Leitartikel: Christian Rainer

Christian Rainer: Eine Volkspartie

Eine Volkspartie

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Man soll bei Gestrauchelten nicht nachtreten. Man soll über Abgetretene nur Gutes sagen. Das gebietet der Anstand. Erlauben Sie mir, mich anstandslos zu verhalten! Michael Spindelegger hat sich uns und dem Land gegenüber respektlos verhalten. Daher hat er sich keinen Respekt verdient.

„Ehrlichkeit gegenüber den Menschen ist mir besonders wichtig.“ Das sagte Spindelegger bei der Pressekonferenz, die er einberufen hatte, um seinen bereits bekannt gewordenen Abschied bekannt zu machen. In diesem ereignislosen Ereignis rann ein letztes Mal alles zusammen, was der Parteichef in seiner Zeit – formal fast an der Spitze der Republik – verkörpert hatte: Unfähigkeit zur Kommunikation, schlechtes Benehmen, Inkompetenz, Unehrlichkeit. Seine mangelnde Mitteilungskompetenz äußerte sich an jenem Dienstag ausdrucksstark, indem er, den Bedeutungsinhalt von „Pressekonferenz“ negierend, keine Fragen zuließ. Die „gute Kinderstube“, ein Schlüsselwort im Wertekanon der Volkspartei, verleugnete er, indem er schlecht über seine Parteifreunde sprach. Im Abschiednehmen zeigte Spindelegger mit dieser skurrilen Inszenierung noch einmal seine Unfähigkeit auf dem politischen Center Court: bei der Darstellung von Inhalten und der eigenen Person. Die „Ehrlichkeit gegenüber den Menschen“ sei ihm besonders wichtig? Da wunderten sich nicht nur jene, die sich fragten, wem gegenüber Spindelegger denn sonst noch ehrlich zu sein gedachte.

Ja, wir bei profil hatten besonders wenig Freude mit Michael Spindelegger. Der Vizekanzler und seine Entourage pflegten zwar einen amikalen, bisweilen schmeichlerischen Ton im Umgang mit diesem Magazin. Ich kann mich nicht erinnern, dass Spindelegger mir persönlich jemals auch nur angedeutet hätte, was er wirklich über uns denkt: wie wenig er uns mag, warum er uns verachtet, dass er uns vor allem niemals verzeihen würde, was wir über den privilegierten Wechsel seiner Ehefrau von einem EU-Job in Brüssel nach Wien berichtet hatten. All das hörten wir nur, weil Spindelegger sich an allen Ecken beschwerte. „Ehrlichkeit“ nennt er das wohl.

Recht rührend daher auch Spindeleggers Plan, profil als Medium zu negieren. Bei den regelmäßigen Versicherungen, er werde uns selbstverständlich ein Interview geben – sei es vor den Wahlen, sei es wegen dieser oder jener Krise –, mussten wir bisweilen bitter lachen. Er hielt seine Versprechen nie. Wäre er nicht zurückgetreten, dann hätten wir in den nächsten Wochen zwei weiße Seiten publiziert mit der Überschrift: „Hier das vom Finanzminister versprochene Interview“. Der ORF und einige Zeitungen wissen Ähnliches zu berichten. Er nennt das wohl „Ehrlichkeit“. Ich nenne es Verschlagenheit.

Gefährlicher als Spindeleggers Umgang mit den Medien war jedoch sein Verhältnis zum Land. Da ging es nicht um ihn, nicht um seine und unsere Eitelkeiten. Da steht das Fortkommen von acht Millionen Menschen auf dem Spiel.

Und da führt sich das ganze Gerede ad absurdum, er habe sich letztlich im heldenhaften Widerstand gegen neue Schulden und zum Wohl des Landes geopfert. Spindelegger war schon der Job des Außenministers herzlich egal, jedenfalls im Verhältnis zu seinen parteipolitischen Agenden. So sah diese Außenpolitik denn auch aus; ein Vergleich mit Sebastian Kurz macht sicher. Dass er aus machtpolitischem Kalkül ins Finanzministerium wechselte, wiegt aber Tonnen schwerer: ohne jede Erfahrung und bar allen Fachwissens, als Teilzeitjob neben Partei und Vizekanzlerschaft, mitten in einer globalen Finanz- und einer europäischen Bankenkrise, mit dem komplexen Fall Hypo auf der To-do-Liste. Als hätten vier Laien in zehn Jahren – Grasser, Molterer, Pröll, Fekter – im wichtigsten Amt des Staates nicht längst den Dilettantismus zur Volkswirtschaft erhoben. Spindelegger nennt sicher auch das „Ehrlichkeit“. Ich nenne es Sachbeschädigung.

Jetzt also Reinhold Mitterlehner. Was wird kommen?

Ich denke, es wird besser werden: nicht nur, weil es nicht schlechter werden kann, nicht nur, weil eine Verschlechterung Heinz-Christian Strache ins Kanzleramt spülen würde. Mitterlehner ist viel mehr als ein Lückenbüßer. Er verfügt über ökonomisches Können, ist dennoch im politischen Geschäft groß geworden, kann öffentlich auftreten und will kommunizieren.

Warum wird Mitterlehner dann erst jetzt, was er wird? An den Fähigkeiten liegt’s nicht. Das bewies im Umkehrschluss Spindelegger. Mitterlehner hatte keine ausreichend ambitionierte Lobby, gehörte zum falschen Bund, ins falsche Bundesland. Die falsche Partie in der Partei. In der Logik der Volkspartei kann das jetzt ein Vorteil sein.

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