Peter Michael Lingens: Die Bringschuld der USA

Peter Michael Lingens: Die Bringschuld der USA

Peter Michael Lingens: Die Bringschuld der USA

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Die Senatoren John McCaine und Lindsey Graham haben Barack Obama aufgefordert, im Kampf gegen den „Islamischen Staat“ (IS) Bodentruppen einzusetzen. So wenig ich derzeit sonst von den Republikanern halte – hier haben sie recht: Nur Bodentruppen werden den IS besiegen. Und dieser Sieg liegt durchaus im „nationalen Interesse“ der USA: Der IS hat angekündigt, auch dort Terrorakte zu verüben – und wird es tun.

Nicht dass das in der Politik eine große Rolle spielte, aber ich sehe darüber hinaus eine moralische Verpflichtung der USA: Sie verantworten, dass der „Islamische Staat“ überhaupt entstanden ist. Der Einwand, dass Europa das Problem, das in Paris manifest wurde, doch gefälligst selber lösen möge, ist hier ausnahmeweise verfehlt: Europa ist der Hauptleidtragende des US-Versagens in Nahost, indem es neben dem Attentat in Paris den größten Flüchtlingsstrom seit dem Zweiten Weltkrieg verkraften muss. Es hat Anspruch auf US-Hilfe.

Es gibt in Bezug auf Kriege ein moralisches Gebot: Man soll sie entweder gar nicht oder zu einem friedlichen Ende führen – dagegen haben die USA verstoßen.

Die Idee der Bush-Außenministerin Condoleezza Rice, dass ein demokratischer Irak Ausgangspunkt einer positiven Entwicklung der Region sein könnte, scheint mir nicht so ausschließlich übel.

Dabei bin ich, so unpopulär das ist, kein erbitterter Gegner des von George W. Bush unter falschem Vorwand unternommenen Vorstoßes in den Irak. Zwar stimmte es in keiner Weise, dass Saddam Hussein A-Bomben besaß oder die Al-Kaida unterstützte, aber er war doch einer der übelsten Despoten der Welt: Immerhin hat er 1980 (mit Zustimmung der USA) den Iran überfallen (500.000 Tote), einen Aufstand der Kurden 1988 mit Giftgas niedergeschlagen (5000 Tote) und 1990 auch noch Kuweit überfallen. Die Idee der Bush-Außenministerin Condoleezza Rice, dass ein demokratischer Irak Ausgangspunkt einer positiven Entwicklung der Region sein könnte, scheint mir nicht so ausschließlich übel.

Aber Bush vermochte den schnellen militärischen Sieg nicht in wirklichen Frieden überzuführen, weil er sich viel zu wenig mit dem betroffenen Land befasste:

Es war klar, dass freie Wahlen in einem mehrheitlich schiitischen Land eine schiitische Regierung herbeiführen würden – und es war ebenso klar, dass diese Regierung die Rechte der sunnitischen Minderheit missachten würde. Die USA hätten als „Besatzungsmacht“ agieren und die Einbindung der Sunniten in die Regierung und die Wahrung ihrer Rechte überwachen müssen.

Es war ein grober Fehler, die Armee Saddam Husseins unter Generalverdacht zu stellen und aufzulösen. Vielmehr hätten die USA nur höhere Befehlshaber auswechseln und die Truppen als Instrument der neuen Regierung erhalten müssen. Gemeinsam begangen, schufen diese beiden Fehler die politischen und militärischen Voraussetzungen für den erfolgreichen Vorstoß des IS.

Obwohl sie als Teilorganisation der Al-Kaida anfangs nur gegen die US-Besatzer kämpfte, erkannte sie bald die Chance, einen eigenen Staat zu begründen: Unzufriedene Sunniten schlossen sich ihr in Scharen an oder ergaben sich ihr ohne viel Widerstand; und die Ex-Soldaten von Saddams Armee waren ihr dabei ein perfektes professionelles, militärisches Rückgrat.

Die USA sahen tatenlos zu, wie eine Terror-Miliz, die ohne sie nicht geboren worden wäre, zum Monster heranwuchs.

Dass sie außerdem noch ständig US-Militär-Gerät erbeuten konnten, rundet das US-Versagen ab.

Das entscheidende Wachstum des IS fällt freilich in die Ära Obama. So sympathisch es klang, die US-Truppen so rasch wie möglich abzuziehen, so unverantwortlich war es. Das innerlich zerrissene Land, in dem die Regierung als zentrale Gewalt versagte, war dem energischen Vorstoß ­einer fanatischen Gruppe hilflos ausgeliefert.

Die USA sahen tatenlos zu, wie eine Terror-Miliz, die ohne sie nicht geboren worden wäre, zum Monster heranwuchs. Denn auch in Syrien demonstrierte Obama ein Höchstmaß an sympathischer Unfähigkeit, den Bürgerkrieg militärisch wenigstens rasch zu entscheiden: Indem er nicht einmal den Einsatz chemischer Kampfmittel zum Anlass nahm, um einzuschreiten und der freien syrischen Armee damit zum Sieg zu verhelfen, prolongierte er den mörderischen Stellungkrieg und untergrub nebenher restlos die Glaubwürdigkeit „roter Linien“ der USA.

Wie der fehlende Friede im Irak bot auch der fortdauernde Bürgerkrieg in Syrien dem IS die Ideale Möglichkeit, ihren „Staat“ voranzutreiben und endgültig zu etablieren.

Jetzt wird dieser „Staat“ unter Führung der USA durch Luftschläge bekämpft – obwohl alle Erfahrungen lehren, dass Kriege allein aus der Luft nicht zu gewinnen sind. Dass man im Gegenteil befürchten muss, dass die „kollateral geschädigte“ Zivilbevölkerung sich nur enger an den IS anschließt und ihm neue Kämpfer liefert.

Afghanistan ist diesbezüglich ein Lehrbuchbeispiel.

Die Republikaner fordern daher von den USA zu Recht, Bodentruppen einzusetzen. Vernünftigerweise nur im Ausmaß von zehn Prozent einer internationalen Streitmacht, die vorwiegend aus Truppen arabischer Länder bestehen sollte. Denn die sollten mittlerweile zur Genüge begriffen haben, dass sie am meisten durch den IS gefährdet sind. Wenn auch (freiwillige) Berufssoldaten der EU ihren Beitrag zu dieser Streitmacht leisteten, wäre das nur logisch.