Werner Mück
Wes Brot ich ess, …

Gastkommentar Werner Mück: Wes Brot ich ess, …

Werner Mück, Ex-ORF-Chefredakteur, über das Ansinnen von ÖVP und FPÖ,Wolfgang Fellner Geld zuzuschanzen.

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Rund um das Gedenken an den „Anschluss“ Österreichs an ­Hitler-Deutschland brannte der ORF ein Qualitätsfeuerwerk an Dokumentationen, Reportagen, Diskussionen und Kommentaren ab, das selbst den ORF-kritischen Print-Boulevard in seltener Einmütigkeit zu Lobeshymnen hinriss. Tatsächlich hatte der ORF nicht nur ein kräftiges Lebenszeichen gegeben, sondern das geleistet, wofür ihn sich ein kleines Land wie Österreich leisten muss, damit seine Stimme im deutschen Sprachraum gehört wird. Solche Hörfunk-, Fernseh- und Onlineprogramme kann man auf dem freien Markt nicht kaufen und schon gar nicht allein aus Werbeeinnahmen finanzieren. Mager bis peinlich wirkte daher die Kontrastprogrammierung einiger Kommerzieller. Der ORF kann also gesellschafts- und demokratiepolitisch unverzichtbar sein. Er kann aber auch anders.

Während die ORF-Geschäftsführung es selbstzufrieden verabsäumt hat, die jüngsten Glanzleistungen ihrer Programmgestalter in der politischen Diskussion herauszustreichen, wurde zur gleichen Zeit der Triumph über das Gerichtsurteil gegen Vizekanzler Heinz-Christian Strache auf allen Sendern und Online-Plattformen des ORF abgefeiert. Vielen deutschsprachigen Printmedien lieferte die berechtigte und erfolgreiche Notwehr des Moderators Armin Wolf Schlagzeilen. Die Programmleistungen des ORF verblassten neben Straches Debakel. Im blauen Lager wird nun an der politischen Rechnung für die schiefe Optik geschrieben. Sie passt zum Bild eines mit sich selbst beschäftigten Leitmediums inmitten eines existenzbedrohenden öffentlichen Klimas, in dem bei Umfragen nur 30 Prozent der Bevölkerung die ORF-Gebühren für gerechtfertigt halten. Rückenwind für autoritäre Populisten, befeuert durch Kampagnen des Boulevards.

Zur offenbar schrumpfenden Minderheit der vernünftigen und weitblickenden Bewahrer des Gebührenmodells zählten bis vor Kurzem auch die Medienstrategen rund um Kanzleramtsminister Gernot Blümel. Doch aus dem Raucherkammerl der Regierung erschallt der Ruf des Vizekanzlers nach Abschaffung der ORF-Gebühren. Ein Zuruf, den Blümel nicht überhören kann oder will. „Man könne auch über eine Finanzierung des ORF aus dem Budget reden“, tönt es nun aus dem türkisen Hauptquartier. Blümel will offenbar vorsichtig die Gebührenbastion räumen und die finanzielle Unabhängigkeit des ORF auf dem Konsens-Altar der türkis-blauen Regierung opfern. Das wäre eine fatale Kehrtwende und würde sich nahtlos in die notorisch von Irrtümern geprägte Medienpolitik der alten ÖVP einfügen.

Das Gebührenmodell des ORF wurde von staatstragenden Parteien wie der ÖVP und der SPÖ bisher nie infrage gestellt, es anzutasten, verletzt eine rote Linie aller, denen ein unabhängiges, föderales Leitmedium auch unter politischen Phantomschmerzen unverzichtbar ist. Das galt selbst dann noch, als das Verhältnis der ÖVP zum ORF unter Kanzler Wolfgang Schüssel und ORF-Generalintendant Gerhard Weis unrettbar zerrüttet war. Weis musste gehen, die ORF-Gebühren aber blieben. Hätten Schüssel und Haider damals nicht nur Weis, sondern auch das Gebührenmodell ablösen lassen, wäre mehr als die halbe Republik unter Führung Gerd Bachers und Peter Huemers auf die Barrikaden gesprungen. Heute aber herrscht gespenstische Stille. Gerd Bacher ist tot, und andere rühren sich nicht. Der ORF selbst hängt kraftlos in den Seilen, Wrabetz schnürt zur Besänftigung regierungskonforme Personalpakete und will den Landesfürsten ein millionenschweres Präsent für die Landesstudios ins Osternest legen. In der öffentlichen Diskussion fehlt dem Unternehmen ein charismatischer Wortführer, wie einst Gerd Bacher und Gerhard Zeiler.

