Georg Hoffmann-Ostenhof: Krieg mit Wellington

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Israel befindet sich im Kriegszustand. Mit arabischen Ländern? Mit denen sowieso, seit Langem. Nein, als neues Feindland hat Premier Benjamin Netanjahu Neuseeland auserkoren. Doch, doch: Neuseeland! Und das kam so: Ägypten wollte im UN-Sicherheitsrat eine Resolution einbringen, welche die israelische Siedlungspolitik verurteilt. Netanjahu und Donald Trump beknieten Abdel Fattah al-Sisi, den Militärdiktator am Nil, die Resolution zurückzuziehen. Mit Erfolg. Die Versprechungen waren offenbar zu verlockend. Daraufhin übernahmen vier andere Staaten, darunter Neuseeland, den Siedlungstext und stellten ihn zur Abstimmung. Er wurde mit 14 Pro und einer Enthaltung – von den USA, die diesmal anders als in den vergangenen drei Jahrzehnten auf das übliche Veto verzichteten – angenommen.

Im Vorfeld hatte Netanjahu den neuseeländischen Außenminister Murray McCully angerufen und ihm gedroht: Wenn Wellington weiter die Resolution unterstütze und einbringe, verstehe das Israel als „Kriegserklärung“.

Offenbar fühlt sich Jerusalem im Krieg mit der ganzen Welt. Die Beziehungen zu Dutzenden Staaten werden suspendiert. Netanjahu schlägt diplomatisch wild um sich. Vor allem aber Amerika, der traditionelle Alliierte und Protektor Israels, ist Hauptziel seines Zornes. Dass die Obama-Regierung diesmal eine Verurteilung der israelischen Kolonisierung des Westjordanlandes durch den Sicherheitsrat nicht verhindert habe, sei „ein schändlicher hinterhältiger Angriff“ (shameful ambush) auf Israel, schimpfte Netanjahu.

Neu an der jüngst angenommenen Resolution ist wirklich nichts.

Was aber macht ihn und seine Regierung so erbost, was lässt Jerusalem so ausrasten? Neu an der jüngst angenommenen Resolution ist wirklich nichts: Die UN und mit ihr fast die ganze Welt haben ein halbes Jahrhundert damit zugebracht, Israels Siedlungspolitik zu verurteilen. Aber auch die verschiedenen amerikanischen Regierungen machten – trotz des diplomatisch-taktischen Vetos im Sicherheitsrat – seit Jahrzehnten klar, dass ihrer Einschätzung nach die Settlements eine friedliche Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts verhindern.

Die Umstände haben sich aber geändert: Die israelische Politik insgesamt ist inzwischen weit nach rechts gerückt. Netanjahu kommt von den immer stärker werdenden radikalen und religiösen Nationalisten unter Druck: Sie drängen ihn, die israelische Besiedlung zu beschleunigen, wenn nicht sogar große Teile der besetzten Gebiete einfach zu annektieren. In den USA wiederum ist die bedingungslose Unterstützung der jeweiligen Jerusalemer Regierungen nicht mehr so selbstverständlich und parteiübergreifend wie zuvor. Sowohl die Demokraten als auch die mehrheitlich liberalen amerikanischen Juden sind – nicht zuletzt des israelischen Rechtsrucks wegen – immer weniger bereit, sich reflexartig hinter die Politik des langjährigen Bündnispartners zu stellen.

Die Verurteilung im Sicherheitsrat zeigt zudem: Die Zeit, da der israelisch-palästinensische Konflikt – im Schatten der sonstigen nahöstlichen Turbulenzen und Verwerfungen stehend – weitgehend vom Radar der internationalen Öffentlichkeit verschwunden war, geht zu Ende.

Und wann, wenn nicht jetzt, kann Netanjahu es sich leisten, so spektakulär gegen Washington zu wüten – erwartet er doch, dass mit Donald Trump in wenigen Wochen ein Mann im Weißen Haus sitzen wird, der verspricht, Ja und Amen zu allem zu sagen, was in Jerusalem beschlossen wird.

Obama weiß natürlich, dass die Verurteilung durch den Sicherheitsrat unmittelbar kaum etwas bewirkt.

Genau das aber hat Obama veranlasst, noch im letzten Moment Netanjahu einen Schuss vor den Bug zu geben. Der abtretende Präsident soll nicht zuletzt von der Trump-Auswahl des künftigen US-Botschafters in Israel schockiert gewesen sein: Konkurs-Anwalt David Friedman vergleicht Netanjahu-kritische amerikanische Juden mit „Kapos“. Und er unterstützt den Bau von Siedlungen nicht nur rhetorisch. Er spendet für sie auf generöseste Weise.

Obama weiß natürlich, dass die Verurteilung durch den Sicherheitsrat unmittelbar kaum etwas bewirkt. Aber er will offenbar für die Zukunft klar markieren, worum es geht. Und wofür seine Regierung steht: Für eine Zwei-Staaten-Lösung. Sein Außenminister John Kerry formulierte vergangenen Mittwoch in einer großen Nahostrede, dass der Status quo der israelischen Politik unweigerlich „zu einem einzigen Staat oder einer ewigen Besatzung“ führt. Und das wäre ein Staat, „der entweder demokratisch oder jüdisch wäre“: Beides gleichzeitig ginge nicht zusammen.

Dass die Obama-Regierung erst im Abgang Klartext mit Jerusalem redet, liegt wohl daran, dass der US-Präsident lange Zeit hoffte, doch noch Friedensgespräche zwischen Israelis und Palästinensern in Gang zu bringen – ohne den Konflikt über die UN zu internationalisieren. Diese Hoffnung ist nun vorbei. Und Obama war offenbar sicher, dass ihm Hillary Clinton ins Weiße Haus folgen werde, die in seinem Sinn weitermachen könnte. Doch dann kam Trump.

Netanjahu ist begeistert, demnächst einen „wirklichen Freund Israels“ in Washington zu haben. Zu früh sollte er sich aber nicht freuen. Er setzt alles auf einen weltweit unbeliebten, unerfahrenen und außenpolitisch ignoranten US-Präsidenten, der eine Geschichte der gebrochenen Wahlkampfversprechen hat. Und sollte Trump tatsächlich ernst machen mit seiner angekündigten Politik, dann wird die Unterstützung Israels in den USA weiter erodieren. Und die weltweite Isolation noch größer werden, als sie ohnehin bereits ist.

Georg Hoffmann-Ostenhof