Christian Rainer: Das Böse wird gewinnen

Christian Rainer: Das Böse wird gewinnen

Christian Rainer: Das Böse wird gewinnen

Drucken

Schriftgröße

Zu Ende der vergangenen Woche keimte mit dem wachsenden Mitgefühl für die Flüchtlinge auch so etwas wie Hoffnung auf, wonach das Ganze doch noch einen guten Ausgang nehmen würde. Aber ich denke, diese Hoffnung ist trügerisch. Ich denke, es wird in Europa zu einem Wettlauf kommen: zwischen der Eindämmung des Flüchtlingsproblems und dem Anwachsen von Fremde ablehnenden Bevölkerungsgruppen. In weiten Teilen Europas und zuvorderst in Österreich wird die Fremdenfeindlichkeit und damit der zugehörige Parteienabschaum diesen Wettlauf gewinnen. (Übrigens, Frau Stenzel: Schäm dich, schäm dich, schäm dich!)

Warum keimt überhaupt Hoffnung auf? Warum meinen viele, die Stimmung sei gekippt? Genau deshalb: Weil die Stimmung gekippt ist. Das ist freilich ein oberflächliches Phänomen. Angesichts der herzzerreißenden Bilder aus Ungarn, des angeschwemmten toten Kindes, das wir auf dem Cover zeigen (Wie viel Borniertheit braucht es, um für eine Unterdrückung dieses Fotos zu argumentieren?), bedürfte es vieler Liter kalten Blutes, damit keine menschliche Regung zutage tritt. Anzunehmen freilich, dass gerade jene zum Stimmungsumschwung neigen, die habituell ohnehin bei allem Fremden, Andersdenkenden, Andersglaubenden Stimmung zeigen. Wenn auch andere.

Mit Stimmung ist keine Meinung zu machen.

Strache brauche gar nichts zu tun, müsse nur zuwarten, heißt es schon seit Jahren. Spätestens jetzt ist dieser Automatismus Tatsächlichkeit geworden.

Ich fürchte, so müssen auch die Solidaritätsbekundungen am Wiener Westbahnhof und anderswo gewogen werden: ephemere Phänomene, die neben den paar tausend üblichen braven Verdächtigen nicht allzu viele Österreicher inkludieren. Bloß in der Vergrößerung erscheint das wie eine Volksbewegung. Zumal das veröffentlichte Bild kaum eine Blaupause der Realität darstellt. Neben der Bundesregierung, die plötzlich auf Kuschelkurs eingeschwenkt ist, haben die Massenmedien beschlossen, selbst Politik zu machen. Der ORF zeigt Suppenküchen in Heimatfilmästhetik. Der Boulevard, eben noch Sprachrohr des Mobs oder der Masse (falls da ein Unterschied besteht), präsentiert Flüchtlingsschicksale. Sogar die Wissenschaft in Person des Chefs im Wirtschaftsforschungsinstitut lässt sich instrumentalisieren und insinuiert ernsthaft, die Asylwerber könnten eins zu eins von der Nachfrage am Arbeitsmarkt aufgesaugt werden.

Gäbe es nicht so viel Leid und so viele Tote, würde ich diese Stimmungslage als Kitsch bezeichnen.

Zumal. Zumal zeitgleich mit jedem dieser ikonischen Bilder auch der Zuspruch zu ausländerfeindlichen Parteien wächst. Ein prallvoller Zug am Budapester Bahnhof plus ein erbarmungswürdiger Zug von Flüchtlingen zu Fuß in Richtung Österreich – macht zwei Zehntelprozentpunkte für Strache. Das ist kein Widerspruch, das bedarf keiner gespaltenen Wählerpersönlichkeit. Mitgefühl kommt auf und es nutzt sich ab und es geht (vielleicht ohnehin nur bei wenigen); die grundlegende Einstellung gegenüber den Fremden wird mit vielen Fremden aber nicht besser; wenn sie ohnehin grundlegend schlecht ist, wird sie grundlegend viel schlechter.

Strache? Ich habe weiter oben geschrieben: „Die Fremdenfeindlichkeit und damit der zugehörige Parteienabschaum wird diesen Wettlauf gewinnen.“ Die Reihenfolge ist wichtig: Vor Jahren, für Jörg Haider etwa, wäre es umgekehrt gewesen, damals erzeugte die FPÖ die Xenophobie. Jetzt ist es anders. Jetzt zeugt die Fremdenfeindlichkeit wie von selbst immer neue Wähler für die Freiheitlichen. Strache brauche gar nichts zu tun, müsse nur zuwarten, heißt es schon seit Jahren. Spätestens jetzt ist dieser Automatismus Tatsächlichkeit geworden.

Deutschland und einige andere Staaten werden den Wettlauf gegen die Zeit gewinnen.

All das besonders hier. Im Gemenge der europäischen Demokratien war Österreich immer besonders anfällig für dumpfes Denken und dessen trübe Auffangbecken. 30 Prozent in den Umfragen und die aktuell bei Weitem größte Partei im Land, eine derartige rechtsextreme Partei ist einzigartig im Westen; das kann Frankreich mit seinen Ghettos, mit zugehöriger Kriminalität und ungleich komplexeren Einwandererstrukturen bei landesweiten Wahlen nicht aufbieten.

Deutschland und einige andere Staaten werden den Wettlauf gegen die Zeit gewinnen. Da wird die Normalisierung einer Einwanderungslandbefindlichkeit schneller eintreten, als die Bewegung zur Destabilisierung der Demokratie Geschwindigkeit aufnimmt.

Aber Österreich? In der Steiermark hatten die Bilder von ein paar Zelten als Wahlmotiv ausgereicht, um die FPÖ nach oben zu schwemmen, lange bevor das kleine Chaos zur großen Katastrophe wurde.

Und jetzt Wien. Wird Wien die erste westlich geprägte Weltstadt sein mit einer rechtsextremen Mehrheitspartei? Die Chancen stehen fifty-fifty. Das alleine ist eine hundertprozentige Katastrophe.