Ein ORF-Generaldirektor, der sich beim Finanzminister jährlich ums Haushaltsgeld anstellen muss, Programmmitarbeiter und Journalisten, die indirekt auf der Gehaltsliste der Bundesregierung stehen, sie alle wären nach dem Geschmack autoritärer „Demokraten“, die derzeit nicht nur in Österreich Karriere machen. In Dänemark hat diese Art der „Reform“ dem ORF-Pendant sogleich eine 20-prozentige Kürzung des Budgets gebracht. Es ist zynisch, darauf hinzuweisen, dass sich ORF-Geschäftsführer schon bisher um Gebührenerhöhungen bei Kanzlern und Landeshauptleuten anbiedern mussten. Bei jeder dieser kniefälligen Runden mussten den Landeshauptleuten Geschenke – sprich Sendeflächen zur gefälligen Selbstdarstellung – gebracht werden. Statt diesen Missbrauch politischer Macht, diese gesetzwidrige Einflussnahme abzustellen und das Marionettentheater des Stiftungsrates aus der Geiselhaft der Parteien zu befreien, soll es noch unverblümter kommen. Allein die Optik ist verheerend, denn wer zahlt, schafft an oder straft ab.

Das lässt Alarmglocken schrillen, zumal es auch mit der Vision verknüpft wird, wonach der ORF ein „Schuhlöffel“ für die privaten Anbieter sein soll. Vom qualitätsorientierten Leitmedium zum Steigbügelhalter für profitorientierte Kommerzielle? Cui bono? Wer soll tatsächlich der Nutznießer dieses Schuhlöffels sein? Der Kreis der österreichischen TV-Anbieter ist drastisch geschrumpft. ATV wurde an die deutsche ProSiebenSat1-Puls4-Gruppe verkauft, einen der größten Medienkonzerne Europas. Neben dem ORF ist der Sender Servus-TV des Mäzens Dietrich Mateschitz mittlerweile der einzige ernstzunehmende österreichische Mitbewerber. Mit dem könnte der ORF durchaus kooperieren, doch da gibt Mateschitz die Richtung vor.

Bei den digitalen Vermarktungsplattformen hingegen spielt auch für Österreichs Kommerzielle – allen voran Mediaprint und Wolfgang Fellner – die Zukunftsmusik der Geschäftsmodelle in Konkurrenz zum ORF. Kooperationen ergäben dort eine für beide Seiten sinnvolle Win-win-Situation gegenüber globalen Playern. Der ORF sollte dabei Partner, aber keinesfalls „Big Spender“ für vermeintlich Bedürftige sein. Um der Mediaprint und Wolfgang Fellner Geld zuzuschanzen, müsste man den ORF nicht an die finanzielle Kandare nehmen, dazu müsste man das Bekenntnis zum Regierungsfunk nicht ins Budget schreiben!

Das ginge auch anders und viel sauberer mit einem dualen System. Einerseits über eine Reform der Presseförderung und den Fördertopf der RTR, der bisher viel zu spärlich dotiert ist. Diesen Topf derart zu füllen, dass er kommerziellen Sendern Anreize für österreichische Qualitätsprogramme bietet und dem ORF den Zugriff darauf zu verwehren, würde der Gebührenneid-Debatte den Boden entziehen. Andererseits würde eine moderate, automatisierte Inflationsabgeltung den ORF zumindest finanziell unabhängiger machen. Der Streit um den Futtertrog wäre beigelegt und Konkurrenz gefördert.

