Christian Rainer: Am Ende des Regenbogens

Vergangene Woche sprach ich vor den Studenten des FH-Campus Wien. Hier die Rede in gestraffter Form.

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„Am Ende des Regenbogens.“ Das ist der Titel, den ich Professor Peter Grabner schnell lieferte, als er mich fragte, worüber ich denn hier nachdenken würde. Da werden Sie andere Assoziationen haben als ich, geboren 1961. „Das Ende der Willkommenskultur, das Ende der politischen Lager, das Ende des Sozialstaates. Vieles scheint am Ende, ein Niedergang nicht mehr aufzuhalten. Wo bleiben Hoffnung und Zuversicht. Wäre der Goldschatz am Ende des Regenbogens einfach nur zu heben und vor allem – an welchem Ende?“ So formulierte es Grabner, prima vista durchaus im Sinne des von mir Geäußerten.

Und dennoch: „Und Jimmy ging zum Regenbogen“, das ist ein Buch von Johannes Mario Simmel, und daran dachte ich, als ich einen Titel suchte. Es wurde 1970 veröffentlicht und 1971 verfilmt. Von Simmel gab es für mich auch noch: „Liebe ist nur ein Wort“. Für einen Zehnjährigen barg der Autor die Versprechung, etwas über Liebe und vielleicht auch einen Hauch von Pornografie zu erfahren. Vor allem aber war der Regenbogen ein Versprechen: ein Versprechen, dass da eine persönliche und zugleich gemeinsame Zukunft, in jeder Hinsicht mit Neugier aufgeladen, auf uns wartete. Das machte also nicht nur mich pubertär nervös, sondern war auch ein Bildgeber für eine Gesellschaft: Es ging um viel mehr als um einen Schatz am Ende des Regenbogens, da ging es ums Ganze, um ein zu realisierendes Märchen für jeden. Jedenfalls für alle in der westlichen Welt, die für uns zu überblicken war.

Dieser Optimismus ist verwunderlich, weil wir Anfang der 1970er-Jahre nur 25 Jahre nach dem größtmöglichen Horror lebten, dem Zweiten Weltkrieg. In meinem Heimatort Ebensee stand ein Wegweiser mit der Aufschrift „KZ-Friedhof“. Aber vielleicht machte uns und vor allem unsere Eltern genau die Flucht vor dieser Erinnerung zu vorwärtsgewandt strebend hoffenden Menschen.

Der Optimismus wundert auch, weil Österreich in Schlagdistanz und Wien in Sichtweite der gefährlichstdenkbaren Grenze lag. Aber diese Bedrohungsszenerie und die Sackgasse, in der wir uns geografisch und geopolitisch befanden, machte uns nicht ängstlich und deprimiert, sondern auseinandersetzungsbereit und aktivitätsgetrieben. Zusammengefasst: Der Regenbogen war ein flirrendes, der Gegenwart Werthaltigkeit gebendes Gebilde. Wir fragten nicht nach dem Schatz, nicht nach einem Beginn oder nach dem Ende.

Der Regenbogen war ein flirrendes, der Gegenwart Werthaltigkeit gebendes Gebilde. Wir fragten nicht nach dem Schatz, nicht nach einem Beginn oder nach dem Ende

45 Jahre später: Der Eiserne Vorhang ist eingeschmolzen worden und zwar zu Pflugscharen, doch die Österreicher sehen in der friedlich siegreich gebliebenen NATO eine amerikanische Kampfmaschine. Seit 70 Jahren hat kein Krieg Westeuropa beschädigt, doch die Europäer halten das Friedensprojekt Europäische Union für gescheitert, für verzichtbar, für vernichtbar. Der durchschnittliche Reichtum und auch der individuell beim Einzelnen gemäß Verteilungskurve angekommene Wohlstand hat sich weit über das Lebensnotwendige hinaus zu einer Sorglosgesellschaft vervielfacht. Doch die FPÖ liegt mit 35 Prozent um zehn Prozentpunkte vor der Sozialdemokratie. In Berlin geht die AfD von null auf 14 Prozent. Bei der Präsidentschaftswahl, wiederum in Österreich, werden die beherrschenden politischen Lager der Republik endgelagert.

Was ist geschehen?

Ich durfte unlängst bei einer Medien-Konferenz in Potsdam das Wort ergreifen. Dort war diese Frage eine zentrale Frage: Was hat wider das von mir geschilderte Szenario zur Fragmentierung Europas geführt und was zur Fragmentierung des politischen Spektrums? Ich erlaubte mir, das Wort „Fragmentierung“ aufzugreifen, es seiner Abstraktheit zu entkleiden und es auf die Anwesenden anzuwenden. So viel steht nämlich fest: Vor jeder politischen Fragmentierung heute kam die Fragmentierung der Blase von der Masse – die Absonderung der politischen und der medialen Blase von den Menschen. Wir waren nicht fähig zu kommunizieren, nicht über Migration, nicht über die Türkei, nicht über Europa.

Ich habe unlängst über Christian Kern geschrieben: „Populismus kann auch bedeuten, das Ohr näher beim Mund des Volkes zu haben als beim eigenen Gehirn.“ In Abwandlung dessen, in der Bezeichnung des anderen Extrems sagte ich in Potsdam: „Wohlmeinende Journalisten und verantwortungsschwangere Politiker hatten das Ohr näher am eigenen Gehirn als beim Wollen des Volks. Das erscheint zwar anatomisch naheliegend, ist aber in der Funktionalität nicht so vorgesehen.“

Aber wie nun – auf Österreich runtergebrochen: Waren wir zu akademisch oder zu populistisch, zu sehr Merkel oder zu sehr Kern? Oder vielleicht zu spät, nämlich zu spät Sebastian Kurz? Österreich jedenfalls wollte es wie üblich allen recht machen: Erst Regenbogenfarben, jetzt Paragrafenschwärze. Erst Willkommenskultur, nun Notverordnung. Erst waren wir Merkels Schoßhund, jetzt sind wir Orbáns Wiedergänger. Man kann das „recht machen“ nennen. Man kann es auch als „immer kurz währende Neutralität“ bezeichnen. Oder man sagt ganz einfach: Es ist „Opportunismus“.