Christian Rainer: K-Day!

Feindbild Kurz. Der Außenminister als Rechtsaußen. In der Sache kann man ihm wenig am Zeug flicken. Wo dann?

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K-Day! Darauf hatte das Land lüstern gewartet. Wann stolpert Sebastian Kurz, wann macht er seinen ersten Fehler? Der Lack muss ab, ab muss der Sack! Zukunft ist, wenn dem Partner Zukunft genommen wird, das hatte sich die SPÖ gedacht. Besser alle sind in Verschiss als einer im Licht, so das elfte Gebot der Christdemokraten. Derart funktioniert Politik im Jahr neun der Großen Koalition neuen Stils.

Kurz in der Kritik. Nein, er ist nicht gestolpert, er ist zu schnell, als dass ihm jemand ein Haxl hätte stellen können.Die registrierten und die heimlichen Gegner liegen ja weit hinten. Aber er schlittert grade mit dem selbst gewählten Tempo auf seiner politischen Bahn. Wir stellen fest, dass eingetreten ist, was wir immer ahnten: Wenn Sebastian Kurz in Probleme geraten sollte, dann nicht durch Fahrlässigkeit oder Zufall. Ein Kurz entscheidet selbst, ob er Trouble will, seine Probleme sind Programm.

Oder so ähnlich.

Was ist geschehen? Der Außenminister ist über seine Haltung zur Flüchtlingsfrage ins Feuer gekommen. Die Sozialdemokratie verortet ihn „rechts der CSU“. „Falter“-Herausgeber Armin Thurnher nennt ihn in einem Atemzug mit Viktor Orbán, der „Standard“ einen „Rechtsabbieger“. Die öffentliche Meinung sieht ihn nun als „Hardliner“. Nicht nur in den Bobo-Bezirken der Hauptstadt, auch dort, wo eben noch „härtere Gangart“ gefordert worden war, wird Kurz nun tadelnd einer „Stahlhelmfraktion“ zugerechnet. (So konsequent qualifiziert die österreichische Seele.) Wahlweise agiert der Minister, wie er agiert, weil er sich in der ÖVP „dort positionieren will“ oder weil man ihn „dort positioniert hat“ oder weil er „wahrscheinlich!“ wirklich so denke. Manche registrieren die Wandlung (oder doch nur die Offenbarung?) des Wunderbuben mit wohligem Schauer. Manche mit ehrlichem Ekel: Vor wenigen Wochen kam ich neben einem sozialdemokratischen Regierungsmitglied zu sitzen, das sich mit nachgerade körperlicher Abscheu über Kurz äußerte.

Doch was ist das Tatsachensubstrat? Es ist dürftig. Beim Nachschlagen finden wir Zitate. Am vergangenen Donnerstag sagte der Minister etwa: „Die Flüchtlingssituation ist außer Kontrolle.“ Das ist die Wahrheit. Der Satz unterscheidet sich in diesem Wahrheitsgehalt scharf vom Stammeln der irrfahrenden Innenministerin und in der Realitätsnähe vom Beschwichtigungsschwafeln der Linken.

Eine gute Woche davor hatte Kurz gemeint, man solle die Flüchtlinge zu „Wertekursen“ verpflichten, denn sie hätten „andere Wertevorstellungen, sind mit unseren Wertvorstellungen nicht vertraut“. Ich zweifle an der Wirksamkeit solcher Schulungen, aber die Einschätzung ist richtig; es ist auch notwendig, das auszusprechen. Da muss man nicht unbedingt gleich katholische Bigotterie riechen.

Was mit Kurz gerade passiert, basiert weniger auf seiner politischen Verortung als auf den Eigenschaften, mit denen er erfolgreich ist.

Vor allem sind es aber die Aussagen zur Abschottung Europas, die Kurz dorthin gebracht haben, wo er nun steht. So sagte er: „Wir müssen die Grenzen (Anm.: die Schengen-Außengrenzen) sichern und die Flüchtlinge stoppen. Wenn das jetzt nicht gelingt, dann kommen nächstes Jahr doppelt so viele.“ Das schlägt hart auf, erscheint aber tendenziell richtig. Die Hoffnung auf ein Versiegen des Flüchtlingsstroms hat sich jedenfalls nicht erfüllt. (Als ich im Sommer schrieb, heuer würden an die 100.000 Asylwerber in Österreich landen, glaubte das niemand. Jetzt sind die Zahlen – Familiennachzug eingerechnet – gesichert.) Und inzwischen ist es doch längst Mainstream, dass nur ein Wissen um Schwierigkeiten bei der Einreise in den Schengen-Raum – anstelle der allzu offenen Einladung durch Angela Merkel – Flüchtlinge davon abhalten kann, Syrien oder – meist – die Lager in der Türkei und anderswo zu verlassen.

Doch bei Kurz klingt das wie ein Schießbefehl.

Warum nur? In der Sache wahrscheinlich, weil der Integrationsminister, der er ist, versucht hatte, sich ein wenig überschlau vom Flüchtlingsminister, der er nicht ist, abzugrenzen. Die Unterscheidung ist subtil, akademisch, unanwendbar bei jemandem, der ohnehin zu allem eine Meinung hat und diese auch selbstbewusst – allenfalls kalkuliert nachdenklich wirkend – äußert.

Weit darüber hinaus: Mir scheint, dass nun doch einmal das Äußere dieses Politikers den inneren Gehalt vernebelt. Der Meidlinger aus kleinen Verhältnissen, der den Elmayer-Schülern im Auftritt die Schneid abkaufen kann – da kippt die Perfektion der Fassade schnell ins konservativ Abgehobene. Fleiß, der mit wenig Bösartigkeit als Pennälertum abgewertet wird, hohe Sprechkunst gepaart mit der Lust, den Gegner mal so zum Spaß wegzuargumentieren – damit macht man sich nicht nur Freunde, im Besonderen nicht beim deutlich proletarischer agierenden Klassenfeind.

Was mit Kurz gerade passiert, basiert also weniger auf seiner politischen Verortung als auf den Eigenschaften, mit denen er erfolgreich ist. Das sind freilich genau jene Eigenschaften, deren Fehlen wir bei anderen Politikern beklagen. Mit diesem Befund wird Kurz leben können. Und müssen.