Georg Hoffmann-Ostenhof: Abnormal

Warum die Amerikaner und die Welt Donald Trump keine Chance geben sollen

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Barack Obama weiß, was er an Angela Merkel hat. Bei seinem Abschiedsbesuch in Berlin vergangene Woche schwärmte der US-Präsident in statu abeundi geradezu von der deutschen Kanzlerin, die er, wie es scheint, als seine Erbin als globale Verteidigerin der liberalen Demokratie und einer offenen Weltordnung ansieht.

Merkels Reaktion auf den Wahlsieg Donald Trumps war ja tatsächlich das Beste, was aus einer europäischen Staatskanzlei zu diesem verstörenden Anlass kam: „Demokratie, Freiheit, Respekt vor dem Recht und der Würde des Menschen, unabhängig von Herkunft, Hautfarbe, Religion, Geschlecht, sexueller Orientierung oder politischer Einstellung“, seien die Werte, auf deren Basis „ich dem künftigen Präsidenten der USA, Donald Trump, eine enge Zusammenarbeit anbiete“, sagte die Kanzlerin.

Das war eine diplomatisch und realpolitisch untadelige Antwort auf Trumps Triumph. Und gleichzeitig eine schallende Ohrfeige für den designierten Präsidenten – hat der doch die Werte, die Merkel aufzählte, in seiner Wahlkampagne allesamt spektakulär mit Füßen getreten.

Ganz anders war die Art und Weise, mit der Sebastian Kurz auf den 8. November reagierte: Wahlkampf sei das eine und die Arbeit danach das andere, beruhigt unser Außenminister. Man solle die Worte nicht so ernst nehmen. Trump möge man an seinen Taten messen.

Noch verharrte die Welt in Schockstarre, da meldeten sich bereits überall die Beschwichtiger à la Kurz zu Wort. Es werde nicht so heiß gegessen wie gekocht. Man möge Trump eine Chance geben. Es werde schon nicht so arg kommen, und es sei ja nicht alles schlecht, was der Mann mit der orangen Schmachtlocke vorhat: Das und Ähnliches hört man immer öfter. In Amerika und auch anderswo. Und genau das ist brandgefährlich.

John Oliver, der amerikanische Komiker und Moderator, verwendete die in diesem Jahr letzte Ausgabe seiner TV-Sendung, „Last Week Tonight“, dazu, die Amerikaner eindringlich vor der „Normalisierung“ von Donald Trump zu warnen. „Mit der Zeit wird es einfach, Dinge als normal zu empfinden, vor allem für jene, die nicht von Trumps Aktionen betroffen sind“, sagt Oliver. Man solle aber niemals vergessen, dass „das nicht normal ist“: nicht die Ankündigung, Millionen von Migranten zu deportieren, Muslimen die Einreise zu verwehren, notfalls auch Atomwaffen einzusetzen, Folter zu legalisieren; nicht Trumps flagranter Rassismus, sein ethnischer Nationalismus, seine Attacken gegen die Medien und vieles andere mehr. „Nein, Trump ist abnormal“, so Oliver, und das müsse klar ausgesprochen werden.

Das gilt für die USA und auch für die Welt. Jetzt zu verharmlosen und zum politischen business as usual überzugehen, würde nur verdecken, dass wir, auch wenn Trump nur einen Bruchteil seiner Ankündigungen verwirklicht, einen veritablen Epochenbruch erleben. Schleichende Normalisierung entwaffnet.

Die pathetisch-apokalyptischen Schlagzeilen in der Woche nach der Wahl vom Ende der Welt, des Westens und der Globalisierung behalten ihren Wahrheitskern auch nach dem ersten Schock.

Noch verharrte die Welt in Schockstarre, da meldeten sich bereits die Beschwichtiger.

Ist eine solche Diagnose nicht weit übertrieben, Ausdruck politischer Hysterie? Hat nicht schon George W. Bush viel von dem vorweggenommen, worüber man sich heute bei Trump so echauffiert? Wo ist da die große historische Wende?

Gewiss war Trumps Vorvorgänger „der schlechteste und rechteste Präsident der vergangenen 100 Jahre“, wie damals seine Kritiker feststellten. Und doch macht der Vergleich sicher.

Erinnern wir uns: Unmittelbar nach dem 11. September 2001 besuchte Bush demonstrativ eine Moschee. Er warnte seine Landsleute davor, eine Religion pauschal für Taten verantwortlich zu machen, die von einer kleinen Gruppe von Fanatikern verübt wurden. In seiner zweiten Amtsperiode forcierte Bush eine Einwanderungsreform, die den nicht rechtmäßig im Land befindlichen Migranten einen Weg in die Legalität und letztlich zur amerikanischen Staatsbürgerschaft weisen sollte. Er kam mit dieser Initiative bei seiner Republikanischen Partei nicht durch.

Paradox: Selbst noch der Irak-Krieg, den Bush unter Vorspiegelung falscher Tatsachen in Gang setzte, selbst dieser inzwischen allseits verdammte Waffengang macht deutlich, wie sehr sich der designierte 45. Präsident der USA vom 43. unterscheidet. Washingtons deklariertes Ziel der Invasion war die Befreiung der Iraker von der Saddam-Diktatur und die Etablierung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit an Euphrat und Tigris. Der Irak sollte fürderhin als „Leuchtturm der Demokratie“ dem gesamten Nahen Osten den Weg weisen. So sehr diese Ideen Propaganda waren – sie wurden in Washington auch ernst genommen. Und so ist es gar nicht so überraschend, dass just die sogenannten „Neocons“, jene kriegsgeilen Intellektuellen und Politiker, die Bush wortreich drängten, doch endlich im Irak einzumarschieren, heute in ihrer großen Mehrheit zu den vehementesten Gegnern Donald Trumps zählen.

George W. Bush bewegte sich – trotz allem, was man ihm vorwerfen konnte – im Rahmen jener demokratischen Zivilisation, für die der Westen seit 1945 steht, und die Angela Merkel in ihrer Botschaft an den kommenden US-Präsidenten beschwor. Trump aber hat mit dieser Zivilisation gebrochen.

Georg Hoffmann-Ostenhof