Christian Rainer: Pessimismus ist endlich

… trotz Trump, Strache und Klimawandel.

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Setzen wir dem profil-Cover der vergangenen Woche – „Warum sich Optimismus auszahlt (trotz allem)“ – noch eines drauf und beginnen wir mit einer Analyse des Titels dieser Kolumne! „Pessimismus ist endlich“: Ist das nun eine gute Nachricht oder eine schlechte? Da verbirgt sich in zwei negativ besetzten Worten ein positiver Gedanke, freilich nur schwer herauszuschälen.

Ich kann Ihnen nicht präzise erklären, warum ich dieses Beispiel gewählt habe. Es soll bloß die Ambivalenz des Lebens im Allgemeinen und von Nachrichten im Besonderen andeuten. Erwarten Sie also nicht, dass dieser Leitartikel zu einer eindeutigen Aussage, ja auch nur zu einer klaren Linie finden kann, wenn er darüber sinniert, ob die Welt Anlass zu Hoffnung gibt. Das liegt unter anderem an den Rezipienten. Sebastian Hofer hatte in jener Titelgeschichte darauf hingewiesen, wie sehr Stimmung und Meinung der Menschen auseinanderliegen. So beklagt eine Mehrheit der Deutschen „die gesellschaftliche Entwicklung als trist“. Zugleich schätzen 75 Prozent die eigene Lebensqualität positiv ein, haben zudem die vergangenen fünf Jahre „als persönlichen wirtschaftlichen Aufstieg“ erlebt.

Apropos Deutsche: Angesichts der einmal mehr bevorstehenden Präsidentenwahlen in Österreich darf ich für deutsche Radiosender (und bevorzugt um sieben Uhr morgens, was nicht zum Optimismus beiträgt) regelmäßig die Zukunft Europas unter besonderer Berücksichtigung der Zwillinge Migration und Nationalismus vermessen. Meine Einschätzung lautet: Ich denke, dass Deutschland die Kurve kratzen wird, dass dort die Vernunft und damit die zukunftsfesten Parteien obsiegen können, dass die schmutzige Rechte nicht zum Permanenzfaktor anwachsen wird. Paradoxerweise verdankt die Bundesrepublik dies einerseits den millionenfach schmutzigeren Rechten, die ab 1933 ebenso abseits aller Fakten das Ressentiment mit Populismus potenziert hatten. Vielleicht das einzige Beispiel der Geschichte, in dem ein Volk aus Beschämung gelernt hat, statt diese Beschämung in neue Aggression zu transformieren. Andererseits verdanken die Nachbarn den Nachbarn den Ausweg aus dem Patt zwischen Angela Merkel und dem Rest, zwischen schaffbar und der Abschaffung der Kanzlerin. Hätte Österreich nicht dicht gemacht und dicht machen lassen, wäre Deutschland bis zum Ersaufen geflutet worden. (Die Zahlenspiele, die Merkel vor wenigen Tagen als Antwort auf die Kritik des Sebastian Kurz an ihrer fortgesetzten Politik präsentierte, verstehe ich nicht.)

Von wem wurde der Pessimismus erfunden? Man könnte meinen von den meinungsbildenden Medien.

Für Österreich hingegen bin ich pessimistisch. Zu lange ringen die Regierenden mit den Begierigen, die FPÖ lässt sich nicht mehr niederhalten. Die Volksvertreter haben den Willen des Volkes in entscheidenden Fragen nicht vertreten. Da wird der Nationalismus die Oberhand gewinnen. Die Schlaghand also. Strache also.

An dieser Stelle folgt üblicherweise eine Volksschelte. Ordentliche Deutsche versus ordentlich angerannte Österreicher oder so ähnlich. Heute nicht. Vier Wochen vor uns wählen ja die Amerikaner. Wo sind denn die erst angerannt, wenn sie auf Augenhöhe mit Hillary Clinton Donald Trumps Wahl erwägen? Auch dort zieht der Nationalismus, der behauptet, das Land werde seinen rechtmäßigen Eigentümlern entzogen. Die Rattenfängerei wurde also nicht in Bad Goisern erfunden.

Von wem wurde der Pessimismus erfunden? Man könnte meinen von den meinungsbildenden Medien. Ich habe leicht lachen: Mit unserem Optimismus-Cover vom Montag bewaffnet, werfe ich einen Blick auf die Tageszeitungen vom Freitag. Die Titel des „Standard“ auf Seite eins enthalten folgende Worte: „Tote.“ „Ausnahmezustand.“ „Verbot.“ „Proteste.“ „Kritik.“ „Kampf.“ „Notverordnung.“ Bei der „Presse“ sind es: „Schlägerei.“ „K. O.“ „Verlassen.“ Sogar die stets konstruktive „Zeit“ eröffnet aktuell mit „Die Macht der Beleidigten“ (und einer Leberwurst). Ja, wenn die Welt auch so schlecht ist – wie sollen wir es, der Wahrheit verpflichtet, denn anders formulieren?

Zum Schluss: Wo wird es wirklich eng, wann ist wirklich Schluss?

Mehr als Strache, Trump und das plutoniumgleiche CETA – mich wundert, dass nicht jedermann sofort ruft: „Verbrauch fossiler Energie. Erderwärmung. Klimawandel.“ Dort liegt die Vernichtung. Wir können optimistisch sein – ungefähr noch 100 Jahre lang.

[email protected] Twitter: @chr_rai