Reinhold Mitterlehner
Gastkommentar von Reinhold Mitterlehner: Das Richtige tun, nicht nur das Populäre

Reinhold Mitterlehner: Das Richtige tun, nicht nur das Populäre

Handelsabkommen sichern Arbeitsplätze und sind das beste Mittel, um die Globalisierung mit verbindlichen Spielregeln zu gestalten. Daher brauchen wir in Österreich eine Allianz der Vernunft und eine Rückkehr zur Sachlichkeit. Eine Replik von Vizekanzler Reinhold Mitterlehner auf Christian Kerns Gastkommentar im profil.

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Heiß umfehdet, wild umstritten. Der Widerstand gegen neue Freihandelsabkommen vereint derzeit eine diffuse Koalition aus linken und rechten Globalisierungsgegnern mit Verschwörungstheoretikern in ganz Europa. Relativ unbelastet von Fakten werden Schauermärchen über den Ausverkauf unserer Heimat, die Übermacht von böswilligen Konzernen und den massenhaften Einfall von Chlorhühnern und andere Mythen verbreitet. Die gefühlte Wahrheit wird zum Maßstab der Argumentation, oft so falsch, dass nicht einmal das Gegenteil des Behaupteten stimmt, während die positiv eingestellte Gegenseite zu lange zu leise und wahrscheinlich auch zu vornehm argumentiert hat. Diese Gemengelage ändert freilich nichts daran, dass die Befürworter des Abkommens die richtigen Argumente auf ihrer Seite haben. Von gut gemachten Handelsverträgen profitieren beide Seiten.

Europas und Österreichs Wohlstand beruht wesentlich auf Handelsbeziehungen. Das zeigen nicht nur Studien und unsere Exportquote von nahezu 60 Prozent, sondern auch die praktischen Erfahrungen der vergangenen Jahrzehnte. An jedem Prozent Exportanteil hängen 10.000 Arbeitsplätze.

„Das Wohlstandsversprechen der EU ist zerbrochen“, zweifelt hingegen Bundeskanzler Christian Kern in seinem jüngsten profil-Gastkommentar und warnt vor dem Absenken von Standards, neuem Privatisierungsdruck und dem Verlust nationaler Souveränität durch eine „Machtverschiebung“. Das ist zwar schon durch den längst fertigen Vertrag ausgeschlossen, hat die SPÖ zuvor aber auch nicht daran gehindert, ihre Parteibasis mit tendenziösen Fragestellungen zu belangen. Teilweise mit Formulierungen, die selbst Neoliberale zu einem Nein bewogen hätten. Dass solche Umfragen nichts zur Problemlösung beitragen, in eine argumentative Sackgasse führen und europaweit Verwunderung auslösen, dürfte Christian Kern inzwischen selbst bemerkt haben. Der verzögerte Schwenk im SPÖ-Präsidium am Freitag ist ein Schritt in die richtige Richtung und letztlich ein Sieg der Vernunft. Das hätten wir freilich einfacher haben können.

Wohlgemerkt reden wir von einem Handelsabkommen mit Kanada, das vom linksliberalen Premier Justin Trudeau regiert wird. Für die rote Seele ansonsten romantisches Vorbild statt neoliberales Feindbild. Aufschlussreich ist der Vergleich mit der europäischen Sozialdemokratie. Die Genossen in Schweden, Frankreich und Deutschland haben ihre Antwort auf das Abkommen längst gefunden. Sie halten es mehrheitlich für einen wirtschaftlich vorteilhaften und fairen Vertrag, der neue Chancen eröffnet. Sie laden sich gegenseitig ein, um dafür zu werben, und schreiben gemeinsame Gastkommentare. Meine Argumente decken sich überraschenderweise mit jenen der deutschen SPD-Führung, die zurecht vom besten je verhandelten Handelsabkommen der Europäischen Union spricht.

„Es ist falsch, wenn sich Europa von der Gestaltung der globalisierten Welt verabschiedet, nur weil Politiker lieber die Ängste der Bevölkerung bewirtschaften, anstatt sich ihnen zu stellen“, bringt es die „Neue Zürcher Zeitung“ auf den Punkt. Nicht nur das Schweizer Weltblatt sieht gut gemachte Freihandelsabkommen als das beste Mittel, um die Globalisierung mit verbindlichen Spielregeln zu gestalten. Logisch: Wer mit am Verhandlungstisch sitzt und seine Positionen vernünftig einbringt, kann die eigenen Standards besser etablieren und auch gegenüber aufstrebenden Weltregionen wie China oder Indien verteidigen. Jetzt und in den nächsten Jahrzehnten. Sollte jedoch Europa lieber im Abseits stehen, wird es an Marktmacht verlieren und früher oder später die Regeln der anderen Wirtschaftsräume akzeptieren müssen. Wer will das? Ich jedenfalls nicht.

Wohlgemerkt reden wir von einem Handelsabkommen mit Kanada, das vom linksliberalen Premier Justin Trudeau regiert wird. Für die rote Seele ansonsten romantisches Vorbild statt neoliberales Feindbild.

