Martin Staudinger: Zaubertintenkiller

Martin Staudinger: Zaubertintenkiller

Das Gefährliche an Donald Trump, Norbert Hofer & Co.

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Jetzt fließt auch in den Vereinigten Staaten die Zaubertinte: Bis zur Kür des neuen US-Präsidenten sind es noch drei Monate, und dennoch prophezeit Donald Trump schon jetzt, dass es dabei nicht mit rechten Dingen zugehen wird. „Ich fürchte, dass die Wahl manipuliert sein wird“, raunte der republikanische Kandidat vergangene Woche.

Was das mit Zaubertinte zu tun hat? Sehr viel: Der Scherzartikel ist in den vergangenen Monaten zum Synonym für antidemokratische Verschwörungstheorien geworden. Im Vorfeld des Brexit-Referendums riefen Anti-EU-Lobbyisten dazu auf, keinesfalls die in den Wahlzellen aufliegenden Stifte zu verwenden, sondern nur selbst mitgebrachte – um zu verhindern, dass die Austritts-Kreuzchen vom Geheimdienst oder anderen dunklen Mächten nachträglich zum Verschwinden gebracht würden.

Die Parteiführung unternahm nichts, um die Verbreitung des Unsinns zu bremsen.

In Österreich setzten FPÖ-Anhänger rund um die Bundespräsidentenwahl in den sozialen Netzwerken ähnliche Gerüchte in Umlauf: Stimmen für ihren Kandidaten Norbert Hofer könnten durch den Einsatz von Zaubertinte unsichtbar gemacht werden, hieß es da etwa. Die Parteiführung unternahm nichts, um die Verbreitung des Unsinns zu bremsen. Warum denn auch, wo Verunsicherung in Bezug auf den korrekten Ablauf demokratischer Prozesse doch bestens in ihr Konzept passte? Bereits 2015 hatte Heinz-Christian Strache in Inseraten 5000 Euro Belohnung für die Aufdeckung von Betrügereien bei der Wien-Wahl ausgelobt – eine Woche vor dem Urnengang, ohne konkrete Verdachtslage. Und in Deutschland behauptet AfD-Chefin Frauke Petry im Hinblick auf die Bundestagswahl 2017 schon jetzt, dass in der Vergangenheit Hunderttausende Stimmzettel nicht gezählt worden seien.

Wenn vor der Gefahr gewarnt wird, die von den Rechtspopulisten – fassen wir Trump, die FPÖ, die AfD und andere etwas unscharf unter diesem Begriff zusammen – ausgeht, stehen meistens ihre Ideen im Zentrum. Generelles Einreiseverbot für Muslime (Trump), keine Mindestsicherung für Flüchtlinge (FPÖ), Abschaffung des individuellen Asylrechts (AfD): Diese und andere Forderungen kann man mit gutem Grund gaga, unmenschlich, widerwärtig und vieles mehr finden. Es sind dennoch Positionen, die prinzipiell zulässig sein müssen. Man kann gegen sie argumentieren, man kann sie politisch bekämpfen, man kann sich darum streiten, man kann Kompromisse finden. Hey Leute, das ist Demokratie! Und da gibt es sogar ein Recht auf Standpunkte, die blödsinnig erscheinen mögen.

Sie sind skrupellos bereit, die Demokratie per se zu demolieren.

Letztere delegitimieren zu wollen, wie es gar nicht so wenigen Linken im Kopf herumspukt, ist genau das Gleiche, was man den Rechten gerne vorwirft – autoritäres Denken. Und Gesellschaften, in denen nur eine Meinung zulässig ist, werden üblicherweise von dicken Diktatorenkindern mit Atomwaffenambitionen, langbärtigen Kalaschnikow-Benutzern und ähnlichen Gruselgestalten regiert.

Progressive Ideen als Korrektiv für die Konservativen und umgekehrt, das Wetteifern zwischen unterschiedlichen Positionen, der ideologische Wechsel an der Staatsspitze: Das politische System, das die westliche Welt in den vergangenen Jahrzehnten entwickelt und praktiziert hat, funktioniert bei allen Unzulänglichkeiten nicht so schlecht.

Oder muss man möglicherweise bald sagen: funktionierte?

Diese Gefahr besteht tatsächlich, aber sie ist weniger auf rechtspopulistische Forderungen und Ideen zurückzuführen, sondern darauf, dass Trump, Hofer & Co. längst damit begonnen haben, grundlegende Spielregeln der Demokratie zu missachten. Mehr noch: Sie sind skrupellos bereit, die Demokratie per se zu demolieren.

Andere Methoden bestehen darin, dem demokratischen System mehr oder weniger subtil die Lösungskompetenz für aktuelle Herausforderungen abzusprechen.

Der Zaubertinten-Mythos – also der Versuch, Misstrauen gegenüber dem Wahlsystem zu schüren – ist dabei nur eine ihrer Methoden. Ihre Wirkung hat vergangene Woche der Trump-Berater Roger Stone bemerkenswert offen skizziert: „Das Erste, was Trump tun muss, ist: permanent darüber reden. Denn wenn es Wahlbetrug gibt, ist diese Wahl illegitim, der Gewinner ist illegitim, wir werden eine Verfassungskrise haben und umfassenden zivilen Ungehorsam, und die Regierung wird nicht länger die Regierung sein.“

Andere Methoden bestehen darin, dem demokratischen System mehr oder weniger subtil die Lösungskompetenz für aktuelle Herausforderungen abzusprechen; die repräsentative Demokratie durch Präferenz von Volksabstimmungen und Referenden zu schwächen (eine Tendenz, die auch auf die Gedankenwelt des NS-Staatsrechtlers Carl Schmitt hinweist, der die Identität von Führer und Geführten propagierte); die Medien mit „Lügenpresse“-Vorwürfen unglaubwürdig zu machen; und im Internet eine Gegenrealität aufzubauen, in der Verschwörungstheorien freier Lauf gelassen wird.

Wie ein nächster konkreter Schritt aussehen könnte, ist in Ungarn zu besichtigen. Dort arbeitet Premier Viktor Orban (laut Strache in vielerlei Hinsicht ein „Vorbild für Europa“) fleißig daran, sein Bekenntnis zum „Ende der liberalen Demokratie“ in die Tat umzusetzen. Drei oder vier Schritte ist inzwischen die Türkei gegangen, wo ein gescheiterter Putschversuch gegen die Demokratie gerade ungeniert als Vorwand für deren Abschaffung missbraucht wird.

So weit ist Österreich noch lange nicht. Aber es schadet nicht, an all das zu denken – ehe im Präsidentschafts-Zweitwahlkampf wieder das Fass mit der Zaubertinte ausläuft.