Peter Michael Lingens
Peter Michael Lingens: Der Aufstieg der FPÖ

Peter Michael Lingens: Der Aufstieg der FPÖ

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Historiker werden die aktuelle Periode einmal so beschreiben: Im Gefolge einer von den USA verursachten Finanz- und Flüchtlingskrise hat eine von Deutschland ausgehende Lohn- und Sparpolitik die Rechts-Parteien ganz Europas massiv gestärkt. Bereits 2016/17 wurde der Front National stärkste Partei Frankreichs, und nur das französische Wahlsystem hat gerade noch verhindert, dass Marine Le Pen an die Staatsspitze gelangte. So wurde dank vorgezogener Wahlen die Republik Österreich zum ersten europäischen Staatswesen, in dem mit der FPÖ eine international als rechtsextrem angesehene Partei an die Regierung gelangte. Regierungschef Heinz-Christian Strache wurde unter anderem in einer Wehrsportgruppe sozialisiert und stellte 2016 die Möglichkeit eines „Bürgerkrieges“ in den Raum beziehungsweise postete zum Nationalfeiertag eine von einem Nazi gedichtete Nationalhymne.

Wie ist Österreich auf die FPÖ gekommen? Karl Blecha wie Hannes Androsch haben mir im TV-Gespräch energisch erklärt, dass es nicht das Geringste damit zu tun hat, dass (der ansonsten von mir durchaus verehrte) Bruno Kreisky die FPÖ 1970 vor dem Versinken in Bedeutungslosigkeit bewahrte, indem er seine Minderheitsregierung auf ihrer Duldung aufbaute. Sie bestreiten wohl auch weiter, dass er die FPÖ salonfähig machte, indem er daran erinnerte, dass Nazis und Sozialisten gemeinsam in den Lagern des Ständestaates eingesperrt waren (die er übrigens in einem Atemzug mit den Vernichtungslagern des Dritten Reiches nannte). Genauso wenig hat es nach ihrer Ansicht damit zu tun, dass Kreisky gleich vier ehemalige Nationalsozialisten, darunter einen SS-Mann, zu Ministern machte. Ich bleibe dennoch bei der These, dass er damit einen Cordon sanitaire niedergerissen hat, der in Deutschland bis heute ausschließt, dass eine Partei vom Zuschnitt und Personal der FPÖ eine entscheidende politische Rolle spielt.

Eine wesentliche Rolle für den Aufstieg der FPÖ haben „Skandale“ gespielt.

Eine wesentliche Rolle für den Aufstieg der FPÖ haben „Skandale“ gespielt. Sie waren in der Ära Kreisky im Gegensatz zu einer weit verbreiteten Meinung zahlreicher als heute: Die unter anderem durch eine verfehlte Staatshaftung ermöglichte Pleite der Verstaatlichen Industrie kann sich durchaus mit der der Hypo Alpe-Adria messen; und die korruptionsbedingten Mehrkosten des AKH übertreffen (in heutigem Geld gemessen) die des Skylink um Längen. Dazu gab es eine Unzahl „mittlerer“ Skandale, deren Darstellung profil seinen Aufstieg verdankte. Denn die Staatsanwaltschaft des roten Justizministers Christian Broda hat (im Gegensatz zu heute) Skandale nur aufgedeckt, wenn es absolut nicht mehr zu vermeiden war: Im Fall des AKH plädierte sie etwa für die Einstellung des Verfahrens, wurde aber von einer Untersuchungsrichterin und späteren Abgeordneten der FPÖ zu dessen Fortführung gezwungen. Ich habe damals in meinen Kommentaren geschrieben, dass diese Häufung nicht verfolgter Skandale dem Ruf nach einem „starken Mann mit eisernem Besen“ Vorschub leiste. Und in der Tat vermochte sich Jörg Haider (der heute wegen massiver Korruption vor Gericht stünde) als solcher zu positionieren.

profil – und damit komme ich zu meinem eigenen Beitrag zum Aufstieg der FPÖ – hatte damals unter seinen Lesern einen überproportionalen Anteil von Freiheitlichen. Denn vor allem sie genossen die Berichterstattung über die „Skandalrepublik“, wie „Der Spiegel“ Österreich unter Wiedergabe aller von uns aufgezeigten Skandalen damals nannte. Rückblickend muss ich mir vorwerfen, dass ich zu wenig darauf geachtet habe, dass die Berichterstattung genau diese Verallgemeinerung vermeidet. Österreich war nie eine „Skandalrepublik“, sondern bloß ein Staat, in dem eine lange Zeit der Alleinregierung eine relativ große Zahl ungesühnter Skandale ermöglicht hat. Später haben ungezählte Cover, die sich kritisch mit Jörg Haider auseinandersetzten, dessen Aufstieg nicht behindert, sondern befördert: Sie waren kostenfreie Wahlplakate, die auch denjenigen ansprangen, der die Texte nie gelesen hat. Gleichzeitig war das mit Abstand wichtigste Printmedium – die „Kronen Zeitung“ – in ihrer Grundgesinnung auf seiner Seite. Sie setzte erfolgreich auf den Gegensatz zwischen „uns Österreichern“ und allen „anderen“, die uns Unrecht tun: Karl Schranz den Olympiasieg stehlen, so wie sie uns heute um „unser Wasser“ bringen wollen. Dieser sich patriotisch gebende Nationalismus in Verbindung mit durchgehender Geringschätzung der „Parteipolitik“ prägte das Politikverständnis der Masse.

Dafür, dass die FPÖ zur stärksten Partei wurde, ist freilich – wie in der Vor-NS-Zeit – die weltwirtschaftliche Entwicklung verantwortlich.

Dafür, dass die FPÖ zur stärksten Partei wurde, ist freilich – wie in der Vor-NS-Zeit – die weltwirtschaftliche Entwicklung verantwortlich: Sie hat, wie damals die Weltwirtschaftskrise, eine große Gruppe von Menschen geschaffen, die sich als „Verlierer“ und „Absteiger“ sehen und es vielfach auch sind. Es war (ist) ein Leichtes, sie in der „Zuwanderung“ und der „Asylpolitik“ eine Ursache dieser Entwicklung sehen zu lassen, wobei ihnen emotional Minarette die Synagogen ersetzen. Dass es ihnen objektiv nach wie vor relativ gut (viel besser als vielen „anderen“) geht, ist für diese subjektive Emotion unerheblich.