Georg Hoffmann-Ostenhof: Nicht sparen, ausgeben!

International zeichnet sich ein Paradigmenwechsel der Wirtschaftspolitik ab. Der ist mit Christian Kern auch in Österreich angekommen.

Drucken

Schriftgröße

Haben Sie in letzter Zeit über die Schuldenkrise gelesen? Noch vor einem Jahr waren die uns alle erdrückenden Staatsdefizite und der dringende Abbau der hohen Schuldenberge in aller Munde. Warum wird von all dem nur noch wenig gesprochen? Sind etwa die Staatsschulden weltweit geringer geworden? Im Gegenteil. Sie wachsen weiter. Offenbar kommen aber entscheidende wirtschaftspolitische Player immer mehr zur Erkenntnis, dass die Sparrezepte, mit denen man glaubte, die Weltwirtschaft wieder ankurbeln zu können, einfach die falschen waren – und dass die generalisierte Austerity die Probleme, die man damit lösen wollte, nur noch verstärkt hat. Angesichts der tristen Stagnationsaussichten der globalen Ökonomie heißt es nun immer öfter: Nicht sparen, ausgeben!

Am spektakulärsten manifestierte sich der Paradigmenwechsel des wirtschaftspolitischen Diskurses in einer kürzlich erschienenen Studie des Internationalen Währungsfonds (IWF). Unter dem Titel „Neoliberalism: Oversold?“ produzieren Ökonomen dieser internationalen Institution ein „Mea Culpa“, das ein wenig an die Selbstkritik maoistischer KP-Kader erinnert. Um noch ein anderes Bild zu bemühen: Der Text klingt wie eine Enzyklika, in der sich der Papst zur Sünde bekehrt.

Nein, die Studie ist keine vollständige Abwendung vom Neoliberalismus: „Die Expansion des globalen Handels hat viele Millionen aus der Armut geholt. Ausländische Direktinvestitionen waren oft der Weg, über den Technologie und Know-how in Entwicklungsländer transferiert wurden.“ Und auch so manche Privatisierung von Staatsbetrieben sei segensreich gewesen. Aber wesentliche Teile der neoliberalen Politik, die seit nunmehr fast drei Jahrzehnten dominant ist und gerade auch vom IWF betrieben wurde, hätten üble Folgen gehabt, wird analysiert.

Die Autoren zeigen detailreich auf, wie die dogmatische Politik der totalen und globalen Öffnung und Liberalisierung der Finanzmärkte Länder nicht selten direkt in die Krise gestürzt hat. Vor allem aber gehen sie schuldbewusst mit der vom IWF immer wieder empfohlenen und oktroyierten Austerity-Politik ins Gericht.

Aus ihren Untersuchungen ziehen die IWF-Ökonomen drei „beunruhigende Schlüsse“:

1. Betrachtet man die Sparpolitik in einer großen Anzahl von Ländern, lässt sich nur schwer ein positiver Effekt auf das Wirtschaftswachstum feststellen. 2. Austerity verschärft regelmäßig Ungleichheit. 3. Steigende Ungleichheit verringert Wirtschaftswachstum und dessen Nachhaltigkeit.

Die Reduzierung von Ungleichheit fördert Wachstum und gefährdet dieses nicht, wie bisher vielfach angenommen wurde.

Als Handlungsanweisung fassen die Autoren zusammen: Umverteilungsmaßnahmen sind gefordert. Die Reduzierung von Ungleichheit fördert Wachstum und gefährdet dieses nicht, wie bisher vielfach angenommen wurde. Und entwickelten Staaten mit einer halbwegs stabilen Ökonomie wird Folgendes empfohlen: „Vor die Alternative gestellt, mit hohen Schulden zu leben oder Budgetüberschüsse zu entwickeln, um die Schulden zu reduzieren, sollten die Regierungen dieser Länder sich dafür entscheiden, mit den Schulden zu leben.“ Deren Abbau sollte organisch und längerfristig durch steigendes Wachstum vor sich gehen.

Ähnlich wie der IWF tickt inzwischen auch die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit OECD. Auch dieser Thinktank von 34 Staaten mit hohen Pro-Kopf-Einkommen ist prononciert marktliberal orientiert. Aber angesichts der schwächelnden globalen Ökonomie setzt auch er zunehmend auf den Staat.

Die öffentliche Hand sollte die Spielräume nützen, welche die aktuell niedrigen Zinsen gewähren, denn sehr viele öffentliche Investitionen würden hohe Renditen versprechen, empfiehlt der vergangenen Mittwoch veröffentlichte OECD-Bericht. Die Staaten sollten Geld in die Hand nehmen, um in „harte“ Infrastruktur wie Digitalisierung, Energie und Verkehr, aber auch in „weiche“ Bereiche wie frühkindliche Bildung und Innovation zu investieren.

So könnte man aus der so fatalen „Niedrigwachstumsfalle“ herauskommen.

Fazit: Die Staaten, vor allem die reichen, sollten nicht nur mit Schulden leben, nein sie sollten sich auch nicht davor scheuen, neue zu machen, um mit Investitionen in sinnvollen und zukunftsträchtigen Bereichen wieder auf den Wachstumspfad zu gelangen.

Hier ist seit einiger Zeit neues Denken unterwegs. Bloß in Österreich war dieses bis vor Kurzem noch nicht angekommen. Bei allen Differenzen waren sich die beiden Koalitionsparteien einig: Haushaltskonsolidierung hat Vorrang. Selbst wenn vielleicht in der SPÖ des Werner Faymann insgeheim viele anderes dachten, dem konservativen Diskurs mit den Dumpf-Formeln „Mehr privat, weniger Staat“ und „Man kann nicht ausgeben, was man nicht erarbeitet hat“, wurde öffentlich nichts entgegengesetzt.

Das hat sich nun geändert. Mit Christian Kern als neuem Bundeskanzler findet der Schwenk, den der internationale Mainstream der Wirtschaftspolitik vollzieht, auch hierzulande seinen Widerhall. Kern will in Brüssel darauf drängen, dass Zukunftsinvestitionen der öffentlichen Hand nicht mehr dem Budgetdefizit anzurechnen sind. Noch ist der von ihm angekündigte „New Deal“ nicht konkret. Aber es sieht ganz danach aus, als ob er sich dabei im Rahmen dessen bewegt, was so bedeutende Organisationen wie OECD und IWF empfehlen. Und es deutet einiges darauf hin, dass der Sozialdemokrat mit dieser neuen Politik zumindest einen Teil des bürgerlichen Lagers – den aufgeklärteren – verführen kann. Höchste Zeit wäre es.

Georg Hoffmann-Ostenhof