ORF-Journalisten sollten nicht nach der Devise „Wir machen, was wir wollen“ arbeiten, sondern im Sinne des Gesetzes und der Programmrichtlinien machen, was sie sollen.

Ein neues ORF-Gesetz müsste das nationale Leitmedium gegenüber globalen Playern stärken, ihm mehr Spielraum bei Online-Aktivitäten schaffen, gleichzeitig Kooperationen mit den Kommerziellen erleichtern, ihm aber auch Grenzen setzen (nicht jede amerikanische Serie erfüllt den Qualitätsanspruch). Unabhängige, pluralistische, um Objektivität bemühte Information wäre als Grundnahrungsmittel unserer Demokratie weiterhin sicherzustellen. Die Geschäftsführung und deren zugeordnete Programmmanager, Chefredakteure und Sendungsverantwortliche hätten dafür zu sorgen, dass die Programmrichtlinien des ORF und der darin formulierte Auftrag, „die größtmögliche Meinungsvielfalt abzubilden“, wieder wörtlich genommen wird. Wachsende Teile des Publikums erkennen in den ORF-Programmen ihr Lebensumfeld nicht mehr.

„Objektiv berichtet, wer ein zutreffendes Bild der Wirklichkeit zeichnet“ steht in den Programmrichtlinien. Der praktizierte Mainstream verwässert dieses Gebot. Meinungskommentare von ORF-Redakteuren auf Facebook, Twitter, in Foren und Blogs schaden der Glaubwürdigkeit ihres Unternehmens und liefern politischen Hardlinern Munition. Wrabetz blufft und kündigt nun Richtlinien an, die es bereits gibt, um die sich aber niemand kümmert. Vergessen scheint der Rat des legendären „Tagesthemen“-Moderators Hanns Joachim Friedrichs: „Distanz halten, sich nicht gemein machen mit einer Sache, auch nicht mit einer guten, nicht in öffentliche Betroffenheit versinken.“

ORF-Journalisten sollten nicht nach der Devise „Wir machen, was wir wollen“ arbeiten, sondern im Sinne des Gesetzes und der Programmrichtlinien machen, was sie sollen. Journalistische Freiheit ist kein Freibrief für Willkür und Polarisierung, wie es bei der Tempelberg-Affäre im Präsidentschaftswahlkampf, bei oft schulmeisterlichen Gesprächsführungen sowie bei manipulativen Fehlleistungen vergangener Wochen den Anschein erweckt hat. Alexander Wrabetz hat sich zum Chef der TV-Information ausgerufen, journalistische Kompetenz wird in seiner Generaldirektion allerdings vermisst. Kommerzielle Sender kommen oft mit Diskussionen wie etwa Corinna Milborn auf Puls 4 dem Programmauftrag des ORF näher als die manchmal lähmenden Runden des Flaggschiffs. Das alles schwächt dessen Vorreiterrolle gegenüber den Kommerziellen.

Bewährtes zu bewahren, gilt als Tugend der Konservativen und ist ein Leitmotiv der Türkisen, wenn es etwa um die Schul- und Bildungspolitik geht. Weshalb soll das nicht auch für das Gebührenmodell und den ORF gelten? Er bliebe trotz aller Kritik bei Rückbesinnung auf seinen klaren Auftrag der unverzichtbare elektronische Leuchtturm Österreichs, ein Bollwerk gegen Fake News und Populismus von allen Seiten. Die Regierung will „den ORF ins 21. Jahrhundert bringen, heißt es in ihrem Programm. Deren „Reformer“ planen aber den Rückfall ins Mittelalter nach Vorbild des Programmauftrages der Minnesänger am Hofe der Fürsten: „Wes Brot ich ess, des Lied ich sing!“

Werner Mück, 73, war unter ORF-Generaldirektorin Monika Lindner von 2002 bis 2006 ORF-Chefredakteur der Fernsehinformation und alles andere als unumstritten.