Christian Rainer: Mundschutz macht unmündig

Mit der neuerlichen Maskenpflicht hat die Regierung ihr Vertrauenskonto belastet. Es ist eine irrationale Handlung zu viel.

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Seit dem Freitag der vergangenen Woche gilt also wieder Maskenpflicht in Supermärkten und artverwandten Etablissements. Ich habe mit der Maßnahme als solcher kein Problem. Diese Einschränkung meiner persönlichen Freiheit ist zumutbar. Sie ist vernachlässigbar im Vergleich zu der Bedrohung, die Covid-19 für Wirtschaft, Gesellschaft, Gesundheit darstellt.

Wahrscheinlich sieht das der Großteil der Bevölkerung so, also der Wähler. Ansonsten hätte die Politik ja auch andere Schritte gesetzt, die eher zum Ziel führen. Ich habe auch kein Problem damit, dass die Regierung hier eine Lockerungsmaßnahme zurücknimmt, also einen Zickzack-Kurs fährt. Trial and error,man kann es auch Feinsteuerung nennen, ist nun einmal der einzige Weg, das unbekannte Terrain des Corona-Virus zu erkunden. Ich habe auch kein Problem damit, dass die Maskenpflicht vielleicht zu früh gelockert worden war. Das war vermutlich ohnehin nicht der Fall, und selbst wenn es der Fallgewesenwäre, fieledaseben unter Trialanderror.Habe ich ein Problem damit, dass Österreich zwei Tage warten musste, bis Sebastian Kurz aus Brüssel zurückkehrte, um dann die ohnehin längst festgezurrten Beschlüsse persönlich kommunizieren zu können? Wahrscheinlich hätte ich das, wenn es wirklich um das Leben und die Gesundheit von acht Millionen Menschen ginge. Ich habe aber auch dieses Problem nicht, da es beim Kurz-Auftritt nicht um das Wohlergehen der Österreicher und Österreicherinnen (die Kurz-Diktion) beziehungsweise der in Österreich lebenden Menschen (die Faktenlage) ging, sondern um das Fortkommen der Volkspartei. Überdies: Corona wird der Volkspartei qua Wirtschaftskrise ohnehin schaden: obwohl die Regierung im entscheidenden Moment alles richtig gemacht hat und weil sie jetzt doch einiges falsch macht.

Aber ich habe ein Problem damit, dass die Regierung jetzt ein weiteres Mal versucht, mit irrationalem Verhalten ein rationales Ergebnis zu erzielen. Dieses Mal ist es um das eine Mal zu viel.

Vieles ist zweifelhaft. Aber unzweifelhaft ist, dass eine Ansteckung in Supermärkten äußerst unwahrscheinlich bleibt: in Österreich bisher nicht dokumentiert; keine Nadel im Heuhaufen, sondern weder Nadel noch Heuhaufen. Das sagt der AGES-Infektiologe Franz Allerberger auf einer der folgenden Seiten, das sagen die Statistiken. Irgendwie sagt das auch der Kanzler, er spricht vom „symbolischen Effekt der Masken“.


Aber es ist jetzt einfach zu viel der Symbolpolitik, erst recht,wenn die Symbole der medizinischen Erkenntnis widersprechen. Wir treten die Denkfähigkeit der Menschen mit Füßen. Das Volk soll den Verstand abgeben, wider den Verstand handeln, damit ein verständliches Ergebnis erzielt wird. Mitten im Wettstreit der Wissenschaft um ein Heilmittel soll die Missachtung der Wissenschaft heilsam sein.

Unser Glauben an das bloß zu Glaubende wurde in den vergangenen Monaten strapaziert; jetzt sind wir überstrapaziert. Die Regierung verpflichtete uns, ihr zu glauben, dass Corona eine tödliche Bedrohung darstellt, obwohl sich die Gefahr noch nicht in Todeszahlen manifestiert hatte. Paradox. Wir mussten mit dem Paradoxon zurechtkommen, dass die Republik von der Pandemie verschont geblieben ist, weil die Regierung gewarnt hatte, dass die Republik nicht von der Pandemie verschont wird. Der Kanzler durfte uns mit einem apokalyptischen Szenario Angst machen, damit dieses Szenario nicht eintreten würde. Wir haben sogar eine Rückführung in die Kindheit mitgemacht, uns die infantile Vorstellung eines Babyelefanten angeeignet und 24 Stunden des Tages entsprechend gehandelt.

In der heißen Phase von Covid-19 war das geboten, es war in Ordnung. Jetzt wird das Paradoxon das, was es ist: nämlich paradox.

Das Tragen von Masken in Kombination mit der Behauptung, das Maskieren sei wissenschaftlich geboten, ist eine Zumutung. Die Zumutung besteht aber eben nicht in der Tatsache, dass wir uns einschränken müssen. (Anmerkung: Das sollten wir, indem wir keine Indoor-Veranstaltungen besuchen.) Vielmehr werden wir beleidigt, weil man uns für so einfältig hält, an die Wirksamkeit von Masken im Supermarkt zu glauben. Die Regierung, der Kanzler wollen uns mit dem Mundschutz in der Unmündigkeit halten.

Wir sollten Masken tragen mit der Aufschrift „Diese Maske wirkt nicht“. Für blöd verkaufen lassen wir uns beim Einkauf aber nicht.

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Christian   Rainer

Christian Rainer

war von 1998 bis Februar 2023 Chefredakteur und Herausgeber des profil.