Elfriede Hammerl: Elendsaktionismus

Nächste Woche wollen wir zu diesem Konzert in der Brandruine eines Asylbewerberheims

Drucken

Schriftgröße

Am meisten beeindruckt hat uns bisher diese Installation auf der schwer zugänglichen Passhöhe in den Pyrenäen. Sie wissen schon, dort hat dieser international bekannte Künstler per Hubschrauber mehr als 2000 von Flüchtlingen getragene Schuhe abwerfen lassen. Die liegen jetzt zwischen den Felsen und sensibilisieren die Besucher für das Flüchtlingselend in der Welt. Es war nicht einfach und schon gar nicht billig, zwei Plätze im Shuttle zu bekommen, der Kulturinteressierte zum Schauplatz der Kunstaktion fliegt, aber wir haben es geschafft und nicht bereut. Nicht, dass wir vorher dem Flüchtlingselend gleichgültig gegenübergestanden wären, aber der Anblick der Schuhe in der kargen pyrenäischen Berglandschaft, das hatte was unerhört Authentisches und war zugleich von starker Symbolkraft.

Ja, auch die Kunstwerke aus Rettungswesten von diesem anderen großen Künstler sind natürlich berührend. Gebrauchte Rettungswesten als Lotusblüten auf dem Teich des Belvedere, gebrauchte Rettungswesten an den Säulen des Konzerthauses auf dem Berliner Gendarmenmarkt – wir haben uns beides angesehen, waren ergriffen und sind gespannt, was wem demnächst noch dazu einfällt. Mein Mann meint, man hätte zusätzlich die Geschichte einzelner Rettungswesten rekonstruieren können. Haben sie tatsächlich Menschenleben gerettet oder war ihr Einsatz erfolglos? Vor einer Schwimmweste zu stehen, von der man weiß, dass ihr Benützer umgekommen ist, wäre für viele Besucher bestimmt eine prägende emotionale Erfahrung. Die meisten Wohlstandsbürger haben ja verlernt, mit dem Phänomen Tod umzugehen. Andererseits sind die Besucherrekorde ohnehin nicht mehr zu toppen.

Nächste Woche wollen wir zu einem Konzert in der Brandruine eines Asylbewerberheimes. Original Flüchtlinge sollen dort auf original Instrumenten aus ihren Herkunftsländern musizieren. Noch ist freilich nicht sicher, dass sich das Konzept realisieren lässt, weil es offenbar Schwierigkeiten macht, die Instrumente aus den Krisengebieten herbeizuschaffen. Wir hoffen, dass man im Notfall auf das Angebot einiger Sponsoren zurückgreifen wird, die bereit wären, ein paar Stradivaris leihweise zur Verfügung zu stellen. Unserer Meinung nach läge in der Diskrepanz von kostbaren Geigen und devastiertem Schauplatz sogar ein ganz besonderer Reiz.

Die Challenge, in interessanten Zeiten zu leben, muss man annehmen.

Zuverlässig versuchen wir, bei jeder Veranstaltung dabei zu sein, die das Elend in der Welt als künstlerische Herausforderung betrachtet und in aufsehenerregender Weise thematisiert. Aufsehen zu erregen, ist in unserer Eventkultur ja nicht so einfach. Umso mehr Applaus gebührt denjenigen, denen es gelingt. Leider werden originellen Veranstaltungen immer wieder Steine in den Weg gelegt. Und apropos Steine: Wir bedauern es zum Beispiel sehr, dass die geplante Steinigung einer Ehebrecherin im Rahmen des Nordsee-Festspielsommers nicht zustande kam. Ich meine, wie könnte man dieses brisante Thema besser ins öffentliche Bewusstsein rücken als durch eine solche Inszenierung? Natürlich wäre die Frau dabei nicht zu Tode gekommen, vorgesehen war eine sorgfältig choreografierte Performance von hoher tänzerischer Qualität, die auf die unleugbar vorhandene ästhetische Dimension grausamer Rituale referieren hätte sollen. Aber das ambitionierte Projekt scheiterte an der Engstirnigkeit deutscher Bürokraten, die es glatt verboten haben.

Nicht gescheitert ist zum Glück die Zwangsverheiratung einiger achtjähriger Mädchen beim Festival of Regions in einem Ferienclub in Agadir. Wir waren zuerst skeptisch wegen der Location, haben dann aber festgestellt, dass sie als ironisches Zitat geradezu unverzichtbar war, um die Doppelmoral der heutigen Gesellschaft zu entlarven. Die schauspielerische Leistung der kleinen Mädchen war sensationell, sie weinten derart herzzerreißend, dass man meinen hätte können, das Spektakel wäre echt.

Mittlerweile habe ich ebenfalls künstlerische Ambitionen entwickelt. Mein Mann sagt, ich werde es schwer haben, weil mein Familienhintergrund so farblos ist, zumindest tadschikische oder hawaiianische Wurzeln sollte ich vorweisen können, wenn ich glaubwürdig in der kosmopolitischen Kunstschickeria reüssieren will, aber ich denke mir, ich sollte meinem inneren Auftrag trotz meiner Mühlviertler Großmutter folgen.

Was mir vorschwebt, ist eine Kette aus beschädigten Schlauchbooten quer über den Neusiedler See, von Rust bis Podersdorf, um das Schlepperunwesen zu geißeln. Natürlich rechne ich nicht damit, dass die Schlepper ihr Unwesen deswegen schlagartig einstellen, aber darum geht es auch gar nicht, sondern um Bewusstseinsarbeit, die ich damit leisten will. Endlich werden die Menschen anfangen, über das Schlepperunwesen nachzudenken! Das Modern Art zeigt sich leider an Fotos von der Installation nicht interessiert, aber ich bin überzeugt, eines der Guggenheims wird zugreifen.

Es ist nicht leicht, in interessanten Zeiten zu leben, aber wenn man die Challenge annimmt, dann ist das enorm befriedigend.

[email protected] www.elfriedehammerl.com