Christian Rainer: Die Mär von der Schwarmintelligenz

Was die Österreicher unter Hofers Schafspelz treibt und die ÖVP dazu, sich zu verschweigen.

Drucken

Schriftgröße

Am Abend der ersten Runde der Bundespräsidentenwahl habe ich in einem Online-Text drei Gründe für das konsternierende Wahlergebnis genannt: mangelndes Charisma samt fehlender Sprachfähigkeit, Langeweile mit der rot-schwarzen Koalition, die Flüchtlingskrise. Diese Erklärung findet sich ähnlich bei anderen Kommentatoren zwischen „Spiegel“ und den österreichischen Tageszeitungen. Also sehen wir uns die Sache zwei Wochen vor der Stichwahl nochmals an. Warum? Weil diese Sache zwar arithmetisch gelaufen zu sein scheint, weil von zehn Menschen, die eine Meinung dazu haben, neun sagen, dass Norbert Hofer gewinnen wird, weil aber immerhin einer von zehn glaubt, dass Alexander Van der Bellen Präsident wird.

Also: Von den genannten drei Argumenten sind zwei ein kompletter Holler.

Kein Holler ist die Sache mit dem Charisma. Natürlich haben Heinz-Christian Strache so wie Jörg Haider vor ihm mehr Ausstrahlung als Werner Faymann, Reinhold Mitterlehner und deren Vorgänger. Das erklärt sich einerseits aus der Rolle als Oppositionspolitiker: Mangels der Notwendigkeit, ihre Ankündigungen näher an der Realität zu parken als das Disneyland an der Habsburgermonarchie, könnte auch Sascha Wussow den Hofer geben und Tobias Moretti den Strache, und beide würden dennoch todernst genommen. Andererseits macht Regieren müde, und da sind wir bei dem Gezerre, das in diesen Tagen ohnehin Spitz auf Knopf steht: Bleibt Werner Faymann? Und wenn er nicht bleibt, reitet er dann gemeinsam mit Reinhold Mitterlehner ins Abendrot oder nach Brüssel? Weiß ich nicht. Aber ich weiß, dass es bei beiden Parteien jetzt überhaupt nicht um Inhalte geht, die zunächst auf einem fernen Parteitag zu diskutieren wären, bevor sich Personalfragen stellten – das ist gequirlter Funktionärssprech, den die Leute übersatt haben. Natürlich geht es um Personen.

Man sage mir nicht, dass das Volk die Feinheiten der Unzulänglichkeiten in der Bildungs-, Steuer-, Sozialpolitik sieht und versteht!

Was uns zum zweiten Punkt bringt, und der ist eben ein Holler. Die Menschen sind gelangweilt von der Performance dieser Koalition. So weit stimmt es. Aber wovon eigentlich? Ich bestreite vehement, dass irgendjemand überhaupt verfolgt, was die Regierung so beschließt und was nicht, allenfalls, was eine Landesregierung, die Bezirksverwaltung, der Bürgermeister tun. Fragen Sie doch einmal nach, wer Legislative von Exekutive, Gesetz von Verwaltungsakt, Parlament von Regierung von Behörde von einer Kapitalgesellschaft unterscheiden kann! Ich bestreite auch vehement (aber da sind wir in der Redaktion uneins), dass ein ins Gewicht fallender Anteil der Hofer- und der FPÖ-Wähler die im Schneckengang steigende Arbeitslosigkeit und das marginal unterdurchschnittliche Wirtschaftswachstum und die hauchdünne Inflation real spürt, dass er oder sie oder es sich deshalb jetzt ein Fass Bier oder einen Tiegel Kaviartagescreme weniger leisten kann. Den Leuten geht es gut. Sie wohnen in Wien zu 60 Prozent im von der SPÖ planwirtschaftlich zugeteilten Gemeinde- oder gemeinnützigen Bau, biegen mit ihren kostenfrei frisch implantierten neuen Hüften bevor sie 60 sind in die Rente ab – und wählen kornblumenblau. Weil sie sich langweilen also, weil sie die Leimrute für eine Stange Goldes halten, auch weil sie mangels Denken Abscheu vor denen empfinden, von denen sie nach – vielleicht nicht bestem, aber nach gutem – Wissen und Gewissen alimentiert werden, statt vor denen, die Volkswirtschaft für eine Kampfsportart, das Budget für eine Ölquelle und Empathie für ein Kreuzerl auf dem Wahlzettel halten.

Man sage mir nicht, dass das Volk die Feinheiten der Unzulänglichkeiten in der Bildungs-, Steuer-, Sozialpolitik sieht und versteht! Ich verstehe sie auch nicht. Deshalb haben wir eine repräsentative Demokratie – die von der FPÖ gegen ein Modell der Schwarmintelligenz per Perpetuum referendum getauscht werden soll: Herr Müller entscheidet über die Finanztransaktionssteuer, Frau Maier über eine Zivilprozessordnungsnovelle.

Gewählt wird die xenophobe Ausländerpolitik und nicht die sich logisch entwickelnde.

Der dritte Holler, somit schon wieder kein Grund, Hofer zu wählen, ist die Flüchtlingspolitik. Auch wenn es die Zweifaltigkeit aus Jungsozis und Altschmissigen nicht wahrhaben will: Da hat die Regierung ziemlich viel richtig gemacht, wenn auch katastrophal unrichtig kommuniziert. Österreich gab sich human, als Humanität das Gebot der Stunde und im Bereich der mentalen und ökonomischen Aufnahmefähigkeit des Landes war. Als die Nächstenliebe der Bevölkerung übersättigt war und die Infrastruktur ausgelaugt und als sich Europa als nicht europafähig erwies, schwenkte die Regierung. Mehr noch: Österreichs Außenminister war der Oberschwenker.

Was hätte die Regierung denn sonst machen sollen? Wider die in Maßen belastbaren eigenen Werte und über die zupackende Gutmenscherei hinweg am Tag eins Schießbefehl geben? Gewählt wird aber die xenophobe Ausländerpolitik und nicht die sich logisch entwickelnde.

Sehr geehrter Herr Minister Kurz, sehr geehrter Herr Vizekanzler Mitterlehner (und ja, auch Hochwürdigste Eminenz im erzbischöflichen Palais zu Wien): Es wird allerdings auch nicht davon abgeraten. Man stelle sich vor, stellen Sie sich bitte vor, Angela Merkel würde sich bei der vergleichbaren Wahl – wäre es eine Volkswahl – zwischen AfD-Chefin Frauke Petry und Bundespräsident Joachim Gauck verschweigen, nicht empfehlen, nicht einmal die eigene Präferenz öffentlich machen! Unvorstellbar (dort). Genant (hier).