Peter Michael Lingens

Peter Michael Lingens: Artenschutz für die Sozialpartnerschaft!

Es wäre ein grober Fehler der neuen Regierung, von berechtigter Detailkritik zu genereller Abwertung überzugehen.

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Reinhold Mitterlehner meint, dass die Sozialpartner sich ändern müssen, wenn Österreich vorankommen will und riskierte im Zusammenhang mit der Bundeswirtschaftskammer auf die „Gewerbeordnung“ hinzuweisen. Mit dieser konkreten Kritik hat er zweifellos Recht: Österreichs Gewerbe schotten sich mit der Gewerbeordnung gegen notwendige Konkurrenz ab.

Eine Schwächung der Sozialpartnerschaft hielte ich für fatal. Sie war und ist sehr wohl ein wirtschaftspolitisches Atout dieses Landes.

Ähnlich berechtigt ist die konkrete Kritik des Präsidenten der Industriellenvereinigung Georg Kapsch an der sturen Ablehnung der Flexibilisierung der Arbeitszeiten durch den ÖGB. Natürlich muss man dahin gelangen, den unterschiedlichen Anfall von Aufträgen durch flexible Arbeitszeiten besser zu bewältigen und teure Produktionsanlagen durch so viele Stunden wie möglich zu nutzen. Es ist dreißig Jahre her, dass mein verstorbener Kollege Franz G. Hanke den Sozialpartnern im profil empfohlen hat, die Flexibilisierung der Arbeitszeiten gegen deren gleichzeitige Verkürzung zu tauschen.

Aber über diese Verkürzung war mit der Industriellenvereinigung oder der Bundeswirtschaftskammer genau so wenig zu reden, wie mit dem ÖGB über die Flexibilisierung.

Alle drei sind nun einmal Interessenvertretungen, und manchmal vertreten sie die Interessen ihrer Klientel in meinen Augen nicht optimal und vergessen auf das, was ihnen heute zum Vorwurf gemacht wird: Mögliche Tauschgeschäfte zum gemeinsamen Nutzen.

Nur meine ich, dass die Kritik Mitterlehners und Kapschs sich weniger gegen die Sozialpartner als Interessensvertreter als gegen das Parlament richten sollte. Denn das hätte ja jederzeit die Möglichkeit gehabt, eine sinnvolle Flexibilisierung und Verkürzung der Arbeitszeit oder eine entrümpelte Gewerbeordnung gegen den Widerstand des jeweiligen Sozialpartners zu beschließen. (So wie es unter Wolfgang Schüssel eine durchaus nützliche Pensionsreform gegen den ÖGB beschlossen hat.)

Es ist die Unabhängigkeit der parlamentarischen Mandatare, die dringend gestärkt werden muss.

Nicht dass die Sozialpartner die Interessen ihrer Klientel manchmal nicht optimal vertreten, ist das zentrale Problem, sondern dass das Parlament sich den Sozialpartnern so selbstverständlich unterordnet.

Es ist die Unabhängigkeit der parlamentarischen Mandatare, die dringend gestärkt werden muss.

Das kann nur geschehen, indem die Parteien zu einem neuen Verständnis der Aufgabe diese Mandatare finden – wenn sie ihnen die von der Verfassung vorgesehene innere Unabhängigkeit zubilligen. (Alfred Gusenbauer hat Recht gehabt, als er die selbstverständliche Identität von Gewerkschaftsfunktionären und Mandataren einschränkte – es war ein typischer Fehler Werner Faymanns, ihr wieder ungeteilt zuzustimmen.)

Eine Schwächung der Sozialpartnerschaft hielte ich demgegenüber für fatal. Sie war und ist sehr wohl ein wirtschaftspolitisches Atout dieses Landes.

