt ihnen fern.

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Als Dokument einer tiefen Lebenskrise erscheint „One More Time With Feeling“ ausgesprochen ambivalent: ein hochstilisierter 3D-Essayfilm in assoziativer Montage und gleißendem Schwarzweiß, ein von Verzweiflung durchdrungenes Event-Movie, ein elaboriertes Promo-Video über die (Trauer-)Arbeit eines weltberühmten Singer-Songwriters nach einem traumatisierenden Ereignis.

„One More Time With Feeling“ ist die erste künstlerische Botschaft, die der australische Musiker Nick Cave nach dem Drogen-Unfalltod seines 15-jährigen Sohns Arthur im Sommer 2015 nun wie eine elektronische Flaschenpost an die Außenwelt sendet; dabei präsentiert er nicht nur erstmals die Songs seines demnächst erscheinenden Albums „Skeleton Tree“, sondern spricht aus dem Off auch eine Reihe von Selbstbefragungen, lyrischen Betrachtungen und kleinen autobiografischen Erzählungen ein, gemischt mit ruhigen Szenen von der Entstehung der Musik in einem weitläufigen Studio in Brighton. Im Rahmen der 73. Filmfestspiele in Venedig kam der Film nun in einer exklusiven Preview zur Uraufführung – selbstverständlich in Abwesenheit des Künstlers, der lieber das Podium dieser Produktion gewählt hat, um eine Momentaufnahme seines Innenlebens zu gewähren, als sich persönlich dem Festivalzirkus, dem öffentlichen Mitleid auszusetzen und auf quälende Journalistenfragen zu antworten.

Sichtlich zögernd, an sich und der Sinnhaftigkeit des technischen Aufwandes um ihn herum zweifelnd („this ridiculous black and white 3D camera“), lässt sich Cave in diesem Film auf eine Reihe von Interviews ein, als schuldete er der Welt eine Erklärung zum Zustand seiner Psyche und seiner Kunst. Der australische Regisseur Andrew Dominik („Die Ermordung des Jesse James durch den Feigling Robert Ford“, 2007), ein alter Freund, den Cave gebeten hat, dieses Projekt umzusetzen, wagt sich an das eigentlich doppelt unmögliche Unterfangen, die kaum in Worte, Bilder oder Töne zu fassende Erschütterung über den Verlust eines Kindes zu thematisieren – und so etwas wie Authentizität in den Worten eines professionellen Poseurs, eines deutlich zur Selbststilisierung neigenden Künstlers zu finden.

Nick Cave glaube nicht mehr an die Erzählung, nur noch an narrative Bruchstücke und komprimierte Zeitabläufe.

Aber das Unterfangen gelingt, wenn auch der Musik selbst Caves Schaffenskrise anzumerken ist; das im Werk dieses Performers seit je präsente hohe Pathos wird in manchen Momenten bis an den Rand des Kitsches überdehnt. Für die erste Single, die grandios vor sich hin schwelende und schleifende Drone-Komposition „Jesus Alone“, gilt dies entschieden nicht. An die angeblich gute Kunst, an die erhöhte kreative Qualität, die sich dem Klischee zufolge aus dem Leiden ergebe, glaube er nicht, sagt Cave an einer Stelle. Und er glaube nicht mehr an die Erzählung, nur noch an narrative Bruchstücke und komprimierte Zeitabläufe.

Zu den berührendsten Szenen dieses Films gehören die Auftritte von Caves Ehefrau Susie und Sohn Earl, auch sie sehr gefasst, aber gezeichnet von der Tragödie, die sie ereilt hat. „One More Time With Feeling“ ist ein Monument der Kreisformen, gebaut aus repetitiven Melodien, rotierenden Worten und einer Studioszenerien umrundenden Kamera. Und Cave gesteht, dass er die Zeit seit Arthurs Tod anders sehe - als elastisch, als Instrument, das ihn immer wieder zurück an den Moment der Erschütterung führe: Wie an einem Gummiband sei er an den Moment des Todes seines Kindes gebunden, schnelle regelmäßig zurück zu jenem Tag, jenem Ereignis, um das eine Art Feuerkreis zu lodern scheint, der das Grauen umschließt und zur Sperrzone macht. Susie und er hätten schließlich beschlossen, trotz allem glücklich sein zu wollen – und der Welt mit Freundlichkeit zu begegnen. Auch wenn es in diesem Film nicht so aussieht, als wäre der Entschluss leicht umzusetzen: Es habe sich, sagt Nick Cave am Ende noch, angefühlt wie eine Rache.

Die Musik zum Album „Skeleton Tree“ von Nick Cave & The Bad Seeds wird es in Österreich erstmals am 8. September im Rahmen einzelner Kinovorstellungen von „One More Time With Feeling“ zu hören geben.

Wien: Filmcasino, Gartenbaukino und UCI Kinowelt Millennium City St. Pölten: Cinema Paradiso Linz: City Kino und Moviemento Innsbruck: Cinematograph und Leo-Kino

Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.