Georg Hoffmann-Ostenhof: Gott in Amerika

Georg Hoffmann-Ostenhof: Gott in Amerika

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So progressiv und aufgeklärt kann heute ein amerikanischer Politiker gar nicht sein, dass er nicht Gott dauernd im Munde führen muss. So auch Barack Obama, der, wie seine Vorgänger, noch jede seiner Reden mit dem Satz „God Bless America“ beendet hat. In der US-Politik ist Gott allgegenwärtig. „In God We Trust“ ist nicht nur auf die Dollarscheine gedruckt. Dieses Motto prangt an der Wand im House of Representatives und über dem Eingang zum Senat. Die „Pledge of Allegiance“, jenes Treue-Gelöbnis gegenüber der Fahne, das bei öffentlichen Veranstaltungen und in den meisten Schulen vor dem Unterrichtsbeginn geleistet wird, versichert, dass Amerika „One Nation Under God“ ist. Und im Weißen Haus wird ein Mal im Jahr (am ersten Donnerstag im Februar) zum „National Prayer Breakfest“ geladen.

Auf den ersten Blick scheint diese seltsame Häufung religiöser Symbole und Rituale in der US- Politik natürlicher Ausdruck der althergebrachten tiefen Religiosität der Amerikaner zu sein. Tatsächlich sind diese um vieles gläubiger als Europäer in vergleichbar entwickelten Staaten. Aber der Einzug Gottes in die öffentliche Sphäre der Vereinigten Staaten ist viel rezenteren Ursprungs, als es den Anschein hat.

Immer schon hatten sich in Amerika alle politischen Strömungen – rechte wie linke, progressive wie konservative – religiöser Argumente bedient

Dies zeigt Kevin Kruse in seinem jüngst erschienenen und viel diskutierten Buch „One Nation Under God: How Corporate America Invented Christian America“. Darin weist der Historiker an der Princeton University darauf hin, dass all diese polit-religiöse Liturgie erst in den 1950er-Jahren eingeführt wurde. Die „Nation unter Gott“ fügte man erst damals in den Text des Fahnen-Schwurs ein, das Gottvertrauen taucht erst vor rund sechs Jahrzehnten auf den Geldscheinen auf. Auch erst seit damals gibt es das Nationale Gebetsfrühstück.

Im Kampf gegen den atheistischen Kommunismus rief das offizielle Amerika die höchste Instanz zu Hilfe. Dass diese Sakralisierung der Politik aber nicht erst im Kalten Krieg seinen Ursprung hat, dass nicht erst in dieser Zeit die in der amerikanischen Verfassung festgelegte Trennung von Religion und Politik aufgeweicht wurde, belegt Kruse detailreich.

Immer schon hatten sich in Amerika alle politischen Strömungen – rechte wie linke, progressive wie konservative – religiöser Argumente bedient. So berief sich Präsident Franklin D. Roosevelt, als er angesichts der Weltwirtschaftskrise der 1930er-Jahre für seinen „New Deal“ warb, auf die „Social Gospel“-Bewegung, welche die „ungleiche Verteilung des Reichtums“ verdammte und Umverteilung zugunsten der Armen für gottgefällig erklärte.

Wall Street und Big Business konnten anfangs dem linken Vorstoß Roosevelts wenig entgegensetzen. In der prekären wirtschaftlichen Situation dieser Jahre den freien Markt und das freie Unternehmertum als Alternative zu Roosevelts Wohlfahrtsstaat zu propagieren, war nicht sehr erfolgversprechend. So initiierte und finanzierte „Corporate America“, das Amerika der Konzerne, eine von rechten Geistlichen geführte Bewegung, die einfach den New Deal als unchristlich denunzierte. „Spiritual Mobilization“ wurde diese getauft.

Was passiert mit dem „Christlichen Amerika“ in Zeiten, in denen sich die amerikanische Gesellschaft zunehmend polarisiert?

Für sie waren Kapitalismus und Christentum Brüder im Geiste. Sie „argumentierte, dass in beiden Systemen die Individuen aufsteigen oder fallen – gemäß ihrer Leistungen“, schreibt Kruse: „Im Christentum kommt, wer gut ist, in den Himmel, wer böse ist, in die Hölle. Im Kapitalismus macht, wer gut ist, Gewinne, und wer schlecht ist, bankrott.“ In dieser selektiven Bibellektüre verletzt der New Deal die „natürliche Ordnung“, der regulierend eingreifende Wohlfahrtsstaat verstößt gegen die Zehn Gebote.

Es war also nicht erst der Kampf gegen die Sowjetunion draußen, sondern jener gegen den „kollektivistischen“ New Deal im Land selbst, der am Anfang des „Christlichen Amerikas“ stand. Im Kalten Krieg wurde dieses dann in abgeschwächter und ökumenischer Form institutionalisiert. Legendär der Ausspruch des damaligen Präsidenten Dwight Eisenhauer: „Unsere Staatsform hat keinen Sinn, solange sie nicht auf einem tiefen religiösen Glauben basiert – und es ist mir egal, welcher Glauben das ist.“

Und was bringen uns diese Erkenntnisse des Princeton-Professors? Zunächst helfen sie beim Begreifen der nachfolgenden Entwicklungen: Ohne die „Spiritual Mobilization“ der 1930er-Jahre ist der Aufstieg der „Moral Majority“, einer rechts-christlichen Organisation, in den 1980er-Jahren unter Präsident Ronald Reagan nicht zu verstehen. Reagan hat übrigens das „God Bless America“ als Schlussformel von Präsidentenreden erst quasi obligatorisch gemacht. Auch der Aufschwung des evangelikalen Radikalismus und das Entstehen der Tea Party muss man vor diesem historischen Hintergrund sehen.

Im Licht dieser amerikanischen Geschichte stellen sich aber auch ganz aktuelle Fragen: Was passiert mit dem „Christlichen Amerika“ in Zeiten, in denen sich die amerikanische Gesellschaft zunehmend polarisiert, auch von der Säkularisierung erfasst ist, sich – wie das seit den späten 1990er-Jahren der Fall ist – immer mehr US-Bürger von Kirche und Glauben abwenden und für so unchristliche Dinge wie Homo-Ehe und Abtreibung eintreten?

Wohin wird sich Gott wenden? Wird er sich aus dem amerikanischen Staat wieder zurückziehen? Oder die Seiten wechseln und eine Social-Gospel-Bewegung wie zu Roosevelts Zeiten favorisieren? Entscheidende Fragen für die Zukunft der Vereinigten Staaten.

Georg Hoffmann-Ostenhof