Vorrangig ist es eine Gesinnung: die Überzeugung, dass man miteinander sprechen und verhandeln kann und soll, bevor man streikt und aussperrt. Das ist und bleibt richtig und nützlich. Ich möchte es an einem Beispiel aus meiner Branche illustrieren: 1970 kam als Vorläufer der heutigen elektronischen Druckverfahren der Lichtsatz auf und machte tausende Setzer an ihren Bleisatzmaschinen obsolet. Eine der stärksten, traditionsreichsten Gewerkschaften (sie hatte einige der besten Köpfe der Sozialdemokratie hervorgebracht, indem sie der Bourgeoisie das Monopol der „Sprache“ entriss) leistete weltweit Widerstand. Noch 1985 fand ich bei einer USA- Reise in den großen US-Druckereien durchwegs Bleisatzmaschinen vor.

Österreich hat sich durch derartige Verhandlungen sehr wohl des Öfteren sinnlose Streiktage erspart.

In Österreich hingegen hatten sich die Sozialpartner erfolgreich darauf geeinigt, den Bleisatz unter Schonung der vorhandenen Setzer innerhalb von zehn Jahren durch neue Technologien zu ersetzen – und so geschah es.

Österreich hat sich durch derartige Verhandlungen sehr wohl des Öfteren sinnlose Streiktage erspart. Es ist nun einmal nützlich, wenn einander auf Arbeitgeber- und Arbeitnehmer-Seite Leute gegenübersitzen, die dank ihrer Kammer-Expertise über die Lohnstückkosten der jeweiligen Weltmarkt-Konkurrenz, über die Gewinnspannen der beteiligen Unternehmen, über deren steuerliche Belastung oder über die technologische Zukunft der Branche Bescheid wissen, wenn sie Arbeitszeiten oder Löhne verhandeln. Und es ist auch sinnvoll, wenn sich diesbezüglich eine bestimmte Verhandlungskultur entwickelt hat.

Gleichzeitig sind die Kammern schlicht und einfach Thinktanks. Die Bundeswirtschaftskammer kenne ich nicht so genau, aber die Arbeiterkammer um so genauer seit 50 Jahren: Es gibt keine bessere wirtschaftspolitische Abteilung im Land.

Wenn ich wissen will, wie in Dänemark das Arbeitsmarktservice organisiert ist, wie die Erbschaftssteuern der USA sich entwickelt haben oder wie Frankreich seine Betriebskindergärten fördert – der zuständige Experte der Arbeiterkammer weiß es.

Ich bin sicher, dass es von Vorteil ist, dass die Finanzierung der Kammern gesetzlich gesichert ist.

Das sind Spitzenleute, und wenn sie eine Arbeit über die Vermögensverhältnisse in Österreich erstellen, dann hat diese Arbeit Hand und Fuß und ist ein wesentlicher Sachbeitrag zur politischen Diskussion.

Mit der Bundeswirtschaftskammer bin ich, wie gesagt, weniger vertraut und mit ihrem Chef, Christoph Leitl, häufig unterschiedlicher Meinung: Ich halte seine Standort-Beschimpfungen für standortschädlich. Aber widerlege seine Behauptung vom ausufernden Beamtenstaat mit einer Unterlage der Bundeswirtschaftskammer, aus der hervorgeht, dass Österreich in den letzten zehn Jahren ein Drittel seiner Beamten abgebaut hat. Ähnlich gute Unterlagen habe ich über Österreichs hervorragende Klein- und Mittelbetriebe oder die kontinuierliche Steigerung des realen BIP pro Kopf bei seiner Kammer gefunden, und eine Arbeit über den Wertschöpfungsbeitrag des Fremdenverkehrs stand vergleichbaren Studien der Arbeiterkammer nicht nach.

Es bedürfte einer eigenen Studie, um zu eruieren, in welchem Verhältnis solche und andere Leistungen der Kammern zu den Beiträgen stehen, die dafür aufgebracht werden müssen. Es ist vielleicht sinnvoll, das einmal durch einen ausländischen Thinktank evaluieren zu lassen. Aber ich bin sicher, dass es von Vorteil ist, dass die Finanzierung der Kammern gesetzlich gesichert ist. (Wenn es keine Beiträge wären, müssten es Steuern sein.) Denn auf diese Weise sind sie bei ihren Untersuchungen doch um einiges unabhängiger, als wenn, wie in den USA, ein Großunternehmen oder ein engagierter Milliardär für die Finanzierung aufkommt.