Christian Rainer: Die Wirtschaft kennt keine Moral

Wer es in der Hand hat, pfeift auf Gleichberechtigung, sozialen Ausgleich, inneren und äußeren Frieden, demokratische Institutionen und entscheidet sich für die schnellen Renditen.

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„Russland-Sanktionen vernichteten 7000 Jobs in Österreich“, lese ich dieser Tage.

Einer Studie des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung ist die Zahl zu verdanken. Ich zweifle an dieser angesichts aller Unwägbarkeiten viel zu präzisen Berechnung, ich meine mich zu erinnern, dass eben dieses Institut vor zwei Jahren von über 40.000 Arbeitsplätzen gesprochen hat, die durch die Handelsbarrieren gegen Putin und durch dessen Retaliation gefährdet seien. Ich google entlang meiner Erinnerung und finde tatsächlich eine Wifo-Schätzung von 2015, die von „bis zu 45.000“ Stellen sprach.

Ich meine mich auch zu erinnern, dass ich „Wirtschaft“ und „Moral“ erst unlängst im Titel eines Leitartikels verwendet hatte. Es gibt genug Grund, sich da nochmal draufzusetzen.

Mit Russland hat das zu tun, wenn auch nur mit Moskau als einer von vielen Fronten. Üblicherweise läuft das ja so: Wenn die politischen Zerwürfnisse unüberbrückbar geworden sind, die wechselseitigen Provokationen ganz böse, dann setzt es Wirtschaftssanktionen. In diesem Fall waren es die Annektion der Krim und der Abschuss eines Passagierflugzeuges. Nach einer Schamfrist weicht die Politik dem Druck der Unternehmen und es kommt zu Lockerungen, bis schließlich wieder der Normalzustand einkehrt. Selten genug ist es die Politik selbst, die den Gegner als Verbündeten braucht, wie eben jetzt, wenn Österreichs Außenminister für Entspannung im Konflikt mit Putin plädiert.

Politiker sind in derartiger Situation von einem Bündel an Motiven geleitet – von persönlich beleidigtem Gehabe über innenpolitisches Kalkül bis zu militärischer Taktik. Aber oft genug sind auch so etwas wie Gerechtigkeit, Moral, die Unterscheidung von Gut und Böse Auslöser für ihr Handeln. Wer Politiker auf den permanenten Gedanken an Wählermaximierung reduziert, tut ihnen unrecht. Ein derartiges Erklärungsmuster ist die dumpfe Banalisierung eines im Schnitt seiner Verantwortung bewussten Berufsstandes, eine Herabwürdigung, wie sie gerade in unseren Zeiten des immer selbstbewussteren Billigpopulismus aggressiv betrieben wird.

Soziales Engagement und Corporate Social Responsibility sind Mittel zum Zweck. Politische Überzeugung ist vom Renditestreben bestimmt.

Die Wirtschaft funktioniert da in neun von zehn Fällen simpler, ein komplexes Motivmuster würde Manager und Entrepreneure in unverdienter Weise adeln. Es geht immer um Profitmaximierung. Deren Differenzierung besteht bestenfalls in der Periodizität dieses Denkens, in Kurz-, Mittel- und Langfristigkeit. Soziales Engagement und Corporate Social Responsibility sind Mittel zum Zweck. Politische Überzeugung ist vom Renditestreben bestimmt. Entsprechend durchsichtig geraten intellektuelle Debatten, die Wertediskussionen, oft auch das Bekenntnis zu Kunst oder Wissenschaft; entsprechend flach lesen sich die notorischen selbstverfassten Bücher; entsprechend eindimensional muten dann auch die Erklärungen an, die einschlägig tätige Industrielle und Führungskräfte vorbringen, wenn sie für einen Putin oder einen Erdoğan in die Bresche springen – oder für noch dunklere Gestalten gesprungen sind.

Man verstehe mich nicht falsch: Die Marktwirtschaft, deren Treiber die eben beschriebenen Personen sind, ist die einzige Weltordnung, die der Menschheit Wohlstand und der Gesellschaft Freiheit geben kann. Aber man sollte sich immer über die Motivlage im Klaren sein. Andernfalls erlebt man in politisch delikaten Zeiten grobe Überraschungen. Als Rückgrat zur Stabilisierung der demokratischen Weltkonstitution ist die Wirtschaft eine Fehlkonstruktion. Womit wir abschließend eine Erklärung für die größte Überraschung nach der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten versuchen können: für die Reaktion der amerikanischen und daran geknüpft der globalen Finanzmärkte.

Während die Welt noch in Agonie lag über den möglichen Zukunftsszenarien bis hin zu einem atomaren Erstschlag der USA, fielen die Aktien samt allen ihren Derivaten nicht wie erwartet ins Bodenlose, sie fingen vielmehr an zu steigen, und das kräftig. Der Dow Jones legte ab dem Wahltag vor zwei Monaten zu, inzwischen um rund zehn Prozent; mit selbem Datum und in fast identem Ausmaß stiegen FTSE 100 und DAX.

Warum? Negativ formuliert: Weil die Amerikaner und damit der Rest keine Frau und Profipolitikerin als einflussreichsten Menschen der Welt sehen wollten. Für unsere Zwecke argumentiert: Die Investoren glauben lieber an einen charakterlich irrlichternden, aber ökonomisch erfolgreichen Immobilientycoon. Oder: Wer es in der Hand hat, pfeift auf Gleichberechtigung, sozialen Ausgleich, inneren und äußeren Frieden, demokratische Institutionen und entscheidet sich für die schnellen Renditen.

[email protected] Twitter: @chr_rai