Peter Michael Lingens

Peter Michael Lingens Brauchen wir mehr Akademiker?

Brauchen wir mehr Akademiker?

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In der Studiengebühren-Diskussion, die der Wissenschaftsminister mit der Hochschülerschaft führt, argumentierte deren Sprecherin Janine Wulz unter anderem, dass Österreich sowieso schon viel zu wenige Akademiker produziere, sodass eine zusätzliche Gebührenschranke abwegig sei.

In der konkreten Auseinandersetzung kann mich das nicht überzeugen: Fast alle Länder mit mehr Akademikern haben sehr wohl Studiengebühren. Boshaft könnte man behaupten, Österreicher strebten deshalb seltener nach Studienabschlüssen, weil es keine Studiengebühren gibt: Denn was nichts kostet, gilt auch nicht viel. Man verliert auch kein investiertes Geld, wenn man das Studium abbricht.

Wie immer man das sieht – es bleibt die relevante Frage, ob Österreich zu wenig Akademiker hervorbringt. Wahrscheinlich – sicher bin ich dessen nicht. Basis meiner Verunsicherung sind meine Erfahrungen in Spanien: Es wimmelt dort von Akademikern – die Quote von 38,2 Prozent ist EU-Spitze, aber die Arbeitslosenrate bekanntlich auch.

Diese Gegenüberstellung ist natürlich polemisch: Auch für Spanien gilt, dass die Arbeitslosigkeit unter Akademikern ungleich geringer als im Rest der Bevölkerung ist. Aber ich habe dazu keine berufsspezifische Aufschlüsselung gefunden, und wenn man in der eigenen Umgebung nichts als arbeitslose Akademiker vorfindet, beginnt man querzudenken: Wenn sie Elektriker oder Schlosser wären, hätten sie eher Jobs – oder könnten zumindest pfuschen.

Ich bin nicht so sicher, dass „mehr und mehr Akademiker“ der Weisheit letzter Schluss sind. Mit 19 Prozent Akademikern ist Österreich diesbezüglich fast EU-Schlusslicht – aber mit 26 Prozent reicht ausgerechnet auch Deutschland nicht an den OECD-Durchschnitt von 30 Prozent heran.

Zum Teil verzerrt die Statistik, weil etwa „Lehrer“ bei uns erst in Zukunft einen B.A. erhalten. Aber auch in Statistiken, die akademikergleiche Qualifikationen einbeziehen, liegen Österreich und Deutschland weit hinten – beim wirtschaftlichen Erfolg aber ganz vorn.

Ich stelle daher die ketzerische These (keineswegs Behauptung) auf, dass das deutsche, Schweizer oder österreichische Bildungssystem mit seiner vielleicht zu frühen, vielleicht zu strengen Auslese und der geringen Zahl akademischer Abschlüsse nicht ganz so schlecht ist.

Am Erfolg aller drei Länder haben Ingenieure entscheidenden Anteil: Die technischen Hoch- und Fachschulen bilden die Fachkräfte aus, die Unternehmen von Andritz bis Zumtobel zu Weltgeltung verhelfen. Aber ausgerechnet an diesen Schulen gibt es genügend Platz für weitere Studenten, während das Institut für Publizistik überquillt.

Dieses Missverhältnis besorgt mich mehr als die geringe Zahl akademischer Abschlüsse. Das hängt natürlich mit meiner Vorstellung von der Zukunft zusammen. Um im Export weiter mit Ländern wie etwa Südkorea konkurrieren zu können, werden wir vor allem Techniker und Naturwissenschafter brauchen, wobei mir die Spitze wichtiger als die Breite scheint: Bei uns sollten Technologien entwickelt werden, die in Südkorea Anwendung finden.

Innerhalb Österreichs wird man weiterhin Lehrer, aber kaum so viele Juristen brauchen. Die steigende Lebenserwartung wird genügend Ärzte, Sozialarbeiter und PflegerInnen beschäftigen. Auch alle, die sich um körperliches Wohl kümmern, werden wohl Arbeit haben: Köche, Masseure, Kosmetiker und so weiter. Und sicher gute Handwerker.

Dass die Institute für Publizistik oder Soziologie überquellen, während es freie Lehrplätze in Handwerksbetrieben gibt, ist eine Schieflage, für die mir jedes Verständnis fehlt: Ich habe durch Jahre vorwiegend davon gelebt, eigenhändig Wohnungen und Häuser zu sanieren. Einen Steinboden über eine ganze Wohnung hinweg so zu verlegen, dass nirgends unschöne Zwickel entstehen, erfordert mindestens so viel Hirnschmalz wie eine Umfrage.

Ich halte es für keine glückliche Entwicklung, dass alle Kinder erfolgreicher Installateure, Elektriker oder Dachdecker wie in Spanien unbedingt studieren wollen. Sie werden weniger verdienen, als wenn sie den elterlichen Betrieb übernähmen. Wesentlichen Anteil am Imageverlust des Handwerks hat ausgerechnet die Bewegung, die einen kräftigen, aus einem Arbeitskittel ragenden Männerarm zu ihren Symbolen zählt. Die Sozialdemokratie hat damit zwar nicht die Handwerker, sondern die Arbeiter gemeint, aber auch die will sie bekanntlich viel lieber zu Akademikern als zu Facharbeitern machen.

Handwerktätigen hat sie sogar misstraut – schließlich waren sie oft „Selbstständige“ und damit fast schon „Ausbeuter“. Heute sind solche Ressentiments zwar nicht mehr aktuell, aber nicht völlig abgebaut: Dass Hauptschulen bei der SPÖ so unbeliebt sind, liegt nicht zuletzt daran, dass sie „nur“ zu einer „Lehre“ berechtigen. Ich ziehe zwar auch ein durchlässigeres Schulsystem vor – aber es stört mich nicht derart, wenn viele 15-Jährige „nur eine Lehre machen“, statt weiterzustudieren. Deutschland hat soeben etwas meines Erachtens höchst Sinnvolles beschlossen: Es stellt die Meisterprüfung dem B.A. gleich.

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