Ein Ja zum Kanada-Abkommen ist daher aus mehreren Gründen eine entscheidende Frage für die Europäische Union, ihre handelspolitische Zukunft und nicht zuletzt ihre Glaubwürdigkeit. Letztlich geht es dabei auch um die Frage, ob Europa noch handlungsfähig ist oder nicht. Das Abkommen wurde auf Basis eines einstimmigen Mandats und unter Einbindung aller 28 Mitgliedsländer verhandelt. Dennoch wird es von manchen bis zum Schluss mit allen Mitteln torpediert oder zumindest infrage gestellt. Alle Kritiker sollten sich folgende Frage stellen: Mit wem in der Welt wollen wir in Zukunft eigentlich noch Handelsverträge schließen, wenn sich über 500 Millionen Europäer schon vor einem Land wie Kanada mit seinen 36 Millionen Einwohnern fürchten? Tatsache ist, dass sich die Zukunfts- und Abstiegsängste vieler Menschen nicht mit Abschottung lösen lassen. „Die Kosten einer neuen Phase des Protektionismus wären hoch, besonders für die ärmeren Schichten, die besonders an Kaufkraftverlusten durch Handelsrestriktionen leiden“, warnt der Volkswirt Michael Steiner in der „Kleinen Zeitung“. Das richtige Rezept ist daher eine aktive Handelspolitik, die mehr Wachstum, Investitionen und Arbeitsplätze ermöglicht.

Gerade für eine kleine, offene Volkswirtschaft wie Österreich steht viel auf dem Spiel. Unser eigener Markt ist zu klein, wir brauchen weltweite Handelspartner. Gewiss, mit dem Kanada-Abkommen allein werden wir unsere Handelsbilanz nicht um Welten verbessern. Aber wer große Teile seines Wohlstands auf Handel aufbaut, muss in solchen Fragen offensiv Flagge zeigen und darf sich nicht selbst ins Abseits stellen. Schlussendlich geht es dabei um unsere internationale Reputation als Handelsland und damit um die Investitionen und Arbeitsplätze der Zukunft.

Werfen wir daher abseits jeder Ideologie einen sachlichen Blick auf das Kanada-Abkommen selbst. Es baut Zölle und Handelshemmnisse ab, um den Handel zu vereinfachen und zu beleben. Unsere hohen Qualitätsstandards sind mehrfach abgesichert. Das viel diskutierte staatliche Regulierungsrecht („right to regulate“) ist sowohl in der Präambel als auch im Vertrag festgehalten. Daher können die Vertragsparteien ihr Schutzniveau nach eigenem Ermessen festlegen. Öffentliche Dienstleistungen können wie bisher angeboten werden. Anders als behauptet gibt es keinen Zwang zu Privatisierungen. Auch die geplante regulatorische Zusammenarbeit ist nur auf freiwilliger Basis vorgesehen und kann keine rechtsverbindlichen Akte setzen. Der Gesetzgeber wird nicht eingeschränkt.

In Zeiten wie diesen brauchen wir staatstragende Parteien im besten Sinne, die das Richtige tun, nicht nur das Populäre.

Weitere Klarstellungen zu all diesen Themen bringt die von der Bundesregierung gemeinsam unterstützte rechtsverbindliche „Gemeinsame Auslegungserklärung“. Schon vorher haben wir durchgesetzt, dass die demokratische Einbindung der nationalen Parlamente gesichert ist. Die vorläufige Anwendung des Abkommens gilt nur für jene Bereiche, die ohnehin schon in der EU-Kompetenz liegen, also nicht für die viel diskutierten Schiedsgerichte.

Gerade hier lohnt sich ein nüchterner Blick auf die Fakten, schließlich gibt es den Investitionsschutz mit Schiedsgerichten in unterschiedlichen Formen schon seit 1974. Österreich hat selbst fast 100 Abkommen mit solchen Klauseln, um seine exportierenden und investierenden Unternehmen vor krassen Diskriminierungen im Ausland zu schützen. Auch hier bringt der Kanada-Vertrag deutliche Fortschritte. Die privaten Schiedsgerichte alter Prägung werden abgeschafft und durch ein neues Investitionsgerichtssystem mit Berufungsinstanz ersetzt. Die Richter ernennen die Vertragsparteien, also nicht die Unternehmen, sondern Kanada und die EU. Für die Richter gelten strenge Anforderungen an Qualifikation, Unabhängigkeit und Unparteilichkeit. Überhaupt sind die Fälle, in denen dieses Gericht angerufen werden kann, eng begrenzt: auf entschädigungslose Enteignung, Rechtsverweigerung oder gezielte Diskriminierung eines kanadischen Investors. Kein Land wird dadurch gehindert, neue Umwelt- oder Sozialgesetze zu erlassen, bestätigt auch die Wiener Völkerrechtlerin Ursula Kriebaum. Fakt ist: Dieses Instrument hat nichts mit einer von Christian Kern behaupteten Machtverschiebung zu tun, sondern ist ein weltweit üblicher Rechtsschutz für absolute Ausnahmefälle.

Was sind nun die politischen Konsequenzen aus der Debatte um „Ceta und Mordio“, wie es profil treffend bezeichnet. In Zeiten wie diesen brauchen wir staatstragende Parteien im besten Sinne, die das Richtige tun, nicht nur das Populäre. Zugleich ist es aber unsere Aufgabe, das Richtige auch populär zu machen. Also berechtigte Sorgen aufgreifen, sachlich klären und Alternativen vermitteln. Unter diesem Gesichtspunkt geht es in der aktuellen Freihandels-Debatte um weit mehr als nur um ein Ja oder Nein zu neuen Abkommen. Letztlich geht es um die Frage, ob traditionelle Volksparteien mit einer sachlichen, an den Fakten orientierten Politik ihre Alleinstellungsmerkmale gegenüber Rechts- und Linkspopulisten jeder Schattierung bewahren oder an den großen Herausforderungen scheitern. Mein Ziel ist, dass sich die vernünftige Kraft der Mitte durchsetzt und nicht die Extreme an den Rändern gestärkt werden. Eines steht fest: Dagegen sein ist einmal mehr nicht genug und schon gar kein Programm, das Österreich nach vorne bringt.