Elfriede Hammerl: Dichtervater

Elfriede Hammerl: Dichtervater

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Der Sohn hat einen berühmten Vater. Dichter ist der und quasi von Berufs wegen unangepasst. Darauf ist er stolz. Er legt, wie man aus zahlreichen Interviews weiß, Wert darauf, kein Spießer zu sein und demzufolge auch kein Spießervater, so einer, der jeden Tag greifbar ist, womöglich in einem gemeinsamen Haushalt, die Banalitäten des Alltags mit Kind und Kindesmutter teilend. Nein, so einer ist er nicht. Er trifft den Sohn eher nur alle heiligen Zeiten, aber sie haben eine intensive Beziehung. Sagt der Vater. Was der Sohn dazu sagt, erfährt man nicht. Der Sohn ist eine öffentliche Person bloß in seiner Funktion als Spiegelung des Vaters. Der Sohn ist sozusagen bloße Funktion, bloßgestellt, könnte man auch sagen. Da er aber nur als Impulsgeber für den Vater beschrieben wird, kommt sein tatsächliches Ich vielleicht einigermaßen ungeschoren davon bei dieser öffentlichen Zurschaustellung.

Fast 50 war der Vater, als er Vater wurde, und eigentlich wollte er nie Vater werden. Aber immerhin hat er an dem Tag, an dem der Sohn geboren wurde, ein Gedicht für den Sohn, an den Sohn geschrieben, und seitdem schreibt er immer wieder Gedichte für und an ihn, zum Beispiel als Geburtstags- und als Weihnachtsgeschenke. Sie füllen mittlerweile Bücher, denn der Sohn ist inzwischen 25. Der Vater sagt über ihn Sätze wie diese: „Normalerweise hätte mein Sohn missraten müssen, er ist ein unehe­liches Kind, er trägt auch nicht meinen Namen, dem fehlt die Nestwärme, dem fehlt die Harmonie, mit der ihn Vater und Mutter gemeinsam umsorgen.“*

Der Vater sagt das natürlich nur, um solch spießerische Einschätzungen Lügen zu strafen, weil sein Sohn ja, wie sich herausgestellt hat, keineswegs missraten ist. Das betrachtet der Vater aber offensichtlich nicht als Verdienst der Mutter, die sich den Mühen der alltäglichen Kinderbetreuung anscheinend nicht entzogen hat, sondern er schreibt es der genetischen Ausstattung des Sohnes und seiner unkonventionellen Auffassung von Vaterschaft zu. Wörtlich: „Ich habe ihn auch niemals mit einem sorgenvollen Blick beobachtet, ob da etwas in ihm ist, was sich zu etwas Ungutem auswachsen könnte.“*

Niemals würde man einer Mutter so viel Verantwortungsscheu verzeihen.

Wäre man ein wenig kritisch dem Vater gegenüber, könnte man zu dem Schluss kommen, dass hier einer sein Kind benützt, um seine narzisstische Eitelkeit zu befriedigen. Wäre der Vater eine Mutter, würde man vielleicht sogar sagen, sie missbrauche ihr Kind, um ihren Narzissmus zu bedienen. Denn niemals würde man einer Mutter so viel Verantwortungsscheu ungestraft durchgehen lassen. Dem Dichtervater Wolf Wondratschek hingegen wird nicht nur bewundernd gelauscht, seine Absonderungen in puncto Vaterschaft werden auch immer wieder be­wundernd wiedergegeben. Und das ist das eigentlich Monströse an der Sache: dass einer für seine, sagen wir mal, ­saloppe Auffassung von Vaterpflichten atemlose Zustimmung kriegt.

Kann ja sein, dass Herr W. der Mutter seines Sohnes von Anfang an vermittelt hat, er fühle sich nur seiner Kunst verpflichtet und habe keinen Bock auf Familienleben. Kann ja sein, dass sie das von Anfang an akzeptiert hat. Kann ja sein, dass sie sich lieber mit einem egozentrischen Dichter fortpflanzen wollte als mit einem braven Familienvater. Kann ja sein, dass der Sohn den schrägen Vater im Alltag nicht entbehrt hat, weil mütterliche Zuverlässigkeit ihn ausreichend stabilisierte. Man weiß es nicht. Was man weiß, ist, dass Herr W. sich eines Sohnes berühmt, den er nach eigener Aussage für ein ungeschütztes Kind hält, mit dem Zusatz, er finde ungeschützte Kinder interessanter als geschützte.* Sollte er dafür nicht, wie man in seinem Herkunftsland sagen würde, eine vor den Latz kriegen? Schließlich haben Kinder nicht die Aufgabe, ­interessant für ihre Eltern – oder für wen auch immer – zu sein, sondern Eltern haben die Aufgabe, die Kinder verdammt noch einmal nach Kräften zu beschützen.

Das gelingt ihnen nicht immer. Eltern sind fehlbar. Eltern haben menschliche Schwächen. Eltern sind unvollkommen und dürfen es sein. Penetrant wird es nur, wenn ein Promi seine charakterlichen Defizite als notwendige Merkmale einer bewunderungswürdigen Persönlichkeit verkauft, und noch penetranter wird es, wenn ihm das widerspruchslos abgekauft wird.

Nein, ein Gedicht zu Weihnachten ist keine adäquate Kompensation für konsequent vorenthaltene Zuwendung unterm Jahr! Auch wenn Herrn W.s Sohn sich damit zufriedengeben mag, ist dieser Deal keiner, den es öffentlich zu preisen gilt. Es sei denn, wir wollen alle Väter verhöhnen, die sich Tag für Tag um ihre Kinder kümmern, statt sie dann und wann für einen kreativen Prozess zu instrumentalisieren.

Wolf Wondratschek ist bekanntlich nicht der einzige Mann von Rang und Namen, der in seiner Selbstdarstellung damit kokettiert, dass sein außergewöhnliches Naturell ihn zwinge, sich herkömmlichen Ansprüchen in Sachen Partnerschaft und Vaterpflichten zu verweigern, um stolz hinzuzufügen, dass alle seine Kinder enorm davon profitierten.

Vielleicht glauben die Typen ja, was sie sagen – aber ­warum sollen wir es glauben?

* „Der Standard“, Album, 30.1.2016